Seoul. Olympia bringt Nordkorea dem südlichen Nachbarn näher. Dort finden das nicht alle gut. Junge Leute haben sich an die Trennung gewöhnt.

Als Frank Sinatras „My way“ erklingt, huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Chang Che-shun schließt seine Augen, bewegt seinen Kopf hin und her. Seine Frau Jin-jo, die neben ihm sitzt, summt. Der Kaffee ist schwarz, kein Milchschaum, einfach nur Filterkaffee. „Seoul ist voll von Cafés“, sagt der 70-Jährige. Aber Läden nach seinem Geschmack seien rar. Deswegen kämen er und seine Frau regelmäßig zur „Musicbox“, einem Café in einem der wenigen verbliebenen alten Viertel der südkoreanischen Hauptstadt. Filmplakate, auf denen Schauspielerinnen wie Audrey Hepburn zu sehen sind, hängen an den orangen Wänden. Eine Lichterkette schmückt eine Box, in der ein DJ sitzt und Schallplatten auflegt – so wie es in den 60er-Jahren war.

Die älteren Leute in Seoul schwärmen von jener Zeit. Zu stark hat sich Südkorea in den vergangenen Jahren verändert. In der Metropole wurden fast alle alten Gebäude abgerissen. Im Gegensatz dazu haben die Jüngeren andere gesellschaftliche Werte, einen völlig anderen Lebensstil. Der Riss durch die Generationen prägt auch die Einstellung zum beherrschenden Thema dieser Tage: Nordkorea – und die Olympischen Winterspiele, die am Freitag im südkoreanischen Landkreis Pyeongchang eröffnet werden. „Ja, wir wollen die Wiedervereinigung“, sagt Chang. „An diesem Ziel müssen wir festhalten.“ Ansonsten werde es nie Frieden geben.

Gemeinsamer Einmarsch der Teams aus Norden und Süden

„Wir verzeichnen eine Spaltung der Gesellschaft entlang von Alterslinien“, betont Go Myong-hyun. Der 40-jährige Politologe sitzt im modernen Bau des renommierten Asan Institute for Policy Studies, einer unabhängigen Denkfabrik in einem wohlhabenden Stadtteil von Seoul. Die ältere Generation hänge „einer romantischen Vorstellung von nationaler Einheit an“, sagt Go. Die jüngere Bevölkerung könne dagegen mit dem Regime von Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un nichts anfangen. „Es nervt sie, dass ihre schönen Winterspiele zum Propagandafest des skurrilen Nachbarlandes mutiert sind.“ Eine aktuelle Umfrage belegt die Einschätzung. Nach einer Erhebung der von der südkoreanischen Regierung finanzierten Denkfabrik Korea Institute for National Unification sind mehr als 60 Prozent der 19- bis 29-Jährigen gegen eine Wiedervereinigung. 70 Prozent der Bevölkerung 60 plus sprechen sich dafür aus.

Die 36-jährige Cloé Jung zuckt gleichgültig mit den Achseln. Ja, die auf Seoul gerichteten Raketen seien eine Bedrohung. Doch Angst habe sie keine. „Was soll schon passieren?“, fragt sie. Seit sie geboren wurde, lebt sie mit der Bedrohung. Ihre Eltern ebenso. „Wir kennen es gar nicht anders“, meint Cloé.

„Wir Südkoreaner haben es uns bequem gemacht“

Sie sitzt im Café „Ma Non Troppo“, das sich in Seouls angesagtem Stadtviertel Hannam befindet. Im Glastresen sind Macarons und Mousse-au-Chocolat-Törtchen aufgereiht. Es duftet nach Orangenschalen. „Wir Südkoreaner haben es uns bequem gemacht“, unterstreicht sie. Hoffnungen, dass der Konflikt demnächst gelöst werden könnte, hegt sie keine. Sie habe in ihrem Leben schon so häufig zu hören bekommen, dass die beiden Koreas sich annäherten – um sich dann wieder zu verkrachen.

Noch vor sechs Wochen schlugen die Wogen zwischen Nord- und Südkorea hoch. Pjöngjangs Diktator Kim Jong-un wetterte gegen Südkorea, dem „Vasallenstaat der USA“. Zehntausende Artilleriegeschütze stehen 60 Kilometer von Seoul entfernt. Hinzu kam die Drohung mit Nordkoreas Atomprogramm: Mehr als ein Dutzend Langstreckenraketen hat die Führung im vergangenen Jahr abgeschossen – und eine Wasserstoffbombe getestet.

Einige Olympioniken stammen aus einem geteilten Land

Zum Jahreswechsel kam die plötzliche Wende: Kim äußerte in seiner Neujahrsrede den Wunsch nach Annäherung und der Teilnahme an den Olympischen Winterspielen. Seitdem geht es Schlag auf Schlag. Bilaterales Treffen in Panmunjom, dem Dorf in der entmilitarisierten Zone, das erste zwischen ranghohen Vertretern seit mehr als zwei Jahren. Dann die Einigung auf einen gemeinsamen Einmarsch der Teams von Nord- und Südkorea unter der blau-weißen Wiedervereinigungsflagge sowie ein gemischtes Eishockey-Damenteam.

„Hoffentlich öffnen diese Winterspiele die Tür zu einer besseren Zukunft auf der koreanischen Halbinsel“ sagte Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees. „Die Olympischen Spiele haben einen Neubeginn ermöglicht.“ Der deutsche Fecht-Olympiasieger von 1976 erinnerte daran, dass er selbst aus einem einst geteilten und mittlerweile wiedervereinten Land stamme.

Südkoreas Medien üben schärfe Kritik

Klar, eine Wiedervereinigung sei „eine schöne Sache“, sagt Cloé – aber eben nicht realistisch. Schon jetzt hätten Flüchtlinge aus dem Norden große Probleme, sich in Südkorea zurechtzufinden. Abgesehen von der Sprache gebe es kaum noch Verbindendes, nicht einmal mehr verwandtschaftliche Bande. „70 Jahre Trennung sind eben eine lange Zeit“, sagt Cloé. Derzeit kämen gerade einmal ein paar Dutzend Flüchtlinge im Jahr. „Wie soll es werden, wenn die Grenze offen ist?“

Südkoreas Presse übt noch schärfere Kritik. Präsident Moon Jae-in, ein Linksliberaler, der um eine Versöhnung bemüht ist, habe sich von Kim zu schnell abspeisen lassen. Nordkorea werde den Südkoreanern die Show stehlen, wettern die Konservativen im Parlament. Internationale Medien spotten: Die Winterspiele in Pyeongchang seien „Pjöngjang-Spiele“.