Brüssel. Die EU-Kommission will die Bundesregierung wegen überschrittener Grenzwerte verklagen. Ministerin Hendricks hat keine guten Karten.

Diese Reise wird keine leichte sein für Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Wenn sie an diesem Dienstag in Brüssel der EU-Kommission Bericht erstattet über die deutschen Pläne gegen die Luftverschmutzung, ist es die allerletzte Chance, eine Klage der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik wegen zu hoher Schadstoffbelastung abzuwenden.

Gut sind die Aussichten der Ministerin nicht: Schon der Umstand, dass Karmenu Vella (Umweltkommissar) Hendricks und ihre Kollegen aus acht anderen EU-Staaten regelrecht zum Rapport bestellt hat, zeigt die angespannte Stimmung. Und obendrein bringt Hendricks unerwartet wenig mit, was den Kommissar umstimmen könnte – die Reise nach Brüssel dürfte eher eine Enttäuschung werden.

Streit mit EU-Kommission läuft schon seit Jahren

Eigentlich hatte die Kommission schon im Dezember Klage beim Europäischen Gerichtshof gegen Deutschland und acht andere EU-Länder – Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien, Ungarn, Tschechien, Rumänien und Slowakei – einreichen wollen: Ihnen wird vorgeworfen, allen förmlichen Mahnungen zum Trotz zu wenig gegen die Belastung an Feinstaub und Stickoxiden zu tun.

Die seit 2005 beziehungsweise 2010 geltenden Grenzwerte werden in Deutschland in zahlreichen Regionen nicht eingehalten, dazu zählen Berlin, Hamburg, Hagen, der Rhein-Main-Raum oder München. In Deutschland beschäftigen sich jetzt auch Gerichte mit möglichen Fahrverboten in einzelnen Städten, der Streit mit der Kommission zieht sich aber schon über Jahre, so lange läuft ein Vertragsverletzungsverfahren.

Bundesregierung kann keine neuen Plänen vorweisen

Die Probleme sind unstrittig, die Geduld der Brüsseler Behörde ist am Ende: „Wir müssen die Bürger schützen“, sagt EU-Kommissar Vella, „es muss juristische Konsequenzen haben, wenn die Luftqualität nicht verbessert wird.“ Die Kommission sei den Millionen Europäern verpflichtet, die unter der schlechten Luftqualität litten. Für diese Bürger seien die Aktionspläne mit Laufzeiten von zehn und mehr Jahren, wie sie betroffene Länder jetzt avisieren, wertlos.

Ziemlich barsch bestellte Vella nun die Minister der Sünderstaaten ein, es ist die allerletzte Chance: Die Regierungsvertreter sollen nachweisen, dass geeignete weitere Schritte unternommen würden, um rasch Abhilfe zu schaffen. Nach den EU-Vorschriften sind bei Überschreitung von Grenzwerten Luftqualitätspläne vorzulegen, die den Missstand schnell beenden sollen. Vella erwartet ausdrücklich „neue, verbindliche“ Pläne, die noch nicht veröffentlicht wurden. Aber damit kann die Bundesregierung nicht dienen.

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    Hendricks bleibt wenig Zeit

    Hendricks hat vor allem jenes schon beim Dieselgipfel im November beschlossene „Sofortprogramm Saubere Luft 2017 bis 2020“ im Gepäck, das eine Milliarde Euro zusätzlich für Maßnahmen in betroffenen Kommunen vorsieht – etwa zur Elektrifizierung von Bussen, die Nachrüstung alter Dieselbusse oder einer besseren Steuerung von innerstädtischen Lastwagenverkehr. Das Konzept kennt die Kommission natürlich schon.

    Hendricks und der geschäftsführende Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU) hatten in einem Brief an Vella Anfang Januar auch noch einmal auf die Pläne verwiesen und gebeten, von einer Klage abzusehen. Die Regierung werde „in ihren Bemühungen zur Emissionsreduzierung nicht nachlassen“, versprachen beide und boten einen Austausch an. Dazu kommt es jetzt, allerdings zu den Bedingungen der Kommission: Genau zwei Stunden ist Zeit, die Brüsseler Beamten noch zu überzeugen.

    Expertengruppen erzielten keine Ergebnisse

    Hendricks könnte auf die vier beim Dieselgipfel eingesetzten Expertengruppen verweisen, die konkrete Maßnahmen wie die Nachrüstung alter Diesel-Pkw erarbeiten sollten, die rasch zur spürbaren Stickstoffdioxidreduzierung führen würde. Doch Ergebnisse liegen überraschend noch nicht vor, in mehreren Arbeitsgruppen gab es Streit. Dafür trägt die Umweltministerin nicht die Verantwortung, sie hätte ohnehin viel lieber strengere Luftreinhalteprogramme durchgesetzt. Brüskiert ist die gesamte Bundesregierung, die nun mit ziemlich leeren Händen dasteht.

    Die Regierung steckt ohnehin in der Klemme: Sie wird – als Konsequenz des föderalen Staatsaufbaus in Deutschland – von der Kommission für Unterlassungen haftbar gemacht, die aber vorwiegend Länder und Kommunen zu verantworten haben. Große Hoffnung dürfte sich Hendricks daher nicht machen. Aber diese letzte Chance, heißt es in Regierungskreisen, habe auf jeden Fall etwas Gutes – so habe die Kommission Deutschland nicht schon eher verklagen können.