Berlin. Die konservative Strömung gewinnt laut Jugendforschern wieder immer mehr an Boden. Doch viele junge Menschen führt das in ein Dilemma.

Konservatives hat Konjunktur. Wer sich in diesen Tagen in Deutschland umhört, stößt auffällig oft auf konservative Werte, Wortführer, Weichenstellungen. Deutschland bekommt ein Heimatministerium. Die neue CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer wird gefeiert, weil sie etwas konservativer ist als Angela Merkel. Jens Spahn, Hoffnungsträger der Konservativen in der Union, rückt ins Kabinett. CSU-Politiker trommeln schon länger zur „konservativen Revolution“. Und gleichzeitig verliert die SPD als traditioneller Widersacher des Konservativen an Boden. Was ist da los? Bereitet die „Generation Spahn“ die konservative Wende vor – oder ist sie längst da?

Ein Blick in Läden, Restaurants, Zeitschriften zeigt: Traditionelles und Regionales verkauft sich gut, Stricken und Einmachen boomt. Nostalgie ist Kult – und Patriotismus weit über nationale Kreise hinaus wieder eine salonfähige Haltung. Auch bei vielen jungen Deutschen. „In unruhigen Zeiten schlägt das Pendel in Richtung Fleiß, Ordnung, Sicherheit aus“, sagt Jugendforscher Klaus Hurrelmann, Autor der Shell-Jugendstudien, die seit den 50er-Jahren als eine der umfassendsten Analysen der jungen Generation gelten. „Die konservative Strömung gewinnt wieder an Boden.“ Und sie wird wichtig bleiben, glaubt Hurrelmann: „Die jungen Leute spüren, dass sie in einer unsicheren Welt leben. Das ist quasi ihre soziale DNA. Sie leben mit der Gewissheit, dass morgen alles anders sein wird. Und deshalb halten sie sich an konservativen Werten fest.“

Der Trend zum Bewährten ist deutlich sichtbar

Die Ergebnisse der jüngsten Shell-Studie zeigen, dass das ein langfristiger Trend ist: Freundschaft, Partnerschaft und Familie stehen auf der Werteliste der Jugendlichen an vorderster Stelle. Immerhin fast zwei Drittel der Jugendlichen legen aber auch großen Wert auf den Respekt vor Gesetz und Ordnung, 62 Prozent sind stolz darauf, Deutsche zu sein. Während Ende der 80er-Jahre nur jeder Dritte Fleiß und Ehrgeiz wichtig fand, war es zuletzt weit mehr als die Hälfte. Und: Der Bausparvertrag gilt eher als schlau, nicht als spießig.

„Aber Vorsicht“, warnt Hurrelmann: „Das ist keine konservative Generation.“ Zumindest nicht im ideologischen Sinn. Denn neben den konservativen Reflexen, mit denen die Jugendlichen auf das Gefühl der Unsicherheit angesichts der globalen Entwicklungen reagieren, gibt es auch eine andere Strömung: Selbstverwirklichung, Individualität und Freiheit. Traditionelle Lebensmodelle? Die meisten winken ab.

Nur vier von zehn Jugendlichen finden, dass man eigene Kinder zum Lebensglück braucht. Und immerhin drei von zehn jungen Männern sagen: „Man braucht keine eigene Familie, um glücklich zu sein.“ Die Akzeptanz für individuelle Lebensmodelle sei groß: „Sie wollen sich keinen Konventionen unterwerfen“, sagt Hurrelmann. Ideologische Enge ist den meisten fremd. Und selbst wenn sie es manchmal sind, sie würden sich nicht „konservativ“ nennen. „Solche Etiketten interessieren sie nicht.“

Viele Junge sind in einem Dilemma

Der Trend zum Bewährten und Bewahrenswerten aber ist deutlich sichtbar: Vorsichtiger, nachhaltiger und damit durchaus wertkonservativer als frühere Generationen denken die jungen Deutschen zum Beispiel mit Blick auf die Umwelt und ihre eigene Gesundheit. Der nationale Drogenbericht zeigt: Sie rauchen weniger, sie trinken weniger. Gleichzeitig steigt die Zahl der Vegetarier – und die Zahl der bekennenden Naturschützer.

Doch das kann auch zu Widersprüchen führen, wie die jüngste Studie des Bundesumweltministeriums („Zukunft? Jugend fragen!“) zeigt: 80 Prozent der jungen Deutschen zwischen 14 und 22 Jahren machen sich demnach Sorgen, dass ihre Kinder später unter miserablen Umweltbedingungen leben müssen, drei von vier wissen, dass sie auch ihr eigenes Verhalten ändern müssen, um das zu verhindern. Doch gleichzeitig locken schnell wechselnde Mode- und Techniktrends, Kaffee im Plastikbecher und günstige Flüge an die europäischen Partystrände. Ein Dilemma: Einerseits wollen sie sich ökologisch und gesund verhalten, andererseits wollen sie bei Lifestyle und Konsum keine Abstriche machen.

Alltagstauglich und pragmatisch

Die Jugendforscher vom Sinus-In­stitut, die regelmäßig die Milieustudie „Wie ticken Jugendliche?“ veröffentlichen, sprechen von insgesamt sieben Milieus – von prekär über ökologisch bis spaßorientiert. Eines der größten ist das Milieu der jungen, pragmatischen, bürgerlichen Mitte. Auch hier zeigt sich: Viele Jugendliche verknüpfen konservative Werte mit schnelllebigen Moden und einem weltoffenen Lebensstil. Sie wollen Familie, Erfolg und soziale Sicherheit – aber nicht im Korsett der 50er-Jahre.

Wo aber verorten sich die Jugendlichen heute im politischen Spektrum? Auf einer Skala von null für „links“ bis zehn für „rechts“ landeten die 15- bis 25-Jährigen im Rahmen der Shell-Studie bei einem Mittelwert von 4,4, also leicht links. Bemerkenswert dabei: Jeder Fünfte verweigerte die Einordnung – die meisten deshalb, weil sie ihre politische Meinung mit diesen Kategorien nicht richtig einordnen konnten. Rechts? Links? Viele von denen, die 2018 jung sind, mischen sich ihren Werte-Cocktail selbst zusammen. Alltagstauglich und pragmatisch, mal liberal, mal konservativ, mal solidarisch, mal egoistisch.

Im Jahr 2018 ist das Konservative keine geschlossene Front mehr – es ist zum Chamäleon geworden: Es kann die Farbe wechseln, es passt sich seiner Umgebung an. Wertkonservative finden sich heute in der CSU und bei den Grünen. Und einer wie Jens Spahn gilt als Konservativer – obwohl er zum Teil das Gegenteil konservativer Positionen vertritt. Der 37-Jährige will die Burka verbieten, ist gegen den Doppelpass und gegen Englisch sprechende Kellner in deutschen Lokalen, aber ein Vorkämpfer der Ehe für alle und ein Vordenker für eine radikale Digitalisierung in der Medizin. Konservativ und liberal – das geht nicht nur für Spahn heute locker unter einen Hut.