Teheran/Tunis. Bei Protesten im Iran sind bisher zehn Menschen getötet worden. Demonstranten kritisieren vor allem das Wirtschaftssystem des Staates.

Auslöser waren gestiegene Eierpreise. Seitdem eskaliert der Ärger über Irans Alltagsmisere immer mehr zum Grundsatzprotest gegen die Herrschaft der Mullahs, die Tyrannei der Islamischen Republik sowie die kostspieligen Interventionen in Syrien, Libanon, Gaza und Irak.

„Überlasst Syrien sich selbst, denkt auch mal an uns“ und „Kein Gaza, kein Libanon – unser Leben ist für den Iran“, skandierten die Menschen in Teheran und zwei Dutzend anderen Städten, darunter auch Qom, dem Zentrum des religiösen Establishments. Tag für Tag fordern die Demonstranten jetzt die Freilassung aller politischen Gefangenen und rufen „Tod dem Diktator“, eine direkte Anspielung auf den Obersten Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei.

Bisher mindestens zehn Tote

In Teheran ging die Polizei auch in der Nacht zu Neujahr wieder mit Tränengas gegen die Menge vor und lieferte sich Straßenschlachten mit Steinewerfern. Hunderte Menschen wurden verhaftet. Mindestens elf Menschen kamen ums Leben, bisher ausschließlich in kleineren Provinzorten. Bei Protesten im Iran ist am Montag beispielsweise ein Polizist getötet worden. Nach Berichten der Nachrichtenagentur Tasnim wurde der Polizist in Nadschafabad im Zentraliran von einem bewaffneten Demonstranten ermordet, drei weitere seien verletzt worden. In dem Städtchen Dorud im Westen wurden zwei Menschen durch ein Feuerwehrauto getötet, das Demonstranten zuvor gestohlen hatten.

In Izeh im Südwesten starben zwei, in Tuyserkan sechs Demonstranten, als plötzlich Schüsse fielen. Unklar ist in beiden Fällen, ob die Opfer von Polizeikugeln getroffen wurden. Die jetzt schon fünf Tage andauernden Unruhen sind die größten Massendemonstrationen seit der Grünen Bewegung im Jahr 2009. Damals gingen viele Tausend Iraner über sechs Monate lang auf die Straße, um gegen die manipulierte Wiederwahl des damaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad zu protestieren.

Ruhani verteidigt Recht auf Protest

Dessen Nachfolger Hassan Ruhani verteidigte in einer TV-Botschaft das Recht des Volkes auf Kritik und Protest, ging aber gleichzeitig mit allen scharf ins Gericht, die öffentliche Gebäude wie Kommunalverwaltungen, Polizeistationen und Koranschulen angreifen oder Autos anzünden. Ruhani, gegen den seit vielen Monaten eine wüste Medienkampagne der Hardliner läuft, forderte zudem mehr Transparenz und Fairness in der Berichterstattung von Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen. „Unsere Land steht vor schweren Herausforderungen wie Arbeitslosigkeit, Inflation, Korruption, Wassermangel, soziale Spaltung und eine ungerechte Verteilung des Staatshaushaltes“, präzisierte Hesamoddin Ashena, einer der Berater des Präsidenten, und fügte hinzu, die Menschen hätten ein Recht darauf, dass ihre Stimme gehört werde.

Ebenfalls um die Gemüter zu beruhigen, gab die Polizeiführung von Teheran bekannt, man werde nicht mehr mit aller Strenge gegen Frauen vorgehen, die „unanständig gekleidet“ seien. Auf Videos und Fotos der letzten Tage waren junge Iranerinnen zu sehen, die sich ohne Kopftuch an den Protesten beteiligten, was in der Islamischen Republik streng verboten ist.

Plattformen Telegram und Instagram wurden blockiert

Um das Ausmaß der Unruhen zu verschleiern und die Koordination der verschiedenen Landesteile zu behindern, sperrte das Regime am Wochenende die einzigen noch zugänglichen sozialen Plattformen Telegram und Instagram. Twitter und Facebook sind bereits seit vielen Jahren blockiert, genauso wie die Websites der meisten internationalen Medien. Die Staatszeitungen überschlugen sich mit düsteren Verschwörungstheorien und machten amerikanische, britische und israelische Spione für die Unruhen verantwortlich. Örtlichen iranischen Journalisten wurde der Zugang zu Protestkundgebungen verwehrt. Die Revolutionären Garden drohten, man werde mit harten Schlägen antworten, wenn das Ganze nicht aufhöre.

Die Mehrzahl der Demonstranten sind junge Männer zwischen 20 und 30, viele von ihnen sind frustriert und arbeitslos, sie sehen keine Zukunft für sich. Für ihre Lebensmisere machen sie die klerikalen Hardliner um Ajatollah Ali Chamenei, aber auch die Regierung des relativ moderaten Präsidenten Hassan Ruhani verantwortlich. Ruhani konnte zwar 2015 durch den Atomvertrag mit den UN-Vetomächten plus Deutschland die internationalen Sanktionen gegen sein Land beenden, der wirtschaftliche Aufschwung in der Islamischen Republik jedoch lässt weiter auf sich warten. Denn die Korruption stranguliert alle Bereiche.

Wirtschaftlich gibt es kaum Wettbewerb

Die Revolutionären Garden kon­trollieren mit ihren Industrie-Konglomeraten beträchtliche Teile der Wirtschaft und sträuben sich hartnäckig gegen mehr Wettbewerb. Der iranische Bankensektor ist so verrottet, dass viele Tausende Bürger in letzter Zeit ihre Ersparnisse verloren. Mit zu der Empörung in der Bevölkerung trug aber auch Ruhanis Entscheidung bei, seine Landsleute zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik über das Ausmaß der finanziellen Selbstbedienung seiner Hardliner-Kontrahenten aufzuklären.

Der Präsident ordnete an, die bisher verschleierten Milliarden-Überweisungen aus dem Staatshaushalt für religiöse Stiftungen und obskure klerikale Forschungsinstitute konkret zu beziffern und offenzulegen. Auf diese Weise erfuhr jeder im Iran, welche Unsummen der politische Klerus seit Jahren in die eigenen Taschen schaufelt, während der Alltag der normalen Menschen immer härter wird. „Ihr Kapitalisten-Mullahs“, skandierten die Studenten jetzt vor den Toren der Teheraner Universität, „gebt uns unser Geld zurück“.