Berlin. Wird Deutschland künftig Milliarden Euro jährlich mehr in den EU-Haushalt einzahlen? Die Bundesregierung muss reinen Wein einschenken.

Diese Debatte ist unbequem, aber sie ist überfällig: Die deutsche Politik muss den Steuerzahlern endlich reinen Wein einschenken – und sie darauf vorbereiten, dass auch Deutschland demnächst einige Milliarden Euro mehr pro Jahr in den EU-Haushalt einzahlen wird als heute.

Bislang drückt sich die Bundesregierung, von Außenminister Sigmar Gabriel abgesehen, um diese Wahrheit herum. Aber man kann es drehen und wenden wie man will: Wenn die Europäische Union jetzt nicht in eine selbst gemachte Strukturkrise oder in einen dramatischen Verteilungskonflikt treiben soll, sind ab 2021 – überschaubare – Mehrbelastungen der bisherigen Netto-Geberländer unausweichlich. Und ebenso deutliche Einsparungen bei jenen, die mehr aus der EU-Kasse erhalten als sie einzahlen.

Nationaler Eigenanteil lässt sich erhöhen

Die Rechnung ist einfach: Zum einen reißt der EU-Austritt des großen Nettozahlers Großbritannien ein Loch von rund 13 Milliarden Euro in den gemeinsamen Brüsseler Haushalt; fast ein Zehntel des Gesamtetats. Zum anderen haben die Mitgliedstaaten überaus ambitionierte Pläne für eine stärkere Zusammenarbeit Europas etwa bei der Verteidigung, dem Grenzschutz oder der Forschung; die Vorhaben sind unumstritten, sie bieten echten Mehrwert und werden langfristig die nationalen Haushalte entlasten – aber in der Brüsseler Kasse dürften sie mit bis zu zehn Milliarden Euro zu Buche schlagen.

Wie finanzieren? Die jetzt in Brüssel versuchsweise diskutierte Idee einer europäischen Plastiksteuer hat ihre Tücken – und ist in absehbarer Zeit kaum durchsetzbar. Forderungen, die fehlenden insgesamt mehr als 20 Milliarden einfach anderswo einzusparen, sind so wohlfeil wie unrealistisch. Sicher, Spielraum gibt es in vielen Brüsseler Töpfen. Auch der nationale Eigenanteil bei EU-Förderprogrammen lässt sich erhöhen. Haushaltskommissar Oettinger will ja bereits den Rotstift ansetzen, fast bei allen Programmen schlägt er Kürzungen vor.

Bundesregierung muss fairen Anteil leisten

Aber Vorsicht: Schon relativ milde Einschnitte etwa bei der Regionalförderung würden dazu führen, dass das wohlhabende Deutschland gar kein Geld mehr aus diesen Töpfen bekäme. Wer bei den Kürzungen überzieht, riskiert immensen politischen Schaden und beschädigt das europäische Grundprinzip der Solidarität. Kompromissbereitschaft von allen Seiten ist deshalb gefragt, auch von Deutschland.

Nein, Berlin ist schon lange nicht mehr der Zahlmeister, der einspringt, wenn die anderen nicht mehr wollen. Aber die Bundesregierung muss bereit sein, ihren fairen Anteil zu leisten, damit Europa gestärkt aus dem Brexit hervorgeht. Je offener Berlin dabei agiert, desto schwerer wird es für andere, sich zu verweigern.

Bürger wollen eine ehrliche Ansage haben

Drei, vier Milliarden Euro mehr könnten am Ende für Deutschland auf der Rechnung stehen. Kein Pappenstiel. Aber: Deutschland als große Industrie- und Exportnation profitiert von der EU und ihrem Binnenmarkt ganz besonders. Und wir sind zwar größter Nettozahler, aber pro Kopf
gerechnet bringen Niederländer, Schweden oder Luxemburger deutlich mehr für die Europäische Union auf als wir.

Umso unverständlicher, wie verdruckst die Regierung der europäischen Führungsnation Nummer eins mit diesem Thema umgeht. Schluss damit: Union und SPD müssen die Frage der EU-Finanzen ganz schnell auf ihre Tagesordnung setzen – auch im Interesse der Bürger, die Anspruch auf ehrliche Ansagen haben. Wer Mehrzahlungen an Brüssel ablehnt, muss sagen, wie die Finanzlücke sonst geschlossen werden soll. Nur eines geht nicht mehr in Berlin: Einfach wegducken und der Debatte ausweichen.