Berlin. Die Fraktionschefs Kauder und Nahles werben für eine neue Große Koalition. In der Union wird aber über die „zögerliche SPD“ geschimpft.

Volker Kauder muss sich etwas gedulden. Der Flieger von Andrea Nahles hat Verspätung. Das passt ganz gut zur aktuellen Lage bei der Regierungssuche. Die Union drängelt, will bis Karneval unbedingt fertig werden. Die nach ihrem Zitter-Parteitag mehr denn je gespaltene SPD zaudert. Kauder, der Fraktionschef von CDU/CSU, stellt am Mittwoch in der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) am Tiergarten ein Buch vor, das ihm sehr am Herzen liegt. Es handelt von Peter Struck.

Der frühere Chef der SPD-Abgeordneten im Bundestag und Ex-Verteidigungsminister starb vor fünf Jahren. Kauder und Struck waren dicke Kumpels. Sie hielten zwischen 2005 und 2009 manches Mal die große Koalition zusammen. Ohne starke Fraktionschefs, keine starke Regierung. Deshalb sind Hunderte Gäste zur FES gekommen.

Können Nahles und Kauder miteinander?

Zum einen wollen sie Strucks Andenken ehren, der an diesem Mittwoch 75 Jahre alt geworden wäre, zum anderen einfach mal schauen, kann das was werden zwischen Kauder und Nahles, die mit auf dem Podium sitzt. Um die Antwort vorweg zu nehmen: Ja, sie können ganz gut miteinander. An den beiden würde eine neue GroKo nicht scheitern.

Dafür will Kauder – als Erinnerung an den Motorrad-Fan Struck, der gern mal in Biker-Montur im Bundestag auftauchte – einen Schatz aus seinem Kleiderschrank daheim in Tuttlingen holen. „Wenn es zur großen Koalition kommt, trete ich in Berlin in meiner roten Lederjacke auf!“ Nahles lacht dröhnend. „Das wird unseren Mitgliederentscheid positiv beeinflussen.“

440.000 Genossen müssen noch „ja“ sagen

Nach dem hauchdünnen Ja des SPD-Sonderparteitags zu Koalitionsverhandlungen wartet die nächste Hürde. Der Koalitionsvertrag muss noch von 440.000 Genossen an der Basis angenommen werden. Die Jusos werben dafür, schnell in die SPD einzutreten, um Schwarz-Rot zu verhindern.

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    Der Merkel-Vertraute Kauder weiß, wenn die Kanzlerin sicher im Amt bleiben will, ist die Union nun dringender denn je auf Nahles angewiesen. Sie drehte in Bonn mit einer Ruck-Rede den Parteitag. Ihre Macht in der SPD wächst gerade in dem Tempo, in dem sie Parteichef Martin Schulz zwischen den Fingern zerrinnt. So preist Kauder seine „ausgezeichnete Arbeitsbeziehung“ in Nahles’ Zeit als Sozialministerin.

    Nahles und Kauder sind beide praktizierende Christen

    Auch der Glaube verbindet beide. Nahles, tief verwurzelt in der Eifel, schenkte ihm 2014 ein Kreuz aus dem Kloster Maria Laach. Es stehe noch immer in seinem Büro, erzählt Kauder, um dann Nahles vor Augen zu führen, was alles möglich ist, wenn die Chefs der Regierungsfraktionen sich blind verstehen.

    Konnten Struck und Kauder sich bei einem Gesetzentwurf nicht einigen, wurde eine Münze geworfen. „Bei uns nicht“, ruft Nahles resolut dazwischen. Zu große Nähe, zu viel Kumpanei könnte kurz vor dem Mitgliederentscheid gefährlich sein. Kauder beißt sich auf die Zunge. Er wisse ja, man müsse mit der SPD sehr vorsichtig umgehen. Er hoffe aber, dass der Schwebezustand, „wie wir unser Land in der ganzen Welt präsentieren“, bald beendet werden könne. Viele bei CDU und CSU sind genervt.

    Gibt Union nach, kann sich SPD eher bewegen

    Noch immer ist unklar, ob die Unterhändler am Freitag, am Wochenende oder erst am Montag loslegen. Die SPD-Spitze – die am Donnerstag in Klausur ist – sei unsortiert, kostbare Verhandlungszeit gehe verloren, sagt Kauder. Er simste Nahles, machte Druck bei den Terminen. Sonst würden die zögerlichen Koalitionäre im Straßenkarneval fertig gemacht: „Da schneiden wir granatenmäßig schlecht ab.“

    Die Genossin kontert: „Das hängt ja an Euch…“ Das soll heißen: Gibt die Union beim Familiennachzug von Flüchtlingen, bei mehr Rechten für Kassenpatienten und bei der Befristung von Arbeitsverträgen nach, könnte die SPD sich schneller bewegen. Kauder entgegnet, die Union werde schauen, wo noch was geht – „ob’s quietscht, ist mir auch egal, wenn es am Ende zu einem gutem Ergebnis führt“. Nahles hatte auf dem Parteitag Verhandlungen „bis es quietscht“ angekündigt.

    Nahles sagt, ihre SPD sei zu verzagt, müsse Profil zeigen

    Vielleicht sollten sich beide Seiten an das „Strucksche Gesetz“ erinnern. „Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es hineingekommen ist“, sagte Struck einst. Das könnte auch für das Sondierungspapier von Union und SPD gelten. Zeit schinden will Nahles jedenfalls nicht. In zwei Wochen will sie lieber mit ihrer siebenjährigen Tochter Fastnacht feiern statt in Berlin Papiere zu wälzen.

    Andere in der SPD bremsen. Breche man den Koalitionsvertrag übers Knie, könne sich das beim Mitgliederentscheid bitter rächen, heißt es. Nahles kritisiert, ihre SPD sei zu verzagt, müsse mehr Profil zeigen. Dafür sollen Parlament und Fraktionen stärker im Rampenlicht stehen.

    Spontan fällt Kauder und Nahles ein, „Knallerdebatten“ oder die Befragung der Regierung abends zur TV-Primetime anzusetzen. Erst müssen sich CDU, CSU und SPD zusammenraufen. An ein Scheitern mag Kauder nicht denken. „Wenn uns das jetzt nicht gelingt, dann kann es für alle Volksparteien und für unser Land schwierig werden.“