Berlin. Die Mehrwertsteuer wird 50 Jahre alt – und im Laufe der Jahre wurde sie ungerechter und absurder. Es wird höchste Zeit für eine Reform.

Deutschland, Steuern, einfach – die Begriffskette scheint nicht zusammenzupassen. Zwar ist es eine Mär, dass es in anderen vergleichbaren Ländern wesentlich einfacher wäre, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, wie es Jesus von Nazareth vor 2000 Jahren ausgedrückt hat. Aber Deutschland ist schon ein besonderes Steuerpflaster. Ein schönes Beispiel ist hierfür die Mehrwertsteuer, die am 1. Januar vor 50 Jahren aus der Taufe gehoben wurde.

Sie sollte das bisherige System der „Allphasen-Brutto-Umsatzsteuer“ vereinfachen, die bei jedem einzelnen Verkaufsschritt innerhalb der Produktionskette anfiel. Und natürlich sollte sie auch gerecht sein. Gerechtigkeit und Umweltschutz sind schließlich die Argumente, mit denen sich hierzulande so ziemlich alles durchsetzen lässt.

Wachteleier sind Grundbedarf, Babynahrung nicht

Für die Abteilung Gerechtigkeit wurde bei der Mehrwertsteuer damals der ermäßigte Satz von fünf Prozent gegenüber dem vollen von zehn Prozent eingeführt. Im Grunde lobenswert: Die Grundversorgung eines jeden sollte erschwinglich bleiben, das Existenzminimum für Geringverdiener gesichert. Was aber gehört zum Grundbedarf bei Lebensmitteln und anderen Konsumgütern?

Im Laufe der Jahre haben sich nicht nur die Steuersätze auf sieben und 19 Prozent erhöht. Die Beispiele an absurden Ermäßigungen sind inzwischen Legende: Für Milch werden sieben Prozent fällig, für Sojamilch 19, Apfel sieben, Apfelsaft 19, Kekse 19, Hundekekse sieben. Froschschenkel, Wachteleier und Trüffel zählen steuerrechtlich zum Grundbedarf, Babynahrung, Fruchtsaft oder Mineralwasser dagegen nicht. Irrsinn mit Methode.

Denn es drängt sich der Verdacht auf, dass hier beileibe nicht nur „Gerechtigkeit“ waltet, sondern sich vor allem auch das Wirken einflussreicher Lobbygruppen niederschlägt. Und so fehlen auch nicht die Rufe nach einer dringend notwendigen Reform – am besten gleich europaweit.

Scheinfirmen können sich in der EU steuerfrei Waren zuschieben

Die wäre noch aus einem anderen Grund notwendig: Denn im Vertrag von Maastricht über den gemeinsamen Binnenmarkt wurde 1993 festgelegt, keine Mehrwertsteuer auf den Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft zu erheben. Das führt dazu, dass Scheinfirmen in verschiedenen EU-Ländern sich gegenseitig Waren zuschieben können, ohne Mehrwertsteuer zu bezahlen. Irgendwann werden die Waren dann tatsächlich verkauft, die Mehrwertsteuer draufgeschlagen, aber nicht an das Finanzamt weitergereicht. Ein veritabler Steuerbetrug – so wie er auch bei anderen Versäumnissen oder Schlupflöchern möglich ist.

Deren Bekämpfung haben sich Einzelstaaten und EU zwar auf die Fahne geschrieben. Sie haben die Lücken oder Ausnahmen aber auch selbst produziert. Und der Reformeifer erlahmt recht schnell wieder, sobald sich die Aufregung über die Panama- oder Paradise-Papers gelegt hat, mit denen fleißige Kollegen die Steuervermeidungspraktiken der Reichen und Einflussreichen dokumentiert haben.

SPD wollte Mehrwertsteuer 2007 um einen Punkt angeben

Steuervereinfachung – ob nun bei der Mehrwertsteuer oder ganz allgemein – wird vermutlich nicht daran scheitern, dass dem Staat zu viele Einnahmen verloren gingen oder Arbeitnehmer unter wegfallenden Sonntagszuschlägen übermäßig leiden würden. Es besteht vielmehr die Gefahr, dass mancher, der nominell eigentlich den Spitzensteuersatz zahlen müsste, dann mangels Schlupflöchern deutlich mehr zum Allgemeinwohl beitragen müsste als bisher.

Wahrscheinlicher ist deshalb, dass es weiter wie bei der letzten Mehrwertsteuererhöhung 2007 läuft: Die SPD wollte höchstens um einen Punkt anheben, die Union um zwei – geeinigt hat man sich (steuer)logischerweise auf drei: die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik.