Ankara. In der Türkei steht ein wohl wegweisendes Urteil des Verfassungsgerichtes an. Das Urteil könnte Auswirkungen auf Deniz Yücel haben.

In der Türkei verhandelt das Verfassungsgericht am Donnerstag über das Schicksal dreier inhaftierter Journalisten, die nach dem Putschversuch vom Juli 2016 in Untersuchungshaft kamen. Sollte das Gericht ihre Freilassung anordnen, könnten sich auch rund 150 weitere gefangene Journalisten Hoffnung auf ein Ende der U-Haft machen, darunter der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel.

Die Verfassungsrichter beraten jetzt über die Beschwerden der Journalisten Mehmet Altan, Sahin Alpay und Turhan Günay. Ihnen werden Verbindungen zum Prediger Fethullah Gülen und Pläne zum Umsturz der verfassungsrechtlichen Ordnung vorgeworfen. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan macht den im Exil lebenden Geistlichen Gülen für den Putschversuch verantwortlich. Dass die Verfassungsrichter sich überhaupt mit den Beschwerden der drei Inhaftierten befassen, werten Beobachter als gutes Zeichen.

Wollen Richter einem Urteil des Menschrechtsgerichtshof zuvorkommen?

In früheren Fällen wies das Gericht ähnliche Anträge meist ab. Dass es nun tätig wird, könnte damit zusammenhängen, dass vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerden inhaftierter türkischer Journalisten anhängig sind. Möglicherweise wollen die Verfassungsrichter einem in nächster Zeit erwarteten Urteil des EGMR zuvorkommen. Auch mit dem Fall Yücel ist der EGMR befasst. Die „Welt“ hat dort geklagt, weil sie in der Inhaftierung ihres Korrespondenten eine Verletzung der Meinungs- und Pressefreiheit sieht.

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    Ob das türkische Verfassungsgericht am Donnerstag eine Entscheidung fällt, ist noch offen. Ungewiss bleibt auch, ob es sich um eine Grundsatzentscheidung handeln wird. Dann würde das Urteil nicht nur die drei Antragsteller betreffen, sondern auch Auswirkungen für andere inhaftierte Journalisten haben, wie Yücel.

    Opposition: 171 Journalisten sitzen in Türkei in Haft

    Unabhängig von der Beratung am Donnerstag beschäftigt sich das türkische Verfassungsgericht in einem zweiten Verfahren mit dem Fall des „Welt“-Korrespondenten. Dessen Anwälte haben im März 2017 Haftbeschwerde eingereicht. Das Verfahren verzögert sich, weil die türkische Regierung erst nach neun Monaten (Anfang Januar) gegenüber dem Gericht die Untersuchungshaft begründete. In der nächsten Woche sollen Yücels Anwälte dem Verfassungsgericht ihre Stellungnahme vorlegen.

    Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 ließ die türkische Regierung 187 kritische Medien verbieten oder enteignen. Rund 900 Journalisten entzog sie die staatlichen Presseausweise. Nach Angaben der Oppositionspartei CHP sitzen 171 Journalisten in Untersuchungs- und Strafhaft, mehr als in jedem anderen Land. Erdogan sieht dagegen sein Land als Vorreiter der Pressefreiheit: „Was die Pressefreiheit, neueste Kommunikationstechnologien, soziale Medien und Onlinejournalismus angeht, ist die Türkei eines der führenden Länder der Welt“, sagte Erdogan .