Berlin. Angela Merkel kann mit der SPD jetzt in ihre vierte Amtszeit gehen. Sie muss aber ihren innerparteilichen Kritikern mehr Raum lassen.

Ein Telefonanruf am Sonntagmorgen brachte der Kanzlerin die frohe Kunde: Olaf Scholz, derzeit kommissarischer SPD-Chef, teilte der CDU-Vorsitzenden mit, dass sich die SPD-Mitglieder mit 66 Prozent für eine neue große Koalition ausgesprochen haben. Ein Telefonat zwischen Angela Merkel und ihrem künftigen Finanz­minister und Vizekanzler? Diese Rollenverteilung ist nun so gut wie sicher.

Etwa eine dreiviertel Stunde nach der SPD-Verkündung ließ Merkel jedenfalls auf einem für sie ungewöhnlichen Weg ihre Erleichterung verkünden. „Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit zum Wohle unseres Landes“, twittert die CDU in ihrem Namen. Doch ansonsten blieb es still im Kanzleramt. Die geschäftsführende Regierungschefin trat nicht vor die Presse, sondern will am heutigen Montag erst mal ihrem Parteipräsidium Bericht erstatten.

Große Freude bei CDU

Die Zufriedenheit über den Ausgang des Mitgliedervotums bei der Union ist jedenfalls groß: „An die Arbeit jetzt! Deutschland und Europa“, twitterte der designierte Wirtschaftsminister und Merkel-Vertraute Peter Altmaier nach dem Ergebnis. Die neue CDU-Generalsekretärin, Annegret Kramp-Karrenbauer, sprach von einer „guten Entscheidung für die SPD und vor allem für unser Land“.

Ja ohne Jubel: SPD-Basis macht Weg für GroKo frei

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    CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt drängte auf einen schnellen Start der großen Koalition. „Jetzt lasst uns endlich loslegen, um die Zukunftsprojekte für Deutschland anzugehen“, sagte er unserer Redaktion. Zen­trale Themen wie die Stärkung der Familien, die dauerhafte Begrenzung der Zuwanderung oder die Gestaltung der digitalen Gesellschaft müssten sofort angegangen werden.

    GroKo hat Mehrheit von 44 Stimmen

    Es ist schon eine Ironie dieser zähen Regierungsbildung, dass am Ende die 239.604 SPD-Mitglieder, die für die ­GroKo gestimmt haben, der CDU-Vorsitzenden Merkel zu ihrer vierten Amtszeit als Kanzlerin verhelfen. Doch die 63 Jahre alte Politikerin, die seit gut zwölf Jahren deutsche Regierungschefin und seit 18 Jahren CDU-Vorsitzende ist, musste einen hohen Preis für ihre voraussichtlich letzte Amtszeit als Bundeskanzlerin zahlen.

    Merkel hat in den mehr als 160 Tagen seit der Wahl an Autorität eingebüßt. Sie, die in langen Verhandlungsnächten ihrem Gegenüber oftmals die von ihr gewünschten Ergebnisse abtrotzte, musste sich eingestehen, dass ihr die Jamaika-Verhandlungen mit Grünen und FDP um die Ohren geflogen sind. Deren Ende hat sie nicht kommen sehen.

    SPD-Mitglieder machen Weg frei für große Koalition

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      Das Verhältnis zu FDP-Chef Christian Lindner gilt seitdem als schwer beschädigt. Das ramponierte Verhältnis zu den Liberalen wieder aufzubauen, wird eine der innenpolitischen Herausforderungen der nächsten Monate sein. Grundsätzlich bleibt die Machtoption, mit den Grünen und der FDP eine bürgerliche Mehrheit zu bilden, ein Zukunftsmodell für die Union.

      SPD zwang Merkel zu Spahn

      Auch in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD musste Merkel Niederlagen einstecken. Ein erneutes Scheitern unter ihrer Führung konnte sie nicht zulassen. So bekam die SPD bei einem Wahlergebnis von 20,5 Prozent Schlüsselressorts wie das Finanz- und das Außenministerium, stellt stolze sechs Minister in der neuen Regierung.

      Daraufhin gärte es in der CDU. So sehr, dass Merkel in die CDU-Ministerriege auch ihren Kritiker Jens Spahn mit aufnehmen musste. Die Unzufriedenheit in der Partei, die Stimmen, die ihr bloßen Machterhalt vorwarfen, konnte die CDU-Vorsitzende nicht mehr ignorieren. So machte sie einen mutigen Schritt nach vorne, benannte mit der ehemaligen saarländischen Ministerpräsidentin nicht nur ihre neue Generalsekretärin, sondern machte ihren Wunsch für eine Thronfolgerin deutlich.

      Debatte über Ausrichtung bleibt

      Offen ist bislang, ob Merkel die volle Wahlperiode durchhalten wird. Sie selbst sagt, sie sei für vier Jahre angetreten; auch ihr Umfeld weist eine vorherige Amtsübergabe zurück. Denkbar wäre jedoch, das Kramp-Karrenbauer im Jahr 2020 als Parteichefin übernehmen und dann 2021 als Spitzenkandidatin für die CDU antreten könnte.

      Bleiben wird der Partei auf jeden Fall eine Debatte über die richtige inhaltliche Ausrichtung. „Um Volkspartei zu bleiben muss die Union ihre Kompetenzen in der Wirtschaftspolitik und der inneren Sicherheit deutlicher erkennbar machen“, forderte am Sonntag bereits der CDU-Wirtschaftsrat, der sich zuvor für eine Minderheitsregierung der Union ausgesprochen hatte.

      Zerstrittenheit sorgte für Wahlergebnis

      Positiv an den vergangenen Monaten ist aus Merkels Sicht das wieder gekittete Verhältnis zu CSU-Chef Horst Seehofer. Die Zerstrittenheit der Union in der Flüchtlingspolitik (Thema Obergrenze oder nicht) war einer der Gründe für das schlechte Wahlergebnis der Union. Der Zwang zu einer Einigung war riesig. Sie gelang schließlich.

      See­hofer, der seine Macht in Bayern nun mit seinem Widersacher Markus Söder teilen muss, sah in Merkel plötzlich den Garanten dafür, dass seine eigene politische Karriere noch nicht zu Ende ist. Er wird der neue Innenminister.

      Wie geht es weiter?

      Wie geht es nun weiter? Am Mittwoch wird das geschäftsführende Kabinett zum letzten Mal tagen. Merkel will sich mit den Spitzen der SPD auch noch einmal separat treffen, es muss auch ein Datum zur Unterzeichnung des Koalitionsvertrags gefunden werden.

      Am 14. März dann soll sie zum vierten Mal zur Bundeskanzlerin gewählt werden. Im Jahr 2013 hatte sie mit 74,4 Prozent so viele Stimmen bekommen wie kein Kanzler vor ihr. Nach dem Absturz von Union und SPD bei der Bundestagswahl stellen die beiden Fraktionen jetzt jedoch nur noch 56 Prozent der Abgeordneten, der Mehrheitspuffer beträgt nur 44 Stimmen. Das dürfte die Koalitionsreihen allerdings eher zusammenschweißen.

      Traditionell nach Frankreich

      Bei der letzten Kanzlerwahl musste Merkel 39 Gegenstimmen aus Union und SPD einstecken. So viele werden es dieses Mal wohl nicht ­werden. Unmittelbar nach Merkels Wahl werden dann die Bundesminister von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue ernannt und dann wiederum im Bundestag vereidigt. Anschließend könnte noch am selben Tag die erste Kabinettssitzung stattfinden.

      Traditionell führt der erste Antrittsbesuch der Kanzlerin nach Frankreich zu einer Stippvisite in den Élysée-Palast. So hat sie es bei ihren vergangenen drei Amtsantritten gehalten. Bereits Ende März steht ein wichtiger EU-Gipfel zur Reform der Euro-Zone an.

      Größere Herausforderungen

      Die Herausforderungen für die Neuauflage der Koalition aus Union und SPD, die diesmal eine Zwangsheirat ist, sind noch einmal größer geworden: Europa driftet auseinander, die Flüchtlingsfrage ist ungelöst, es zieht ein massiver internationaler Handelskonflikt mit den USA auf. Millionen Dieselfahrer sind verunsichert, weil ihnen Fahrverbote in Städten drohen.

      Außerdem gibt es in allen drei Parteien Programmdebatten: Die SPD will sich in den nächsten vier Jahren nicht erneut so pflegeleicht geben, die CDU sucht ihr konservatives Profil, und die CSU bestreitet in Bayern bis zum Herbst einen Landtagswahlkampf, für den eigene Gesetze gelten.

      "Erneuerung der SPD hat keinen Platz am Kabinettstisch"

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        Schnell starten

        Einig ist man sich zumindest darin, mit zentralen Vorhaben des Koalitionsvertrages schnell zu starten. So sollen etwa die Erhöhung des Kindergeldes oder die gleichen Beiträge zur Krankenversicherung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern schnell angegangen werden.

        Interessant wird auch das Zwischenmenschliche in der großen Koalition: Weder Merkel noch Scholz neigen zu Emotionen, über einen ironischen Humor verfügen dagegen beide. Bei den Verhandlungen haben sie sich nach Aussagen von Teilnehmern nichts geschenkt. Die letzte wird wohl Merkels schwierigste Amtszeit werden.