Berlin/Ghuta. Der 15-jährige Muhammad Najem lebt in der syrischen Region Ost-Ghuta. Auf Twitter und Facebook schreibt er über den Alltag im Krieg.

Muhammad Najem weiß noch genau, was er am Donnerstag vor zwei Wochen gemacht hat. Er lief in Ost-Ghuta nahe Damaskus die Straße entlang. An seiner Seite ging der Nachbarssohn Salim. Plötzlich hörten die Jungen das Geräusch von Kampfjets der syrischen Luftwaffe. „Wir rannten in den Keller zu meiner Familie“, schreibt Muhammad Najem in einem Text, den man noch im Internet lesen kann, „aber Salim lief weiter zum Haus seiner Eltern.“

Kurz darauf schlugen sechs Raketen in dem Gebäude ein. „Als sich der Staub legte, sahen wir, dass das Haus von Salims Familie komplett zerstört war.“ Die Rettungskräfte fanden den Jungen in den Trümmern, aber seine Schwester und drei Cousins waren tot.

Muhammad ist 15 Jahre alt. Er interessiert sich wie viele Teenager für Technik, liebt Fußball. Und er ist neugierig auf die Dinge, die um ihn herum passieren. In diesen Tagen ist das „die Hölle auf Erden“, wie UN-Generalsekretär António Guterres den Dauerbeschuss von Ost-Ghuta, eine der letzten Rebellenhochburgen in Syrien, nennt.

Muhammad bloggt, twittert, schreibt auf Facebook und veröffentlicht zum Teil grausame Fotos von Kriegsopfern. „Wir wissen, dass Euch unsere blutigen Bilder langweilen. Aber wir werden uns weiter an Euch wenden“, heißt es in einem seiner Tweets. Und: „Baschar al-Assad, Putin und Chamenei töteten unsere Kindheit. Rettet uns, bevor es zu spät ist.“ Ein verzweifelter Hilferuf gegen die Machthaber Syriens, Russlands und Irans.

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„Ich verlor meinen Vater, weil eine Bombe die Moschee traf, in der er betete“

Muhammad konnte die achte Klasse nicht abschließen. „Meine Schule wurde bombardiert, bis wir nicht einmal mehr ein Klassenzimmer hatten“, schreibt er. Diese Texte verlinkt er dann auf dem Kurznachrichtendienst Twitter und kommentiert seinen Alltag auf Arabisch und Englisch. „Erst verlor ich das Haus, das mein Vater im Schweiße seines Angesichts gebaut hat“, schreibt er. „Zwei Jahre später verlor ich meinen Vater, weil eine Bombe die Moschee traf, in der er betete.“

Ob die Texte, Fotos und Videos tatsächlich von Muhammad stammen oder ob er von politischen Gruppierungen instrumentalisiert wird, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit klären. Im Krieg wird auf allen Seiten mit Propaganda gearbeitet. Bilder sind oft ein wichtiges Mittel, um die Interpretationshoheit gegenüber der internationalen Öffentlichkeit zu gewinnen. Bislang wurde jedoch die Echtheit von Muhammads Text- und Foto-Material von niemandem angezweifelt.

375 Millionen Kinder leben weltweit in Konfliktgebieten

Jörg Denker hat viele Konflikte und deren Auswirkungen auf Kinder hautnah miterlebt. Als Referatsleiter für Asien und Osteuropa bei der Kindernothilfe hat er Kinder unterstützt, zum Beispiel in Konfliktgebieten wie Sri Lanka, Afghanistan oder dem Balkan. „Mein Eindruck ist“, sagt Denker, „dass Kinderrechte eher immer weniger geachtet werden, als das bei früheren Konflikten der Fall war.“ So würden gerade Schulen zu Zielscheiben, weil sich dort oft Rebellen versteckten. Kinder gerieten zwischen die Fronten und würden als Schutzschilde missbraucht.

Neueste Zahlen der UN sagen, dass 375 Millionen Kinder weltweit in Konfliktgebieten leben. „Natürlich kann ein Krieg eine Kindheit zerstören“, sagt Jörg Denker, „denn wir können nicht voraussehen, wie sie im späteren Leben mit diesen Erlebnissen umgehen.“ Wie also wird Muhammad Nejam später damit umgehen, dass er mit 15 Jahren täglich blutende Kriegsopfer um sich sah und seinen Freund aus Trümmern rettete? „Wir sagen nur, dass auch die Aufarbeitung bei den Kindern beginnen sollte.“ Deswegen unterstütze die Kindernothilfe Projekte wie multiethnische Schulen.

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Die lokale Gesundheitsbehörde berichtet von einem Giftsgasangriff

Auch am Montag machte der Krieg in Ost-Ghuta keine Pause. Trotz der Forderung des UN-Sicherheitsrates nach einer Waffenruhe in Syrien gingen die heftigen Angriffe auf das belagerte Rebellengebiet weiter. Die lokale Gesundheitsbehörde und Aktivisten warfen den syrischen Truppen einen Angriff mit Giftgas vor, bei dem ein Kind ums Leben gekommen sei. Die Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London meldete mindestens 31 Tote durch Bombardierungen und Artilleriebeschuss.

UN-Generalsekretär fordert Umsetzung der Feuerpause in Syrien

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    Der UN-Sicherheitsrat hatte am Sonnabend eine 30-tägige Waffenruhe für ganz Syrien gefordert. Bindend ist die Resolution allerdings nicht. UN-Generalsekretär António Guterres und der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Said Raad al-Hussein, riefen die syrische Regierung in Genf auf, die Feuerpause umgehend umzusetzen.

    Russland kündigt tägliche Feuerpause von 8 bis 13 Uhr an

    Russland hat mittlerweile eine mehrstündige tägliche Feuerpause für das Rebellengebiet Ost-Ghuta angekündigt. Von diesem Dienstag an sollten die Waffen jeweils von 8.00 bis 13.00 Uhr schweigen, sagte Verteidigungsminister Sergej Schoigu in Moskau. Präsident Wladimir Putin habe zudem angeordnet, in der genannten Zeit einen Korridor zu öffnen, damit Zivilisten das belagerte Gebiet verlassen könnten.

    Ost-Ghuta gehört zusammen mit der Region Idlib im Norden und Daraa im Süden zu den wenigen Gebieten, die noch unter der Kontrolle von Rebellen stehen. Dabei handelt es sich vorwiegend um islamistische Milizen wie zum Beispiel Ableger von al-Quaida. An der syrisch-irakischen Grenze gibt es versprengte Restzellen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS).

    Die Region wird seit 2013 von Regierungstruppen belagert. Rund 400.000 Menschen sind fast vollständig von der Außenwelt abgeschnitten.