Berlin/Kiew. In der Ukraine gehen die Kämpfe zwischen Regierung und Separatisten weiter. Deshalb überrascht nun eine Einigung der beiden Seiten.

Die ersten Gefangenen, die aus den Reisebussen auf den Asphalt treten, sehen erleichtert aus. Ein ukrainischer Kriegsgefangener trägt zwei Reisetaschen und lächelt, während ihm ein Militär den Weg weist. Viel mehr ist auf den Bildern von dem Gefangenenaustausch zwischen ukrainischen und prorussischen Separatisten nicht zu sehen. Hunderte Gefangene wechseln die Seiten.

Der groß angelegte Austausch, der am Mittwoch nahe der Stadt Horliwka im Südosten der Ukraine stattfindet, erscheint ungewöhnlich. Seit Tagen schon spitzt sich der seit fast vier Jahren dauernde Konflikt zwischen der ukrainischen Armee und den von Russland unterstützten Separatisten wieder zu. Ein für Weihnachten vereinbarter Waffenstillstand ist mehrfach gebrochen worden. Die Ukrainer berichten wieder über getötete Soldaten.

Separatisten lassen 74 Gefangene frei, die Ukraine 306

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko (links) während einer Besprechen mit dem Verteidigungsminister Stepan Poltorak.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko (links) während einer Besprechen mit dem Verteidigungsminister Stepan Poltorak. © REUTERS | HANDOUT

Schon am Mittwochvormittag gibt es erste Fotos im Internet, auf denen Busse und Transporter zu sehen sind, die zum vereinbarten Treffpunkt an der Konfliktlinie fahren. 74 Gefangene der Separatisten sollen gegen 306 Gefangene der ukrainischen Armee getauscht werden. Am Abend ist der Austausch noch im Gang. Bestätigt werden zunächst 73 zurückkehrende Ukrainer und 237 rückkehrende Separatisten. Der Austausch ist der größte seit 2014. Der Anführer der Separatisten in Donezk, Alexander Sachartchenko, sagt nach Angaben ukrainischer Medien, dies sei nur eine erste Stufe. Man werde weitere Listen von Gefangenen erarbeiten.

Dass die Übergabe tatsächlich zustande kommt, ist erstaunlich, denn die Zeichen stehen auf Eskalation. Den weihnachtlichen Waffenstillstand, den die staatliche Friedensorganisation OSZE mit Vertretern der Ukraine und der prorussischen Separatisten in der vergangenen Woche ausgehandelt hat, sollte in der Nacht vom 23. auf den 24. Dezember in Kraft treten. Schon am 25. Dezember aber beschuldigen sich beide Seiten wieder, den Waffenstillstand zu brechen.

Immer wieder Tote auf beiden Seiten

Dass die ukrainische Armee und die Separatisten gelegentlich aufeinander schießen, ist nicht ungewöhnlich. Am Dienstag aber kommen acht ukrainische Soldaten ums Leben. In dem Dorf Nowoluhansk auf ukrainischer Seite gehen Raketen nieder und verwüsten Häuser. Weitere Raketen gehen nach Angaben der ukrainischen Armee auf das nahe gelegene Dorf Saitsewe nieder. Eine Nachrichtenagentur der Separatisten behauptet, die ukrainische Armee habe Nowoluhansk selbst angegriffen, um ihrerseits einen Angriff zu rechtfertigen.

Der Beschuss gilt als der heftigste seit Februar dieses Jahres. Insgesamt hat der Krieg im Osten der Ukraine seit dem Frühjahr 2014 mehr als 10.000 Menschen das Leben gekostet. Geschätzte 1,5 Millionen Menschen sind deshalb auf der Flucht.

USA beliefern die Ukraine mit modernen Waffen

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    Auf ukrainischer Seite wird das tödliche Wiederaufflammen des Konflikts vor allem mit dem Rückzug der russischen Offiziere aus einer ukrainisch-russischen Beobachtergruppe mit dem Namen „Gemeinsames Zentrum für Kontrolle und Koordination“ (JCCC) in Verbindung gebracht. Die Gruppe war eingerichtet worden, um den brüchigen Waffenstillstand nach dem sogenannten Minsk-2-Abkommen zu überwachen. Von der russischen Seite hieß es, die Offiziere seien gegangen, da ihre Arbeit von ukrainischer Seite behindert worden und ihnen der Zugang zu Frontabschnitten verwehrt worden sei.

    Merkel schaltet sich ein und telefoniert mit Putin

    Scheinbar besorgt über den Abzug der russischen Offiziere aus der „JCCC“ hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schon am vergangenen Donnerstag mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert. Die deutsche Regierung und der Kreml bestätigten später, dass sie sich auf einen Plan geeinigt hätten, wonach den russischen Beobachtern die Rückkehr in die Beobachtergruppe ermöglicht werden soll. Der Gefangenenaustausch vom Mittwoch soll nach Angaben aus dem Kreml ein Teil dieses Plans gewesen sein. Am vergangenen Sonnabend dann appellierten Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron erneut in einer gemeinsamen Erklärung an beide Konfliktparteien: Das Minsker Abkommen müsse umgesetzt werden, es gäbe keine Alternative zu einer friedlichen Beilegung des Konflikts.

    Die amerikanische Regierung verfolgt offenbar einen anderen Plan: Kurz nach Merkels Telefonat mit Putin und unmittelbar vor ihrer gemeinsamen Erklärung mit Macron erklären die USA, die Ukraine auch mit Waffen beliefern zu wollen. Im Gespräch sind Scharfschützengewehre und die tragbare Antipanzerwaffe „Javelin“. Letztere könnte den gepanzerten Fahrzeugen der Separatisten, die aus Russland stammen, gefährlich werden. Entsprechend scharf verurteilte das russische Außenministerium den Beschluss Washingtons und teilte mit, die Entscheidung gefährde den Friedensprozess in der Ukraine. Die Waffen würden zu neuen Todesopfern führen.