Berlin. Olaf Scholz ist in der SPD der unbeliebteste Vize. Trotzdem: Die Doppelspitze Scholz und Nahles wird der gescholtenen Partei guttun.

Die SPD hat noch mal die Kurve gekriegt. Jedenfalls fürs Erste. Man weiß ja nie, was den Genossen als nächstes einfällt, um die Republik bei Laune zu halten. Tagelang kriegte sich die Partei wegen Satzungsfragen in die Haare, wann, wie und überhaupt Andrea Nahles die Schulz-Nachfolge antreten darf.

Ein genervter Spitzengenosse meinte nach der Einigung auf die vorläufige Doppelspitze Scholz/Nahles, die SPD habe sich wie ein Kaninchenzüchter-Verein aufgeführt. Nichts gegen Liebhaber kuscheliger Fellmonster. Aber die SPD ist noch immer eine stolze und wichtige Volkspartei. Und sollte sich auch so aufführen.

Juristisch gesehen ist Scholz nun bis zu einem Sonderparteitag am 22. April in Wiesbaden alleiniger Chef. Er wurde zum kommissarischen Vorsitzenden gekürt, weil er der dienstälteste der sechs Stellvertreter des geflüchteten Martin Schulz ist. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Scholz ist in der Partei der unbeliebteste Vize. Bei seiner Wiederwahl im Dezember erhielt er magere 59,2 Prozent.

Außenminister Gabriel ist in der SPD verbrannt

Der Hamburger Noch-Bürgermeister ist aber wie Nahles Profi und kann als erfahrener Steuermann im Berliner Willy-Brandt-Haus der SPD wertvolle Dienste leisten. Bei der laufenden Basisbefragung steht das weitere Schicksal der ältesten deutschen Partei auf dem Spiel. Nahles wollte zwar unbedingt sofort alle Macht für sich – nach der ersten Enttäuschung über den Dämpfer wird sie froh sein, die große Last des Mitgliederentscheids mit Scholz teilen zu können.

Die beiden werden in der großen Koalition, wenn sie denn kommt, die entscheidenden Figuren der SPD bleiben. Sie als Partei- und Fraktionschefin, er als Finanzminister und Vizekanzler. Sigmar Gabriel wollen sie in Rente schicken. Daran wird sich wohl auch nichts mehr ändern, dass Gabriel jetzt Krokodilstränen vergießt und sich nach eigenen Worten bei Schulz für seine Worte („Der Mann mit Haaren im Gesicht“) entschuldigt hat.

Gabriel ist in der SPD verbrannt – selbst wenn der populäre Außenminister in nächster Zeit den in der Türkei seit einem Jahr inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel nach Hause bringt.

Umverteilungsgeschenke an Rentner sind keine Antworten

Nahles kündigte an, die SPD werde – warum eigentlich erst nach dem Basisentscheid? – „tolle Ministernamen“ für das Kabinett präsentieren. An Gabriel wird sie todsicher nicht gedacht haben. Geben die Mitglieder nun aus Angst vor einer Neuwahl schweren Herzens grünes Licht für die große Koalition, haben Nahles und Scholz die erste Etappe ihrer Langzeit-Mission erfüllt.

Die SPD würde Zeit gewinnen, um sich in der Regierung neu zu sortieren und auf ein Ende der Ära Merkel zu hoffen. Aber was kommt dann? Scholz’ Muskelspiele beim politischen Aschermittwoch, die SPD müsse zügig wieder den Kanzler stellen, sind Folklore. Seine Botschaft im Bierzelt von Vilshofen, die SPD-Verheißung „Mit uns schreitet die neue Zeit“ aus der Parteihymne „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“ habe nichts an Aktualität eingebüßt, ist dünne Suppe.

Scholz bittet SPD um Ja zur GroKo

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