Berlin. Eine DIW-Analyse zeigt: Das Turbo-Abitur ist besser als sein Ruf. Probleme im Bildungssystem gibt es dennoch – und die liegen tief.

Bei Eltern etwa so beliebt wie ein Zahnarztbesuch, dauert aber länger: Das Abitur nach zwölf Schuljahren, bekannt unter der Chiffre G8, ist ein Dauerbrenner unter der an Aufregern nicht armen Bildungspolitik. Die große Befürchtung der Gegner: Das „Turbo-Abi“ produziere Schüler, die im Dauerstress und dem Burn-out nahe sind – und am Ende trotzdem weniger können als ihre Altersgenossen, die auf dem Weg zur Hochschulreife ein Jahr mehr Zeit haben.

Die Realität, abgebildet in Studien, sieht anders aus. Schüler und Schülerinnen an G8-Gymnasien können leistungsmäßig mit ihren Kollegen an G9-Schulen mithalten, das sagt nicht nur die Auswertung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Auch die Stresslevel sind vergleichbar.

G8 verschlimmert Probleme des deutschen Bildungssystems nicht

Befürchtungen, dass Freizeitaktivitäten wie Sport und Musik für G8-Schüler aus Zeitmangel ausfallen müssten, haben sich ebenfalls nicht bewahrheitet. Und auch das ist eine wichtige Erkenntnis: Den Auswertungen des DIW zufolge vertieft G8 auch nicht die akademische Kluft zwischen denen, denen der Studienplatz durch den Bildungshintergrund der Eltern schon fast in die Wiege gelegt wurde, und den anderen.

Es macht das größte Problem des deutschen Schulsystems zwar nicht besser, aber wenigstens auch nicht schlimmer.

Dass auch acht Jahre reichen, um Hochschulreife zu vermitteln, zeigt im Übrigen ein Blick in den Osten der Republik, wo zwölf Jahre bis zum Abitur häufig Standard sind. Jahre nach der Einführung in vielen Bundesländern zeigt sich also: G8 ist nicht die Geißel der Schüler und Schülerinnen, als die es oft beschrieben wurde.

Doch auch wenn die Belastung zwischen G8 und G9 nicht drastisch variiert: Der Druck, der auf Schülern und Schülerinnen aller Schulformen lastet, ist insgesamt groß. Das hängt laut Bildungsforschern weniger mit der Zahl der Schuljahre zusammen – sondern eher mit einem gesellschaftlichen Klima, das zunehmend individuellen Wert über Leistung definiert.

Bildungspolitik nimmt Schüler nicht als Bürger wahr

Die Angst, abgehängt zu werden, kennen schon Teenager. Die einen begleitet die Sorge, dass der Abiturschnitt nicht reichen könnte für die Zulassung zum Traumstudium. Andere beobachten, dass auch für viele Ausbildungen in einem nicht-akademischen Beruf die Hochschulreife mittlerweile vorausgesetzt wird – und wenig übrig bleibt für die, die sie nicht haben.

G8 ist nicht die Krankheit, G8 ist ein Symptom. Das Abitur in acht Jahren ist der vielleicht sichtbarste Auswuchs einer Bildungspolitik, die Jugendliche nicht wahrnimmt als Bürger, die Werkzeuge haben müssen, sich in der Welt zu orientieren und sie zu gestalten, sondern als bald zur Verfügung stehende Arbeitskräfte.

Die Debatte ist mittlerweile so alt, dass man ihre Ursprünge schon fast vergessen haben kann. Aber es lohnt sich, in Erinnerung zu rufen, dass die Triebfeder hinter der Reform keineswegs pädagogische Innovationen oder neue bildungspolitische Erkenntnisse waren.

Abiturienten sollen schneller ins Arbeitsleben einsteigen

G8 war schlicht dazu gedacht, Abiturienten und Abiturientinnen schneller aus den Schulen heraus und ins Arbeitsleben hinein zu befördern, auf dass sie fleißig in die Sozialkassen einzahlen mögen.

Wenn die Rückkehr zu G9, wie sie einige Bundesländer bereits begonnen und andere angekündigt haben, bedeutet, dass diese Logik an Einfluss in der Bildungspolitik verliert, ist das ein gutes Signal.

In der Zwischenzeit haben die Jugendlichen sich auf ihre eigene Art mit G8 arrangiert. Viele nehmen sich nach dem Abi ein Jahr für soziale Projekte, um zu reisen oder einfach herauszufinden, was sie eigentlich wollen. Auch das ist Bildung.