Berlin. Jedes zehnte Kind in Deutschland geht laut einer neuen Studie auf eine Privatschule. Der Trend könnte sich künftig noch verstärken.

Als Manuela Schwesig zu Beginn dieses Schuljahres ihren Sohn auf eine Schweriner Privatschule schickte, war die Empörung groß: Eine SPD-Politikerin wendet sich vom öffentlichen Schulsystem ab? Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern ist keine Ausnahme: Ihr Sohn Julian ist einer von 750.000 Schülern in mehr als 3600 Privatschulen in Deutschland.

Und es werden noch mehr, glauben Experten. Dabei sind Privatschulen nur in sehr wenigen Bereichen nachweisbar besser als öffentliche Schulen, wie eine neue Studie zeigt.

Privatschulen kämpfen auch mit Lehrermangel

Steigende Schülerzahlen, größere Vielfalt in den Klassen, Probleme mit der Inklusion von Kindern mit Behinderung und der Integration von Kindern aus Zuwandererfamilien: „Bei vielen Eltern nimmt das Gefühl zu, dass das öffentliche Schulsystem überfordert ist“, sagt Klaus Klemm, Bildungsforscher an der Uni Duisburg-Essen und Autor einer neuen umfassenden Studie über die Lage der Privatschulen in Deutschland.

„Dieses Gefühl kann dazu führen, dass sich die Absetzbewegung in die Privatschulen verstärkt.“ Bereits jetzt geht knapp jeder zehnte Schüler in Deutschland auf eine Privatschule. Doch es gibt auch Faktoren, die den Trend bremsen – so hätten Privatschulen angesichts des Lehrermangels oft noch größere Probleme, Stellen zu besetzen, als öffentliche Schulen, sagt Klemm.

Zuwachs auf Entwicklungen in ostdeutschen Ländern zurückzuführen

Privatschulen sind umstritten: Die einen schätzen sie als Alternative zum dauergebeutelten öffentlichen Schulsystem, für die anderen treiben sie die Gesellschaft weiter auseinander. Seit 1992 hat sich der Besuch der Schulen in privater Trägerschaft nahezu verdoppelt: von 4,8 Prozent auf neun Prozent.

Der Zuwachs im Verlauf dieser Jahre ist jedoch in erster Linie auf Entwicklungen in den ostdeutschen Ländern zurückzuführen, in denen 1992 erst 0,9 Prozent und 2016 dann 9,9 Prozent der Kinder Privatschulen besuchten.

Schulgeld beträgt mehrere hundert Euro im Monat

Die Studie im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung geht nun der Frage nach, ob Privatschulen wirklich besser sind als öffentliche, ob sich das Schulgeld von teilweise mehreren hundert Euro im Monat überhaupt lohnt.

Grundlage für die Studie sind die Ergebnisse der nationalen Bildungstests, die das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) im Auftrag der Kultusministerkonferenz (KMK) regelmäßig durchführt.

Der Anteil der Mädchen ist an privaten Schulen höher

Privatschulen, das bestätigen die Autoren, haben im Durchschnitt kleinere Klassen, sie haben oftmals einen geringeren Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund und insgesamt eine Schülerschaft aus eher wohlhabenderen, bildungsnahen Elternhäusern. Kinder, die Privatschulen besuchen, haben zudem in der Regel länger eine Kita besucht als Kinder in öffentlichen Schulen. Hinzu kommt: Der Anteil der Mädchen ist deutlich höher.

Das alles führt dazu, dass die Leistungen der Schüler bei den IQB-Tests in der Regel erheblich besser sind als in vergleichbaren öffentlichen Schulen. Aber gilt das auch noch, wenn man statistisch herausrechnet, dass viele Schüler bereits Vorteile durch Elternhaus und Herkunft mitbringen?

Gymnasiasten an öffentlichen Schulen verstehen englische Texte besser

Ja, zumindest in zwei Punkten: Beim Zuhören im Fach Deutsch und beim Hörverstehen im Fach Englisch erzielen die Schüler der Schulen in privater Trägerschaft auch dann bessere Leistungen, wenn man alle Faktoren herausrechnet, die mit der Herkunft oder der Zusammensetzung der Schülerschaft zu tun haben. Aber: Gymnasiasten an öffentlichen Schulen können dafür etwas besser englische Texte verstehen.

Beim Zuhören im Fach Deutsch ist der Leistungsunterschied jedoch zum Teil so groß wie der Lernzuwachs eines ganzen Schuljahrs. Woran das liegt? Bildungsforscher Klemm kann hier nur Vermutungen anstellen – etwa, dass Privatschüler möglicherweise häufiger Anlässe haben, die das Zuhören schulen, zum Beispiel bei Theateraufführungen.

Mehr als ein Viertel der Eltern wünscht sich eine Privatschule

Doch vielen Eltern geht es gar nicht in erster Linie um die Leistung. Die Kundschaft der Privaten „sind oft Eltern aus gehobenen Milieus und der bürgerlichen Mitte, die private Schulen aufsuchen, weil sie für ihre Kinder Milieu-Nähe und Vorteile durch Distinktion suchen“, heißt es im Vorwort zur Studie.

Privatschulen seien eine Option für diejenigen, „die auf Abgrenzung und Statussicherung bedacht sind“. Das allerdings habe „möglicherweise problematische Folgen für den Zusammenhalt der Gesellschaft.“

Vier von zehn Eltern würden eine Privatschule vorziehen

Umfragen zeigen jedoch, dass die Gruppe der Eltern, die sich eine Privatschule für ihr Kind wünschen, weitaus größer ist: So sagen seit Jahren regelmäßig mehr als vier von zehn Eltern, dass sie eine Privatschule vorziehen würden.

Bei Eltern mit Hauptschulabschluss sei der Wunsch sogar überproportional hoch, heißt es beim Verband Deutscher Privatschulverbände. Doch nicht jeder kann sich eine Privatschule leisten oder ergattert einen der begehrten Plätze.

In ländlichen Gebieten werden häufig private Schulen gegründet

In einigen Regionen Deutschlands gewinnt das Thema darüber hinaus gerade neue Brisanz: In ländlichen Gebieten, wo öffentliche Schulen fehlen, würden inzwischen häufig private Schulen gegründet, nicht selten Zwergschulen.

Die Studienautoren sind skeptisch: „Hier stellt sich die Frage, inwieweit der Staat sich vollends mit eigenen Schulen aus ländlichen Regionen zurückziehen und die Schulversorgung freien Trägern gänzlich überlassen sollte.“