Essen. Der Aufnahmestopp für Ausländer bei der Essener Tafel sorgt weiter für Debatten – auch über den politischen Kampf gegen die Armut.

Nach dem Aufnahmestopp für Ausländer bei der Essener Tafel wird zunehmend über das Problem der Armut in Deutschland debattiert. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) bezeichnete die Entscheidung der Tafel als „Hilfeschrei“.

Die Politik müsse „das Problem, das dahinter steckt, erkennen und lösen“. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte die künftige Bundesregierung auf, Familien besser vor Armut zu schützen. Einer Umfrage zufolge haben die meisten Deutschen Verständnis für die Entscheidung der Essener Tafel.

Kein Rassismus

Ramelow sagte dem „Tagesspiegel“ (Samstag), die Tafeln leisteten „wichtige Arbeit, sind aber oftmals einfach überfordert“. Zu dem Vorgehen der Essener Tafel erklärte er: „Womöglich hätten die Verantwortlichen vor Ort eine andere Struktur der Verteilung der Lebensmittel finden können.“ Dann wäre die Entscheidung, einen Teil der Antragsteller abzuweisen, überflüssig gewesen. Rassistisch sei das Vorgehen aber nicht.

Kritik an Entscheidung von Essener Tafel

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    Ramelow fügte hinzu: „In meinen Augen ist es einer Gesellschaft wie der unsrigen unwürdig, wenn Menschen wie Bittsteller behandelt werden und sich in Schlangen stellen müssen, um Nahrungsmittel zu erhalten, damit sie wenigstens einigermaßen über die Runden kommen.“ Bund, Länder und Kommunen müssten sich mit der Frage beschäftigen, welche sozialen Angebote für arme Menschen gemacht werden und ob sie ausreichen, damit gesellschaftliche Gruppen nicht gegeneinander ausgespielt werden können.

    Vor Armut schützen

    Nach den Worten von Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckardt muss die Bundesregierung „für mehr soziale Sicherheit in unserem Land sorgen und Menschen wirksam vor Armut schützen“. Vor allem Familien mit Kindern müssten deutlich entlastet werden, sagte sie unserer Redaktion. Wer arbeitslos sei, müsse eine soziale Absicherung bekommen, die auch wirklich vor Armut schütze.

    Die Entscheidung der Essener Tafel, keine Ausländer mehr als Neukunden aufzunehmen, halte sie für falsch, erklärte die Grünen-Politikerin. Wie Ramelow sprach sie von einem «Hilferuf» von engagierten Freiwilligen, die dieser Not nicht mehr Herr werden. Es handele sich nicht um rechte Meinungsmache.

    Chefin der Berliner Tafel erneuert Kritik

     Sabine Werth, Gründerin der Berliner Tafel, steht im Verteilzentrum ihrer Organisation.
    Sabine Werth, Gründerin der Berliner Tafel, steht im Verteilzentrum ihrer Organisation. © dpa | Jörg Carstensen

    Die Chefin der Berliner Tafel, Sabine Werth, bekräftigte, dass sie das Vorgehen der Tafel-Verantwortlichen in Essen für „unterirdisch“ halte. Damit sei ein wichtiger Tafel-Grundsatz gebrochen worden, „nämlich, dass wir allen Menschen helfen, die der Hilfe bedürfen“, sagte die ehrenamtliche Vorsitzende von Deutschlands ältester und größter Tafel der „Süddeutschen Zeitung“ (Samstag).

    Auch die Berliner Tafel habe in einigen der insgesamt 45 Ausgabestellen Aufnahmestopps, „weil es durch die Flüchtlinge viel mehr Menschen geworden sind“. Anders als in Essen gelte der Stopp aber nicht nur für Menschen ohne deutschen Pass. „Die Ellenbogen gehen von allen aus, auch von der deutschen Oma mit Krücken.“ Jede Gruppe trage ihren Teil dazu bei.

    75 Prozent Migranten

    Der Essener Tafelvorstand hatte seine Entscheidung damit begründet, dass der Anteil der Migranten unter den Kunden auf 75 Prozent gestiegen sei. Ältere Menschen und Alleinerziehende würden dadurch verdrängt.

    Der Schritt der Essener Tafel stößt laut einer Umfrage bei der Mehrheit der Deutschen auf Verständnis. In der Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Civey für die „Welt“ (Samstag) bejahten 66 Prozent die Frage „Haben Sie Verständnis dafür, dass der wohltätige Verein 'Essener Tafel' nur noch Menschen mit deutschem Pass aufnimmt?“. 27 Prozent der Befragten haben dagegen kein Verständnis für die Maßnahme. Sieben Prozent sind in dieser Frage unentschieden. (epd)