Berlin. Die Einigung in der Metallbranche ist die Abkehr von starren Arbeitszeitregeln. Denn die 35-Stunden-Woche ist nicht mehr zeitgemäß.

Der nicht enden wollende Aufschwung ist natürlich eine Steilvorlage für üppige Lohnforderungen. Die IG Metall hat sie zu nutzen gewusst. Allerdings, und das macht den Abschluss so besonders, nicht nur für ein dickes Lohnplus. Sondern auch für ganz neue Möglichkeiten, den sonst so trägen Flächentarifvertrag an die ganz persönliche Lebenslage anzupassen.

Wer will, kann weniger arbeiten – und auch wieder zur vollen Arbeitszeit zurückkehren. Das ist nicht weniger als eine Umkehr der Arbeitszeitflexibilität, wie man sie kennt. Verstanden die Unternehmen darunter bisher allein die Bereitschaft ihrer Mitarbeiter, bei Bedarf länger zu arbeiten, können diese nun selbst entscheiden, auch mal kürzer zu treten.

Viele scheuen die Teilzeitfalle

Historisch wird dieser Abschluss freilich erst dann, wenn ihm andere folgen. Und weil die Tarifpartner selbst noch unsicher sind, ob ihr hoch kompliziertes Werk alltagstauglich ist, dürften die meisten anderen Branchen sich das erst einmal in Ruhe anschauen. Doch mit der Metall- und Elektroindustrie geht die mit Abstand größte Industriebranche des Landes bei diesem wichtigen Thema voran. Wer dieses Signal etwa im Regierungsviertel nicht sieht, muss blind sein.

Die wenigsten Menschen in Deutschland sind restlos zufrieden mit ihrer Arbeitszeit. Millionen wollen länger arbeiten, um mehr zu verdienen. Und sehr viele brauchen mehr Zeit für sich und ihre Familien, scheuen aber die Teilzeitfalle, aus der vor allem Frauen oft nie wieder herauskommen. Das Recht auf Rückkehr in Vollzeit hatte schon die letzte große Koalition versprochen, aber links liegen lassen. Die nächste GroKo hat nun eine Vorlage aus der Tarifpolitik, die sie nicht so einfach übertragen, an der sie sich aber orientieren kann und sollte.

35-Stunden-Woche passt nicht zu Alltag

Der Tarifvertrag ist deshalb so kompliziert geworden, weil es für folgendes Problem keine einfache Lösung gibt: Tritt ein Beschäftigter kürzer, bleibt Arbeit liegen. Machen das mehrere, muss der Arbeitgeber Ersatzkräfte besorgen. Was aber soll er mit ihnen machen, wenn die Stammkräfte wieder voll arbeiten wollen? Weil gerade in der exportstarken Metall- und Elektroindustrie die Fachkräfte schon heute knapp werden, wird es immer schwieriger, Ersatz für eine Übergangszeit zu finden.

Die Lösung der Metaller klingt einleuchtend: Je mehr Mitarbeiter reduzieren, desto mehr dürfen auch länger arbeiten. Die starre 35-Stunden-Woche passt schon lange nicht mehr zum Alltag in den Betrieben und daheim. Abweichungen sind zwar schon lange möglich. Dieser Tarifabschluss markiert aber endgültig das Ende der Betonzeit, als Gewerkschaften und Arbeitgeber aus und ums Prinzip stritten statt um bessere Lösungen für alle.

Pflege ist Aufgabe des Staates

Die IG Metall hat seit vielen Jahren den Anspruch, mit ihren Tarifabschlüssen auch Politik zu machen, Lösungen für Probleme auch der Allgemeinheit zu finden. Der Anspruch, echte Fortschritte zu erzielen für Eltern und für Menschen, die Angehörige pflegen, war diesmal aber zu hoch. Die Idee, für sie einen eigenen Lohnausgleich zu erstreiten, war aller Ehren wert, aber rechtlich bedenklich, weil damit die anderen Beschäftigten finanziell benachteiligt worden wären.

Für sie bleibt nur die Option, auf einen Lohnzuschlag zu verzichten, um acht freie Tage im Jahr zu erhalten. Wer sich um seine demente Mutter oder das Neugeborene kümmern muss, hat davon nicht viel. Die Möglichkeit, etwas weniger zu arbeiten, etwa um den Partner zu entlasten, ist besser als nichts. Die Pflege zu honorieren, wäre aber Aufgabe des Staates, nicht der Arbeitgeber. Die bestehende Pflegezeit ist ein Flop, wird kaum genutzt. Die kommende GroKo hat dazu nichts im Programm. Die IG Metall hat es immerhin versucht.