Berlin. Joachim Herrmann von der CSU ist für neue Regeln zur Zuwanderung. Dies schließt auch Abschiebung von jugendlichen Kriminellen ein.

In der CSU wächst die Ungeduld. Ein neues Bündnis mit der SPD soll jetzt schnell geschmiedet werden. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann – er war Spitzenkandidat seiner Partei bei der Bundestagswahl und wird einflussreicher CSU-Unterhändler in den Sondierungen sein – zeigt sich in Zuwanderungsfragen allerdings kompromisslos.

Herr Minister,seit zehn Wochen ist Deutschland ohne echte Regierung. Woran merkt man das eigentlich?

Joachim Herrmann:Das ist für die Bürger auf der Straße nicht sofort und unmittelbar mit Händen zu greifen. Aber man darf die langfristigen Auswirkungen einer Regierung, die nur geschäftsführend im Amt ist, nicht unterschätzen. Wir haben dringenden gesetzlichen Handlungsbedarf, etwa bei den versprochenen Steuererleichterungen. Dazu kommt die eingeschränkte Handlungsfähigkeit auf der europäischen Ebene. Das zeigt auch, dass uns dieses Gerede über Minderheitsregierungen überhaupt nicht weiterbringt. Eine Kanzlerin, die nach Brüssel fährt, muss wissen, wie groß ihr Verhandlungsspielraum ist. Wir brauchen dringend klare Mehrheiten im Parlament, wir brauchen verlässliche Koalitionen.

Kommt die nächste große Koalition denn zustande?

Herrmann Ich sehe eine starke demokratische Verantwortung, daran konstruktiv mitzuwirken. Die CSU ist dazu bereit. Ich hoffe, dass die Sozialdemokraten diese Verantwortung genauso spüren. Stimmen die inhaltlichen Schnittmengen, müssen wir die große Koalition stemmen. Die Wählerinnen und Wähler fordern zu Recht, dass Deutschland so bald wie möglich eine neue, stabile Regierung hat.

Woran können die Sondierungen scheitern?

Herrmann Wir sollten in die Gespräche gehen, ohne schon zu Beginn mit ihrem Abbruch zu drohen. Natürlich gibt es Dinge wie die Bürgerversicherung, wo wir vonseiten der Union überhaupt keinen Spielraum sehen. Von entscheidender Bedeutung ist für uns außerdem eine dauerhafte Begrenzung der Flüchtlingszahlen.

Erklären Sie das „Regelwerk“, auf das sich die Union bei der Zuwanderung verständigt hat, für unverhandelbar?

Herrmann Es ist absurd, dass Teile der SPD noch mehr Flüchtlinge aufnehmen wollen als bisher. Dafür haben auch viele sozialdemokratische Wähler wenig Verständnis. Wir haben die gemeinsame Verantwortung, konkrete Beschlüsse zu fassen. Dazu zählt, die Fluchtursachen besser zu bekämpfen – mit Entwicklungshilfe, einer modernen Afrikapolitik und auch mit dem Einsatz der Bundeswehr. Dazu zählen aber auch Kontrollen an den deutschen Grenzen – und eine schnellere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber. Dadurch können falsche Anreize vermieden werden. Ein Flüchtling darf nicht glauben, dass er auch nach Ablehnung seines Asylantrags bleiben kann, wenn er es einmal nach Deutschland geschafft hat. Mit diesem Irrglauben muss endlich Schluss sein.

Sollen auch minderjährige Flüchtlinge abgeschoben werden, die allein nach Deutschland gekommen sind – etwa, wenn sie Straftaten begehen?

Herrmann Für mich ist klar, dass kriminelle jugendliche Flüchtlinge häufiger und konsequenter abgeschoben werden müssen. Wir erreichen damit mehr Sicherheit für die hier lebende Bevölkerung und senden gleichzeitig ein wichtiges Signal: Der deutsche Rechtsstaat weiß sich zu wehren, kriminelles Verhalten dulden wir hier nicht.

Ist das vereinbar mit europäischem Recht?

Herrmann Die EU-rechtlichen Hürden für die Abschiebung jugendlicher Straftäter sind hoch. Wenn es keine Verwandten vor Ort gibt, muss sichergestellt sein, dass sich im Herkunftsstaat die Behörden um den Jugendlichen kümmern. Wir schöpfen in Bayern den rechtlichen Rahmen bereits voll aus. Abschiebungen scheitern aber trotzdem häufig, weil einige Herkunftsstaaten schlecht kooperieren. Der Bund muss deshalb bei der Verhandlung von Rückführungsabkommen eine bessere Kooperation bei Abschiebungen durchsetzen. Das gilt natürlich auch, wenn es um jugendliche Kriminelle geht.

Nach dem Todesfall von Kandel – ein junger afghanischer Flüchtling steht unter dringendem Tatverdacht, ein 15-jähriges Mädchen in einer Drogerie erstochen zu haben – kam von Ihnen eine weitreichende Forderung: Alle ankommenden Flüchtlinge, die nicht klar als Kinder zu erkennen sind, sollten einer medizinischen Altersüberprüfung unterzogen werden. Wie soll das funktionieren?

Herrmann Es kann doch nicht sein, dass wir in Deutschland jemand als minderjährig behandeln und ihm entsprechende Vorteile und Leistungen gewähren, obwohl völlig unklar ist, ob diese Person nicht schon längst erwachsen ist. Die Altersüberprüfung muss deshalb künftig gleich bei der Einreise erfolgen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die Bundespolizei müssen schon bei der Identitätsfeststellung von Anfang an medizinisch zweifelsfrei klären, wer tatsächlich minderjährig ist und wer dies nur vorgibt. Die kommunalen Jugendämter sollten nur dann zuständig sein, wenn bereits bei der Einreise klar festgestellt ist, dass jemand tatsächlich minderjährig ist.

Wie lange wollen Sie den Familiennachzug von Flüchtlingen, die eingeschränkten Schutz genießen, noch aussetzen?

Herrmann CDU und CSU haben vereinbart, dass der Familiennachzug bei subsidiär geschützten Flüchtlingen weiter ausgesetzt bleiben muss. Das entspricht europäischem Recht, und davon werden wir auch nicht abgehen. Bleibt der Familiennachzug weiter ausgesetzt, kann es für einzelne Härtefälle aus humanitären Gründen Ausnahmen geben …

… die wie aussehen?

Herrmann In einer wirklich besonderen Belastungssituation kann man dann den Nachzug von Familienmitgliedern im Einzelfall ermöglichen. Das kann einige Dutzend, aber sicher nicht Tausende oder gar Zehntausende Flüchtlinge im Jahr betreffen.

Verständigen Sie sich mit der SPD auch über ein Zuwanderungsgesetz?

Herrmann Wir brauchen Regeln für die Zuwanderung von Fachkräften, aber auch Regeln zur Begrenzung der Zuwanderung. Wir müssen die in bestimmten Fällen erwünschte Arbeitsmigration strikt trennen von dem Flüchtlingsgeschehen. Das Asylrecht darf keine Grundlage dafür bieten, die klaren Regelungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt zu umgehen. In diesen Fragen halte ich eine Verständigung mit der SPD für durchaus möglich.

Die Bundestagsabgeordneten der CSU treffen sich in einigen Tagen zur traditionellen Klausurtagung in Kloster Seeon. Welches Signal wollen Sie senden?

Herrmann Die CSU ist gut aufgestellt – für die Regierungsbildung in Berlin und für die bayerische Landtagswahl. Die CSU hat personelle Fragen geklärt und geht in großer Geschlossenheit und mit klarer inhaltlicher Ausrichtung in das neue Jahr.

Neuer Ministerpräsident soll Markus Söder werden. Sie hatten überlegt, gegen ihn anzutreten. Warum haben Sie es nicht getan?

Herrmann Es war nach vielen Gesprächen absehbar, dass die Mehrheit der Landtagsfraktion für die Spitzenkandidatur von Markus Söder war. Ich hätte sicher ein sehr respektables Ergebnis erreicht, aber nicht die Mehrheit. Mein Ziel war, nicht noch mehr Gräben aufzureißen in der Partei, sondern Brücken zu bauen.

Welches Ergebnis trauen Sie Söder bei der Bayern-Wahl zu?

Herrmann Ich will jetzt keine Hausnummern nennen. Entscheidend ist, dass wir eine gute Zukunft für Bayern gestalten. Absolute CSU-Mehrheiten sind kein Selbstzweck.

Söder und Noch-Parteichef Horst Seehofer sind sich spinnefeind. Ist das nicht hinderlich im Wahlkampf?

Herrmann Ich glaube, dass beide die Verantwortung für das Land und die Partei spüren – und schon aus eigenem Interesse konstruktiv zusammenarbeiten.

(Wer hat die größten Chancen, Seehofer als Parteichef nachzufolgen?

Herrmann Wir haben Horst Seehofer mit einem starken Ergebnis für die nächsten zwei Jahre als Parteivorsitzenden wiedergewählt. Es ist überhaupt nicht sinnvoll, jetzt schon wieder neue Spekulationen anzustellen, wer ihm wann auch immer nachfolgen könnte. In das Jahr 2018 gehen wir geschlossen mit einer Doppelspitze.

FDP-Politiker legen der Union nahe, Angela Merkel abzulösen. Wie kommt das bei Ihnen an?

Herrmann Es ist nicht die Aufgabe einer Partei, sich in die Personaldiskussionen einer anderen einzumischen. Was so manche FDP-Politiker veranstalten, ist ziemlich daneben. Die FDP scheint gegenüber ihren Wählern in immer größere Erklärungsnot zu kommen, warum sie mit ihrem Ausstieg aus den Jamaika-Sondierungen eine große Koalition geradezu erzwungen hat. Mit der Debatte um Angela Merkel versucht die FDP, von ihrem eigenen Problem abzulenken. Das wird ihr aber nicht gelingen.