Berlin. Das Manifest um konservative Werte aus Baden-Württemberg braucht Merkel nicht fürchten. Gefährlich könnten ihr aber andere werden.

Ist die CDU noch eine Partei, in der sich echte Konservative gut aufgehoben fühlen? Diese Frage ist ungefähr so alt, wie die Amtszeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel lang ist. Und dennoch wird sie immer wieder gestellt und diskutiert. Am Wochenende versuchten Merkel-kritische Abgeordnete aus Baden-Württemberg, eine zeitgemäße Antwort auf diese Frage zu finden. Mit ihrem „konservativen Manifest“ wollen sie die 73 Jahre alte Volkspartei offenbar zu ihren Wurzeln zurückführen.

Wer einen gewagten Aufschlag todesmutiger Partei-Rebellen gegen die Parteiführung erwartet hat, ist nach Lektüre erster Forderungen aus der Denkschrift sicher enttäuscht. Die Autoren – fast ausschließlich bundesweit unbekannte Landespolitiker – wollen unter anderem die Rückkehr zur Wehrpflicht prüfen, erinnern an den besonderen Stellenwert der Ehe und fordern von ihrer Partei den entschlossenen Kampf gegen Extremisten.

Vor 20 Jahren wäre das Manifest überflüssig gewesen

Verwegen konservativ klingt das alles nicht. Vor 20 Jahren waren diese Positionen CDU-Mainstream und fehlten in keiner Sonntagsrede. Ein Manifest hätte es dazu nicht gebraucht.

Auch wenn es sich mancher Merkel-Kritiker wünschen mag – dieses Manifest wird Angela Merkel im 18. Jahr des Parteivorsitzes und im 13. Jahr ihrer Kanzlerschaft nicht wirklich aus dem Tritt bringen. Die Verfasser dürfen sich vielmehr glücklich schätzen, wenn es die Parteivorsitzende überhaupt bis zum Ende durchliest. Die öffentliche Erwähnung des Papiers wäre gar ein Ritterschlag für die Autoren.

In Wahrheit kann Angela Merkel über angebliche konservative Aufstände nur noch müde lächeln. Sie kennt diese Debatte seit vielen Jahren, und sie ist ihr – wie die Sehnsucht nach den guten alten Zeiten der Partei – persönlich völlig fremd.

Merkel braucht Zwergenaufstand nicht fürchten

Die CDU ist unter Angela Merkel eine Partei der Mitte geworden und muss jetzt zusehen, wie sich inzwischen sogar der bürgerliche Teil der Grünen im konservativen Vakuum breitmacht.

Aus Sicht der Kanzlerin hat sich die Mitte-Strategie ausgezahlt. Zum vierten Mal in Folge gibt es eine unionsgeführte Bundesregierung, die SPD ist kleingeschrumpft, und es traut sich niemand in der ersten Reihe der Union, Angela Merkel infrage zu stellen.

Von dem Häuflein Konservativer, die weit weg von Berlin den – man muss es leider so sagen – Zwergenaufstand wagen, geht keine Gefahr für die Kanzlerin aus. Da waren mit Roland Koch, Friedrich Merz oder zuletzt Wolfgang Bosbach schon ganz andere Kaliber unterwegs und grüßen längst selig aus der Parteigruft.

Rächen sich nun die Fehler der Vergangenheit?

Alles gut also für die Parteivorsitzende? Nein. Dass Angela Merkel in der Spitze der Partei keinen klassisch Konservativen langfristig gepflegt und mit wahrnehmbarer Wertschätzung geadelt hat, erweist sich heute als Fehler. Denn mit Horst Seehofer und Jens Spahn buhlen jetzt gleich zwei lautstark und – aus Merkels Sicht – unkontrolliert um diese Rolle und lösen derart Unruhe aus, dass sogar der Start der Regierung überschattet wird.

Besonders pikant: Beide sitzen im Kabinett und stellen mit unabgestimmten Vorstößen jenseits ihrer Kompetenzfelder automatisch die Autorität der Kanzlerin infrage.

Lässt Angela Merkel sie widerspruchslos gewähren und die Schlagzeilen bestimmen, gilt sie schnell als führungsschwach. Und einschreiten ist schwer, weil sich ein Seehofer nicht das Wort verbieten lässt.

Gemessen daran dürfte das konservative Manifest aus dem badischen Schwetzingen in nächster Zeit noch das geringste Problem der Kanzlerin sein.