Berlin/Essen. Die AfD will auch für ehemalige SPD-Mitglieder attraktiv sein. Doch wie das funktionieren soll, dazu gehen die Meinungen auseinander.

Wenn Guido Reil in die Kneipe Alt-Carnap kommt – Essener Norden, 1970er-Jahre-Charme –, wird er empfangen wie ein Sohn. Jeden Gast begrüßt er persönlich. „Komm, Guido, lass dich drücken“, herzt ihn eine Rentnerin. Der 48-Jährige ist das Zugpferd der AfD im Ruhrgebiet. Typ: Arbeiterführer. Bergmann von Beruf, Steiger auf der Zeche Prosper-Haniel, Gewerkschafter, Betriebsrat. Und ehemaliger Genosse. Nach 26 Jahren in der SPD hat er das rote Parteibuch hingeschmissen und ist zur AfD gewechselt. Für die holte er bei der Bundestagswahl in seinem Essener Stadtteil fast 25 Prozent. Jetzt will er andere überzeugen, ebenfalls zu wechseln.

Arbeiter sind für unterschiedliche Akteure aus dem rechten Spektrum zur Zielgruppe geworden. So versuchen rechte Gruppen bei den laufenden Betriebsratswahlen, in Unternehmen Fuß zu fassen. Die AfD konzentriert sich darauf, Arbeiter als Wähler zu gewinnen. Bei der letzten Bundestagswahl bekam sie 19 Prozent der Arbeiterstimmen. An diesen Erfolg will die Partei nun anknüpfen. Gleich mehrere Zusammenschlüsse aus dem Umfeld der AfD, die den Anspruch haben, Arbeitnehmer zu vertreten, wollen dabei helfen. Zwei davon haben auch Vertreter im Bundestag.

Gegen eine Erhöhung des Mindestlohns

Reil ist Teil einer dieser Organisationen, der Alternativen Vereinigung der Arbeitnehmer (AVA). Der Verein verweist stolz auf seine Mitgliedschaft. Doch während Reil manchmal fast noch klingt wie der Sozialdemokrat, der er lange war, ist das bei seinem Verein anders. Uwe Witt, Vorsitzender der AVA, hält zum Beispiel wenig von der Möglichkeit, die Arbeitszeit vorübergehend auf 28 Stunden pro Woche zu reduzieren, wie das die IG Metall kürzlich für ihre Mitarbeiter erkämpft hat. „Kaum machbar“ sei das für die Betriebe, erklärt er. Auch eine Erhöhung des Mindestlohns hält er nicht für zielführend.

Den Abbau von Subventionen – wie er im Wahlprogramm der AfD steht oder als Antrag zur Abschaffung des Solidaritätszuschlags im Bundestag auftaucht – befürwortet er dagegen. „Wir wollen kleine und mittelständische Unternehmen wieder in die Lage versetzen dauerhaft Gewinne zu machen, damit sie gute Löhne zahlen können“, fasst Witt den Ansatz des Vereins zusammen – Sozialpolitik, die nah an den Wurzeln der Unternehmer- und Professorenpartei ist.

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    Solidarität soll nicht für alle gelten

    Witt ist nicht nur Vorsitzender der AVA, sondern auch Mitglied des Bundestags. Dort vertritt er auch die Alternative Mitte, einen Zusammenschluss innerhalb der AfD, der sich als Gegengewicht zum völkisch-nationalen Flügel um den Thüringer Landeschef Björn Höcke versteht. Auch der Flügel hat einen Arbeitnehmervertreter im Bundestag: Jürgen Pohl. Pohl, ein Weggefährte Höckes aus Thüringen, konzentriert sich – als selbst ernannter „Volksanwalt“ – ebenfalls auf Arbeits- und Sozialpolitik. Er gründete 2017 den Alternativen Arbeitnehmerverband Mitteldeutschland (ALARM).

    ALARM schlägt einen anderen Ton an als die AVA. Bei einer Rede zur Gründung des Verbands 2017 begrüßte Pohl „Arbeitnehmer, Arbeitslose, Hartz-IV-Empfänger und die Aufstocker unter uns“. Anschließend geißelte er „korrumpierte Gewerkschaftsfunktionäre“ und „Arbeiterverräter“. Die politischen Ziele klingen unterdessen nicht viel anders als bei der Linken: Pohl fordert Investitionsprogramme für den Osten und „Wohlstandslohn“ statt Mindestlohn. Auf seiner Facebook-Seite schreibt er, dass Rente kein „Almosen“ sei, sondern Anerkennung für eine „Lebensleistung“. So hat das auch schon Parteifreund Höcke formuliert, der der Partei ein Profil des „solidarischen Patriotismus“ geben will – Solidarität, nur eben nicht für alle.

    Größte Konkurrenz ist an vielen Orten die Linke

    Dass Teile seiner Partei eine sehr andere Vorstellung von Arbeitnehmerpolitik haben als er, ist Uwe Witt bewusst. Man stehe im Dialog mit ALARM, erklärt der Abgeordnete aus NRW. „Ich muss allerdings sagen, dass deren Ansatz in den neuen Bundesländern nicht unser Ansatz für die alten Bundesländer ist“, räumt er ein. Der Riss in der Partei – zwischen jenen, die sich als gemäßigt verstehen, und dem völkisch-nationalen Flügel – führt auch durch das Arbeitnehmerlager.

    Witt erklärt das damit, dass beide Vereinigungen – trotz des gemeinsamen Anspruchs, Arbeitnehmer zu vertreten – unterschiedliche Zielgruppen ansprächen. „Dort ist die Wählerklientel eine andere und unsere größte Konkurrenz ist an vielen Orten die Linke.“

    Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) holte die AfD im Osten vor allem in dünn besiedelten Gebieten mit überalterter Bevölkerung Stimmen. Arbeiter zieht die Partei aber vor allem im Westen an. Und so beschränkt sich ALARM in seinem Vertretungsanspruch keineswegs auf den Osten der Republik. Man konstituiere sich zwar in Mitteldeutschland, so Pohl in einer E-Mail. ALARM „steht aber Mitgliedern aus dem gesamten Bundesgebiet offen“. Mit einem Ost-West-Problem hat auch schon die Linke zu kämpfen.