PARIS/Berlin. Die erste Aufgabe als neuer Außenminister führt Heiko Maas nach Paris. Ein früherer Förderer traut ihm sogar die Kanzlerkandidatur zu.

Reinhard Klimmt ist gerade auf der Leipziger Buchmesse unterwegs, als er ans Handy geht. Der frühere saarländische Ministerpräsident und Ex-Bundesverkehrsminister ist Autor, Kolumnist und Sammler. Bei einem seltenen Buch kann der 75-Jährige nicht widerstehen, ebenso wenig bei afrikanischer Kunst. Das beste Fundstück in Klimmts langer Karriere aber ist unverkäuflich und gerade im Auswärtigen Amt angekommen. Heiko Maas.

Der ist 1993 blutjunger Juso-Chef an der Saar. Klimmt gefällt der kluge und enorm ehrgeizige Sohn eines Berufssoldaten und einer Schneiderin, der in Saarlouis an der Grenze zu Frankreich aufwächst. Klimmt, der 1998 für den nach Berlin enteilten Oskar Lafontaine gerade Regierungschef geworden ist, ein Jahr später aber wegen eines fehlenden Mandates die Macht an die CDU verliert, macht Maas mit 32 Jahren zum damals jüngsten deutschen Minister, zuständig für die Umwelt.

Später übernimmt Maas mithilfe seines Mentors auch den Vorsitz der SPD-Fraktion im Landtag und den Landesvorsitz der Partei. Er scheitert aber dreimal beim Versuch, Ministerpräsident zu werden. 2013 erlöst ihn ausgerechnet der damalige SPD-Chef Sigmar Gabriel, den er nun im Außenamt beerbt, aus der Rolle des saarländischen „Prince Charles“ und holt Maas als Justizminister in die Bundespolitik.

Für die bunten Blätter ist Maas noch interessanter geworden

„Was ihn auszeichnet, ist, dass er sehr früh im Saarland in verantwortliche Positionen gekommen ist. Er ist nie überheblich aufgetreten, sondern hat immer sehr genau seinen Standort bestimmt und daran gearbeitet, noch besser zu werden“, sagt Klimmt, der noch immer eng mit Maas verbunden ist. Umso mehr ärgern sich beide, wenn Lafontaine, die linke, graue Eminenz von der Saar, nun wieder in vielen Publikationen als „Ziehvater“ des neuen Chefdiplomaten beschrieben wird.

Am Mittwochabend streicht dieser Heiko Maas im berühmten Quai d’Orsay an der Seine, seit 1853 Sitz der französischen Außenminister, seine Krawatte glatt. Da war eine kleine Welle. Ansonsten sitzt der Dreiteiler, den er im Salon Napoléon III trägt, wie angegossen. Maas hat einen Ruf zu verlieren, nicht umsonst wurde er von einem Männermagazin mal zum bestangezogenen Politiker gekürt. Seit der Vater von zwei Söhnen mit der TV-Schauspielerin Natalia Wörner („Die Diplomatin“) ein Paar ist, ist der Sozialdemokrat für die bunten Blätter noch interessanter geworden. Im Quai d’Orsay aber ist wichtiger, dass zum Antrittsbesuch beim engsten Verbündeten die Worte sitzen.

Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian (re.) sein deutshes Pendant Heiko Maas (SPD) am Mittwoch in Paris.
Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian (re.) sein deutshes Pendant Heiko Maas (SPD) am Mittwoch in Paris. © dpa | Thibault Camus

Maas erklärt, mit der Vereidigung der neuen Bundesregierung könne Berlin „die ausgestreckte Hand“ von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit seinen Vorschlägen zur Erneuerung Europas endlich ergreifen. Europa brauche eine „neue deutsch-französische Dynamik“. Das hört sein französischer Amtskollege Jean-Yves Le Drian gern. Neben dem 70-jährigen Politiker aus der Bretagne, der soeben aus der marginalisierten Sozialistischen Partei ausgetreten ist, wirkt Maas noch jünger und dynamischer. Unsicherheit, plötzlich aus der geordneten Juristenwelt der Paragrafen auf die enorm komplexe geopolitische Bühne gepurzelt zu sein, ist ihm nicht anzumerken.

Merkel und Scholz besuchen Paris am Freitag

In die von Journalisten in Paris aufgestellte Falle, wie die SPD und er zu einer Vergemeinschaftung von Staatsschulden stehen, tappt Maas jedenfalls nicht. Zuvor hatte die Kanzlerin nur wenige Stunden nach ihrer Vereidigung in einem Fernsehinterview ihre jahrelange Linie bekräftigt, Haftung und Verantwortung dürften nicht durcheinandergebracht werden, Krisenländer müssten wettbewerbsfähiger werden. Maas sagt, der Koalitionsvertrag sei „sehr pro-europäisch“, nicht alles sei schon ausformuliert. Wie groß die deutschen Spielräume sind, um Macron entgegenzukommen, werden Angela Merkel und SPD-Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz am Freitag bei einem gemeinsamen Besuch in Paris ausloten.

Heiko Maas (SPD) am Donnerstag bei der Amtsübergabe des Bundesjustizministeriums an Katarina Barley (l, SPD).
Heiko Maas (SPD) am Donnerstag bei der Amtsübergabe des Bundesjustizministeriums an Katarina Barley (l, SPD). © dpa | Wolfgang Kumm

Eurobonds, Syrien, Iran gegen Saudi-Arabien, Türkei, ein unberechenbarer US-Präsident Donald Trump, die Spannungen zwischen London und Moskau wegen des Giftanschlags auf einen russischen Ex-Spion – Maas startet in äußerst unruhigen Zeiten ins Amt. Überraschend forsche Töne schlägt er dabei gegenüber Russland an. Gemeinsam mit Le Driand will er den Ukraine-Konflikt wieder stärker in den Fokus rücken. Das Gesprächsformat dazu, in dem Deutschland, Frankreich, Russland und die Ukra­ine vertreten sind, soll wiederbelebt werden. Das letzte Außenministertreffen dieser Art ist mehr als ein Jahr her. „Der Konflikt im Donbass wird für uns beide eine der großen außenpolitischen Prioritäten bleiben. Unsere Unterstützung für die territoriale Unversehrtheit ist weiterhin unverrückbar“, sagt Maas.

Das ist hörbar ein anderer Akzent als bei Gabriel. Der Goslarer war nach zahlreichen Begegnungen mit dem russischen Präsidenten über die Jahre zu einer Art „Putin-Versteher“ geworden, wenngleich dieser Titel Altkanzler und Rosneft-Aufsichtsratschef Gerhard Schröder vorbehalten sein dürfte. Gabriel jedenfalls warb beharrlich für eine Reduzierung der westlichen Sanktionen – wenn Moskau bei der Umsetzung des Minsker Friedensabkommens liefert.

Maas fliegt am Freitag nach Warschau

Für eine härtere Linie gegenüber Putin darf Maas trotz der russischen Verwicklungen im Syrien-Konflikt nicht nur Beifall erwarten. In weiten Teilen der SPD wird seit Brandts Ost-Politik die Ansicht vertreten, eine Einbindung Russlands sei immer auch in deutschem Interesse. Maas aber will sich besonders um die östlichen EU-Staaten bemühen, die die Angst vor Russlands wachsendem Einfluss umtreibt.

Außenminister Maas - Deutschland wird sich bei heiklen Themen nicht wegducken

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    Bereits am Freitag fliegt er nach Warschau. Das Verhältnis zwischen Polen und der EU ist gespannt, seit die konservative PiS-Regierung den Rechtsstaat auszuhebeln versucht. Außerdem wird sich Maas anhören müssen, dass Warschau den Ausbau der deutsch-russischen Gas-Pipeline Nord Stream als Bedrohung empfindet. Auch Israel steht auf der Reiseliste des neuen Außenministers ganz oben. Er sei 1989 nicht wegen Willy Brandt, der Friedens- oder der Umweltbewegung in die SPD eingetreten, erzählt der 51-Jährige kurz nach seiner Vereidigung. „Ich bin wegen Auschwitz in die Politik gegangen.“

    Klimmt ist nicht verwunder über den Aufstieg von Maas

    Dass Maas in der ersten Reihe der Bundespolitik angekommen ist, wundert seinen „Entdecker“ Klimmt nicht. „Er gehört zu den Leuten in der Berliner Politik und in der SPD, die über die größte menschliche und intellektuelle Substanz verfügen. Deswegen ist es gar keine Frage, dass er ein guter Bundesaußen­minister wird.“

    Beim Sport absolviert Hobby-Triathlet Maas drei Disziplinen (Schwimmen, Rad, Laufen) – nach Justiz ist Außen seine zweite Ministerstation. „Sein Weg muss im Auswärtigen Amt noch nicht zu Ende sein“, glaubt Klimmt. „Wenn man einen Willy Brandt und einen Helmut Schmidt nimmt, muss ein Heiko Maas natürlich noch ein bisschen wachsen. Aber wenn ich das Angebot sehe, was wir sonst in der SPD haben, ist er mit Sicherheit ganz vorne unter denen, die für eine Kanzlerkandidatur grundsätzlich infrage kommen.“