Moskau. In ihrem „Kreml-Bericht“ listen die USA jene Russen auf, die in enger Beziehung zu Putin stehen sollen – aber ohne Maßnahmen gegen sie.

Es sei ärgerlich, dass er selbst nicht auf die Liste geraten sei, scherzte Wladimir Putin am Dienstag auf einer Wahlveranstaltung. „Den Sinn solcher Maßnahmen verstehe ich nicht, aber das ist zweifelsohne ein unfreundlicher Akt.“ Auf die Barrikaden werde man deswegen allerdings nicht gehen.

Der Kreml reagierte am Dienstag gemäßigt erbost auf den Bericht des US-Finanzministeriums an den amerikanischen Kongress, in dem 210 russische VIPs aus Politik und Wirtschaft erwähnt werden, praktisch die komplette Führungselite des Landes außer Putin. „Ein ziemlich beispielloses“, aber „ohne Zweifel ein verallgemeinerndes Vorgehen“, fügte dessen Sprecher Dmitri Peskow hinzu, der selbst auf Listenplatz 6 gelandet war. „Und es ist zu beachten, dass de facto alle als Feinde der USA bezeichnet wurden.“

114 Topbeamte und 96 Wirtschaftsbosse gelistet

Tatsächlich geriet die in Russland seit Wochen mit mulmigen Gefühlen erwartete Liste umfangreicher als zuvor vermutet. Premierminister Dmitri Medwedew und all seine Minister standen drauf, die wichtigsten Beamten der Kreml-Verwaltung, Geheimdienst- und Justizschefs, auch die Bürgermeister Moskaus und Sankt Peterburgs, insgesamt 114 russische Topbeamte sowie 96 Wirtschaftsbosse. Senator Andrei Klimow fühlte sich an ein „Who ist Who Russlands“ erinnert, nicht zu Unrecht: So hatten die amerikanischen Finanzbeamten alle Unternehmer Russlands aufgelistet, die laut Forbes mehr als eine Milliarde Dollar besitzen.

Allerdings war in dem Bericht keine Rede von „Feinden Amerikas“. Die Autoren versichern, die Erwähnung der Betroffenen bedinge keinerlei Sanktionen oder Einschränkungen gegen sie. Und die US-Regierung besitze keine Informationen, dass die Genannten an „schädlichen Aktionen“ beteiligt gewesen seien. „Heiße Luft“, spottete das Internetjournal Snob.

Wie bedeutend ist die Liste wirklich?

Die russische Öffentlichkeit staunt, dass sich auf der Liste außer schon sanktionierten Putin-Intimfreunden wie Rosneft-Chef Igor Setschin auch liberale Oligarchen wie Michail Prochorow finden, dem Gründer mehrerer kritischer Medien. Außerdem der für seine Zivilcourage bekannte Vorsitzende der Präsidialen Menschenrechtskommission Michail Fedotow. Und emigrierte Unternehmer wie die Bankiersbrüder Alexei und Dmitri Ananjew, die in Russland kaum noch Vermögen oder Einfluss in Russland besitzen.

„Eine sehr mechanische Auswahl“, schreibt die Zeitung Kommersant. „Die Liste wirkt wie eine rein bürokratische Antwort des Finanzministeriums auf das Gesetz zur ,Bekämpfung der Gegner Amerikas mittels Sanktionen’“, sagt der Petersburger Wirtschaftswissenschaftler Dmitri Trawin unserer Redaktion. „Der Kongress hat sein Gesetz erlassen, die Trump-Administration es formal umgesetzt, fast sieht es so aus, als sei damit alles schon vorbei.“ Zumal das Weiße Haus gleichzeitig verkündigte, man werde auf die – in Russland ebenfalls gefürchteten – neuen Sanktionen gegen russische Rüstungsbetrieben verzichten.

Langfristige Folgen noch nicht absehbar

Zahlreiche Wirtschaftsexperten reagierten erleichtert, auch der Rubel zog am Dienstag leicht an. Zuvor kreiste in Oligarchenkreisen wochenlang die Angst vor neuen Sanktionen. Pjotr Awen, Besitzer der Alfa-Bank, kündigte schon an, er müsse die Zusammenarbeit mit mehreren vaterländischen Rüstungsbetrieben einstellen, um amerikanische Strafmaßnahmen zu vermeiden, am Ende fand auch er sich auf der Liste wieder.

Kurzfristig erwarten Politologen nun, dass sich die Elite demonstrativ mit Putins Regime solidarisieren wird. „Und viele einfache Russen werden bei den Präsidentschaftswahlen im März erst recht für Putin stimmen“, sagt Trawin. Aber mittel- bis langfristig seien die Folgen völlig unabsehbar.

Gelistete Russen unter Damoklesschwert

Laut dem Wirtschaftsportal RBK bergen die nichtöffentlichen Zusätze des Berichts außer den Namen von Verwandten der Betroffenen sowie Details über deren Nähe zu Putin sowie ihre Geschäfte im Westen auch mögliche Strafmaßnahmen gegen sie. Und viele russische Beobachter glauben, der US-Kongress könnte jederzeit neue Sanktionsgesetze gegen die aufgelisteten Russen erlassen, diese seien praktisch unter ein Damoklesschwert geraten.

„Das schadet der russischen, aber auch der europäischen Wirtschaft“, sagt der Oppositionspolitiker Wladimir Ryschkow. „Investoren auf beiden Seiten werden bei künftigen Geschäften immer das Risiko amerikanischer Sanktionen einberechnen müssen.“ In Russland dagegen wachse der Einfluss antiwestlicher Kräfte weiter, die das Land isolieren wollten.

Premierminister Dmitri Medwedew aber feierte wie mehrere seine Minister den Platz auf der US-Liste als Errungenschaft: „Wer nicht drauf steht, hat einen Grund zu kündigen.“ Moskaus Medien diskutieren schon, ob das eine Spitze gegen Wladimir Putin gewesen sei könnte.