Berlin. Die Bundesregierung scheut sich vor einem Abzugsdatum für die Bundeswehr aus Afghanistan. Es läuft auf ein längeres Engagement hinaus.

Afghanistan wird für die Bundesregierung politisch, militärisch und finanziell zu einem endlosen Abenteuer. Die Regierung scheut sich, auch nur einen Termin für einen Abzug zu fixieren. Die Erfahrung der letzten Jahre habe gezeigt, „dass eine von starren Fristen getriebene Strategie kontraproduktiv wirken kann“, heißt es in einem Bericht, der unserer Redaktion vorliegt.

In dem 26-seitigen Papier für den Bundestag werden die Parlamentarier denn auch auf eine Verlängerung der Bundeswehr-Mission am Hindukusch eingestimmt. Ein einseitiger deutscher Rückzug hätte erhebliche Auswirkungen im Land selbst sowie für die deutsche Glaubwürdigkeit in Nato und EU.

Ende des Engagements würde zu „Kettenreaktion“ führen

Ein vorzeitiger Abbruch des zivilen oder militärischen internationalen Engagements könnte wiederum „eine Kettenreaktion mit unkalkulierbaren Konsequenzen für die innere wie regionale Stabilität auslösen“, warnt die Regierung. Gleichzeitig räumt sie ein, die Erfolge seien „unzureichend und brüchig“, der Wiederaufbau mithin eine Generationenaufgabe.

Die Bundeswehrsoldaten sollen im Land bleiben, obwohl die deutschen Militärausbilder jetzt schon aus Angst um ihre Sicherheit „bis zur Hälfte der notwendigen Aufträge“ nicht erfüllen können. Ohne Leibwächter, so genannte Guardian Angels, gehen die Berater nicht raus. Wegen der „sich verschärfenden Bedrohungslage“ für internationale Kräfte, aber auch mit Blick auf die Absicherung der Wahlen in den Jahren 2018 und 2019 plant die Regierung, das Mandat von 980 auf bis zu 1300 Soldaten aufzustocken.

Auch die Anschläge auf das deutsche Konsulat in Masar-e Sharif und auf die Botschaft in Kabul hätten gezeigt, „dass der derzeit gesteckte Personalrahmen keine Reserven bietet, um auf unvorhergesehene Situationen mit eigenen militärischen Kräften flexibel reagieren zu können“. Insgesamt fällt der Perspektivbericht eher düster aus.

Beispiel Militär Die afghanischen Streitkräfte würden nur rund 60 Prozent des Territoriums mit zwei Dritteln der Bevölkerung kontrollieren. Faktisch herrscht eine militärische Pattsituation.

Beispiel Polizei Im Bericht ist von „hohen Verlustzahlen“ und „Geisterpolizisten“ die Rede, die nur auf dem Papier existierten. Von 146.000 eingetragenen Polizisten konnten nur 122.000 verifiziert werden.
Beispiel Justiz
Die Umsetzung der Menschenrechte sei beeinträchtig, weil ein Verfassungsgericht fehle, das Gerichtswesen schwach sei und die Rechtsprechung unter Scharia-Vorbehalt stehe. „Das Justizsystem funktioniert bisher nur sehr eingeschränkt“, heißt es.

Beispiel Wirtschaft Von 2013 bis 16 kam es zu einem deutlichen Rückgang des Wachstums – allein schon durch den Teilabzug von rund 100.000 ausländischen Streitkräften, laut Bericht „ein Schock für die afghanische Wirtschaft“.

Beispiel Migration Derzeit leben Millionen Afghanen, teils illegal, in Nachbarstaaten wie Pakistan und Iran, aber auch 100.000 in der Türkei. Afghanistan ist auch für Deutschland „eines der Hauptherkunftsländer“ der Flüchtlinge. Hierzulande leben 250.000 Afghanen – Ende 2015 waren es noch 131.500. 2017 betrug die Zahl der Rückführungen lediglich 121, immerhin fast doppelt wir im Vorjahr. 1119 Flüchtlinge kehrten freiwillig nach Afghanistan zurück, zumeist mit finanzieller Unterstützung.

Fazit Wegen des Krieges habe das Land bis heute den Rückstand bei der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung nicht aufholen können, heißt es im Regierungsbericht. „Korruption und Verletzungen von Menschenrechten bleiben weit verbreitet.“ Der Afghanistan-Einsatz dauert seit 2001 an. Die Bundesregierung ist der zweitgrößte bilaterale Geldgeber. Sie zahlt Jahr für Jahr 250 Millionen Euro für Entwicklungsprojekte, 180 Millionen Euro für die Stabilisierung und 80 Millionen für die afghanische Armee. Deutschland ist der viertgrößte Truppensteller im Rahmen der Nato-Mission. An diesem Mittwoch soll das Bundeskabinett über mehrere Auslandseinsätze entscheiden, einschließlich Truppenaufstockungen.