Berlin. Hans-Jürgen Papier fordert die Amtszeit von Bundeskanzlern zu begrenzen. Er hat weitere Vorschläge dafür, die Demokratie zu stärken.

Bekommt Angela Merkel ihre vierte Amtszeit als Bundeskanzlerin – in der dritten großen Koalition seit 2005? Finden vor allem deswegen keine Neuwahlen statt, weil die verfassungsrechtlichen Hürden so hoch sind? Die schleppende Regierungsbildung – seit der Bundestagswahl sind schon 15 Wochen vergangen – wirft auch grundlegende Rechtsfragen auf, die der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, im Interview mit dieser Zeitung beantwortet.

Professor Papier, wäre es besser, die Amtszeit des Bundeskanzlers zu begrenzen – etwa auf zwei Wahlperioden?

Hans-Jürgen Papier: Eine Begrenzung der Amtsperioden des Bundeskanzlers erscheint in einem parlamentarischen Regierungssystem wie dem des Grundgesetzes auf den ersten Blick als Fremdkörper. Denn dieses ist dadurch gekennzeichnet, dass der Bundeskanzler ohnehin stets vom politischen Vertrauen der Mehrheit des Parlaments abhängig ist. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben allerdings gezeigt, dass man eine solche Begrenzung durchaus erwägen sollte. Sie würde einerseits der fortgeschrittenen Entwicklung zur „Kanzlerdemokratie“ zulasten der parlamentarischen Demokratie entgegenwirken. Sie würde zum anderen die innerparteiliche Demokratie sowie die inhaltliche und personelle Pluralität und Mobilität der jeweiligen „Kanzlerpartei“ stärken. Beides käme der Demokratie und ihrer ­Akzeptanz durch die Bevölkerung zugute.

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    Sollte die Wahlperiode zugleich auf fünf Jahre ausgeweitet werden?

    Papier: Ich würde eine fünfjährige Legislaturperiode auch auf der Bundesebene aus verschiedenen Gründen befürworten. Auf der Ebene der Bundesländer ist sie ohnehin anzutreffen. Sie würde etwa die Stellung und Funktionsfähigkeit der Volksvertretung stärken und dem Trend der Entparlamentarisierung der Politik entgegenwirken. Auch könnten Kontinuität, Gründlichkeit und Rationalität der Gesetzgebung gestärkt werden.

    Der Bundespräsident hat nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen deutlich gemacht, dass er den Weg zu einer weiteren Bundestagswahl nicht freimachen will. Sind die verfassungsrechtlichen Hürden für Neuwahlen in Deutschland zu hoch?

    Papier: Es empfiehlt sich, ein Selbstauflösungsrecht des Parlaments mit einer besonders qualifizierten Mehrheit im Grundgesetz vorzusehen. Damit würde auch der in der Vergangenheit gewählte Weg eines mehr oder weniger konstruierten und daher rechtlich problematischen Misstrauensvotums vermeidbar werden. Im Hinblick auf die zurzeit zu beobachtende Verzögerung der Wahl eines Bundeskanzlers und damit einer Regierungsbildung wäre zu überlegen, die Ausübung des Vorschlagsrechts des Bundespräsidenten nach Artikel 63 des Grundgesetzes, ohne dieses es eine Kanzlerwahl nicht geben kann, künftig ausdrücklich mit einer Fristenregelung zu versehen. Davon würde auch von Anfang an ein gewisser zeitlicher Druck auf Koalitionsverhandlungen ausgehen.