Hannover. Keinen hat das plötzliche Ende der Jamaika-Sondierungen so schwer getroffen wie Cem Özdemir. Nun wählt der Parteitag seine Nachfolger.

Er hat seine Grünen oft genervt. Der provokanteste Spruch war wohl der: Man könne die Terrormiliz „Islamischer Staat“ nicht mit der „Yoga-Matte unterm Arm bekämpfen“. So rechtfertigte Cem Özdemir vor ein paar Jahren deutsche Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak. Ein schnippischer Seitenhieb auf viele in der eigenen Partei – sowie die Ökos in Prenzlauer Berg und anderen Zeitgeist-Vierteln. Ein Spruch, sogar zu viel für manche aus seinem Realo-Flügel. Er sagt gern, er habe es seiner Partei nicht leicht gemacht – und seine Partei es ihm auch nicht.

Jetzt geht er. Nach mehr als neun Jahren an der Spitze der Grünen tritt Cem Özdemir, 52 Jahre alt, nicht mehr an. Sein Nachfolger wird vermutlich Robert Habeck, der sich an diesem Samstag auf dem Parteitag in Hannover zur Wahl stellt. Niemand bei den Grünen hat das plötzliche Ende der Jamaika-Sondierungen so schwer getroffen wie Özdemir. Er hätte Außenminister werden können. Oder Wirtschaftsminister. Oder wenigstens Entwicklungshilfeminister. Doch die FDP hatte keine Lust mehr auf Schwarz-Gelb-Grün – und brach die Gespräche ab. Nun ist Özdemir zunächst mal nur einfacher Abgeordneter. Hinterbänkler.

Özdemir scheute die Konfrontation mit Jürgen Trittin

Seine Co-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt hielt sich im Amt der Fraktionschefin, auch wenn sie nur von etwa zwei Dritteln der Abgeordneten bestätigt wurde. Özdemir hatte überlegt, sich auf den Fraktionsvorsitz zu bewerben. Doch er erkannte, dass er keine Chance gegen den amtierenden Fraktionschef Anton Hofreiter vom linken Flügel hatte. Özdemir spielte auf Sicherheit, ähnlich wie vor der Wahl 2013, als er bei der Urwahl die Konfrontation mit Jürgen Trittin scheute.

Simone Peter verzichtet wie auch Cem Özdemir auf erneute Kandidatur

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    Özdemir, Kind von Gastarbeitern aus der Türkei, geboren und aufgewachsen in Baden-Württemberg, was man auch hört. Anatolischer Schwabe nennt er sich selbst gern. 1994 zog er für die Grünen in den Bundestag ein, damals noch in Bonn. Er war einer der ersten Abgeordneten mit Migrationshintergrund. Zuletzt trieb ihn vor allem das Thema Türkei um. So wurde er zum prominentesten und schärfsten Kritiker des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Deutschland. Auch im Wahlkampf heizte er dem starken Mann in der Türkei ein: „Erdogan ist kein Präsident, sondern ein Geiselnehmer.“

    Der 69-jährige Kretschmann wirkt nicht amtsmüde

    „Ich bin noch nicht fertig“, diesen Satz hat Özdemir in den vergangenen Wochen mehrmals gesagt. Die Frage ist: Wird der anatolische Schwabe, wie er sich nennt, eines Tages Kretschmann als Ministerpräsident von Baden-Württemberg nachfolgen? Kretschmann, 69 Jahre alt, wirkt nicht amtsmüde. Doch irgendwann könnte Özdemir der Nachfolger sein. Ein Mann, bundesweit populär, der den Südwesten versteht, könnte den drohenden Machtverlust der Grünen nach der Ära Kretschmann abwenden.

    Özdemir hat zuletzt mehrfach betont, wenn es zu Neuwahlen kommt, würde er wieder als Spitzenkandidat antreten. Doch das muss man bezweifeln. Sollte Habeck, wonach alles aussieht, am Sonnabend zum neuen Parteichef gewählt werden, wird er Özdemir im Fall von Neuwahlen wohl kaum den Vortritt lassen.

    Das sind die Verlierer des Jahres in der Politik

    In einer exklusiven Umfrage für unsere Redaktion hat das Meinungsforschungsinstitut Kantar Emnid nach den Verlierern des Jahres unter den Politikern gefragt. Markus Söder schnitt dabei noch am besten ab. Nur 23 Prozent der Befragten sehen den CSU-Mann als einen Verlierer.
    In einer exklusiven Umfrage für unsere Redaktion hat das Meinungsforschungsinstitut Kantar Emnid nach den Verlierern des Jahres unter den Politikern gefragt. Markus Söder schnitt dabei noch am besten ab. Nur 23 Prozent der Befragten sehen den CSU-Mann als einen Verlierer. © REUTERS | MICHAELA REHLE
    Neben Söder blieb nur ein weiterer unter der 40-Prozent-Hürde: Cem Özdemir. Den Bundesvorsitzenden der Grünen sehen nur 34 Prozent der Befragten als Verlierer an. 45 Prozent werten ihn gar als Gewinner – Top-Wert in unserer Umfrage.
    Neben Söder blieb nur ein weiterer unter der 40-Prozent-Hürde: Cem Özdemir. Den Bundesvorsitzenden der Grünen sehen nur 34 Prozent der Befragten als Verlierer an. 45 Prozent werten ihn gar als Gewinner – Top-Wert in unserer Umfrage. © dpa | Sebastian Gollnow
    Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner hat nach dem Aus der Jamaika-Verhandlungen an Zustimmung verloren. 40 Prozent der Befragten sehen in dem Mann, der die FDP zurück in den Bundestag geführt hat, einen Verlierer.
    Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner hat nach dem Aus der Jamaika-Verhandlungen an Zustimmung verloren. 40 Prozent der Befragten sehen in dem Mann, der die FDP zurück in den Bundestag geführt hat, einen Verlierer. © dpa | Michael Kappeler
    Nur wenig besser kommt Sigmar Gabriel (SPD) weg: Den früheren SPD-Chef werten 41 Prozent als Verlierer.
    Nur wenig besser kommt Sigmar Gabriel (SPD) weg: Den früheren SPD-Chef werten 41 Prozent als Verlierer. © dpa | Michael Kappeler
    AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland führte erstmals eine rechtspopulistische Partei in den Bundestag. Dennoch wird von 42 Prozent der Befragten als Verlierer gesehen, ebenso wie . . .
    AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland führte erstmals eine rechtspopulistische Partei in den Bundestag. Dennoch wird von 42 Prozent der Befragten als Verlierer gesehen, ebenso wie . . . © REUTERS | FABIAN BIMMER
    . . . Andrea Nahles. Die neue SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag ist eine der wenigen, die trotz der SPD-Schlappe gefestigt erscheinen bei den Sozialdemokraten.
    . . . Andrea Nahles. Die neue SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag ist eine der wenigen, die trotz der SPD-Schlappe gefestigt erscheinen bei den Sozialdemokraten. © dpa | Michael Kappeler
    Sahra Wagenknecht belegt Platz vier im Ranking der größten Verlierer: 43 Prozent der Befragten sind der Meinung, die Linken-Spitzenfrau habe 2017 an Rückhalt eingebüßt.
    Sahra Wagenknecht belegt Platz vier im Ranking der größten Verlierer: 43 Prozent der Befragten sind der Meinung, die Linken-Spitzenfrau habe 2017 an Rückhalt eingebüßt. © dpa | Michael Kappeler
    Wie die anderen Chefs der GroKo-Parteien wird auch die Kanzlerin kritisch gesehen. Angela Merkel ist in den Augen von 53 Prozent der Befragten eine Verliererin.
    Wie die anderen Chefs der GroKo-Parteien wird auch die Kanzlerin kritisch gesehen. Angela Merkel ist in den Augen von 53 Prozent der Befragten eine Verliererin. © dpa | Boris Roessler
    Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hat vor allem in Bayern an Rückhalt verloren, Markus Söder wird immer wieder als sein Nachfolger an der Parteispitze gehandelt. 61 Prozent der Teilnehmer unserer Umfrage werten den CSU-Chef daher als Verlierer.
    Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hat vor allem in Bayern an Rückhalt verloren, Markus Söder wird immer wieder als sein Nachfolger an der Parteispitze gehandelt. 61 Prozent der Teilnehmer unserer Umfrage werten den CSU-Chef daher als Verlierer. © dpa | Sven Hoppe
    Unrühmlicher Gewinner dieses Rankings: der SPD-Vorsitzende Martin Schulz. Hoch geflogen war der frühere EU-Parlamentspräsident nach der Ablösung von Sigmar Gabriel, dann aber auch wieder tief gefallen bis zur Bundestagswahl. Für 67 Prozent der von uns Befragten macht ihn das zu einem Verlierer.
    Unrühmlicher Gewinner dieses Rankings: der SPD-Vorsitzende Martin Schulz. Hoch geflogen war der frühere EU-Parlamentspräsident nach der Ablösung von Sigmar Gabriel, dann aber auch wieder tief gefallen bis zur Bundestagswahl. Für 67 Prozent der von uns Befragten macht ihn das zu einem Verlierer. © dpa | Michael Kappeler
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