Gaza. Die Jerusalem-Entscheidung von US-Präsidenten Donald Trump begünstigt die Aussöhnung zwischen radikaler Hamas und gemäßigter Fatah.

Bei der Dabke, einem traditionellen palästinensischen Volkstanz, müssen die Tänzer sich aufeinander einlassen, damit es kein Chaos gibt, erklärt Khalil Tafesh. Der vollbärtige junge Mann und seine Freunde von Al Anqaa führen die Dabke häufig auf in Gaza. Nur in Gaza, nicht weil sie nicht gut wären, sondern weil sie den Streifen nicht verlassen können. Damit sich das ändert, müssten sich die palästinensischen Parteien aufeinander einlassen, aber die sind sich spinnefeind. Ausgerechnet Donald Trump könnte sie wieder zusammenbringen.

Al Anqaa, der Phönix, das ist der Name einer Tanzgruppe, die Khalil 2005 gegründet hat. Früher war der 34-Jährige einmal Boxer und Bodybuilder, das war ihm irgendwann zu wenig. Seine Gruppe hat einen Anspruch: „Wir wollen das palästinensische Erbe bewahren.“ Tatsächlich aber tanzen Khalil und seine Freunde wohl gegen den Frust an. „Wir würden alles tun, um aus Gaza herauszukommen“, sagt er.

Gaza – das größte Freiluftgefängnis der Welt?

2004 war Khalil einmal in Griechenland, daran erinnert er sich gerne. Drei Jahre später riss die Hamas im Gazastreifen nach blutigen Auseinandersetzungen mit der rivalisierenden Fatah die Macht an sich. Die Fatah hat das Existenzrecht Israels anerkannt. Die auch in Deutschland als Terrororganisation gelistete Hamas will den jüdischen Staat dagegen vernichten. Weil sie in Gaza herrscht, ist die Ausreise nach Israel für die fast zwei Millionen Menschen dort seit zehn Jahren nur noch in Ausnahmefällen möglich.

Ein Palästinenser schleudert Steine gegen israelische Soldaten. Seit Donald Trump Jerusalem als israelische Hauptstadt anerkannt hat, kommt es immer wieder zu Unruhen.
Ein Palästinenser schleudert Steine gegen israelische Soldaten. Seit Donald Trump Jerusalem als israelische Hauptstadt anerkannt hat, kommt es immer wieder zu Unruhen. © ddp/abaca press | AA/ABACA

Auch der Grenzübergang nach Ägypten ist dicht. Die Ägypter wollen nicht, dass der Streifen zum sicheren Hafen für die Terrorbanden wird, die den Sinai unsicher machen und dort für hunderte Tote verantwortlich sind. Gaza, so heißt es, ist das größte Freiluftgefängnis der Welt.

Der Grenzübergang Erez ist die einzige Möglichkeit, von Israel aus in den eingemauerten und umzäunten Streifen zu gelangen, der gerade einmal halb so groß wie Hamburg ist. Ein Komplex wie ein Flughafenterminal, 2005 eröffnet. 50.000 Menschen könnten hier theoretisch täglich abgefertigt werden. Tatsächlich sind es wohl nur einige Dutzend. Erez ist heruntergekommen, dreckig, die Ampellichter an manchen der Schleusen funktionieren nicht mehr. Es macht den Eindruck, als glaubten die Israelis nicht mehr daran, dass die Anlage irgendwann wieder Volllast fahren muss.

In Gaza herrscht keine Not, aber Mangel

In Gaza herrscht keine Not, aber Mangel. Die Restaurants sind geöffnet, die Läden sind voll. Bis vor Kurzem passierten noch Hunderte Lastwagen täglich Kerem Shalom, den Grenzübergang für Waren. Aber die Arbeitslosenquote ist enorm hoch, die Hälfte der Menschen ist auf die Lebensmittel-Hilfe der Vereinten Nationen angewiesen. Jeden Monat werden es mehr.

Gaza-City wirkt auf den ersten Blick nicht anders als viele arabische Städte. Kleine Ladenlokale und Werkstätten, große Werbetafeln, mehrstöckige Bürogebäude, belebte Straßen, viele Moscheen. Aber die Straßen sind ein bisschen staubiger und vermüllter, das Hupkonzert ist hysterischer. Esel ziehen Lastenkarren, der rare Diesel ist teuer und wird für die Generatoren gebraucht. Der Strom fließt nur für vier Stunden täglich, seit die von der Fatah kontrollierte palästinensische Autonomiebehörde vor einigen Monaten die Zahlungen an Israel eingestellt hat, um die Hamas in die Knie zu zwingen.

Im Oktober einigten sich Fatah und Hamas unter ägyptischer Vermittlung auf ein Versöhnungsabkommen. Die Hamas kündigte an, die Macht im Gazastreifen an die Autonomiebehörde übergeben zu wollen. „Wir hoffen sehr, dass sich die beiden Parteien wieder versöhnen. Nur die palästinensische Einheit wird zu einem freien Palästina führen“, sagt Khalil. Noch sieht es nicht gut aus. Zwei Termine sind schon verstrichen, an denen die Machtübergabe hätte beendet sein sollen. Tatsächlich führen noch Hamas-Beamte die Regie in Gaza, nur an einigen Kontrollpunkten stehen Sicherheitskräfte der Fatah.

Trumps Erklärung war ein Geschenk für die Hamas

Als Donald Trump Anfang Dezember Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannte, riefen die Hamas und der noch radikalere Islamische Dschihad zu einer neuen Intifada, zu einem Aufstand gegen Israel auf. Die Resonanz war gering, trotz der Wut und des Frusts, der in Gaza unter der Oberfläche kocht. Junge Leute demonstrierten mehrfach an „Tagen des Zorns“ und warfen Steine, der Islamische Dschihad feuerte Raketen Richtung Israel. Die israelischen Sicherheitskräfte reagierten mit der üblichen Härte, bombardierten Stellungen der Hamas, schossen scharf auf Demonstranten. Mehrere Menschen starben, Dutzende wurden verletzt.

Für die Hamas war die Erklärung Trumps ein Geschenk. In der Bevölkerung hatte sie in den vergangenen Jahren an Rückhalt verloren, viele junge Menschen in Gaza wendeten sich fanatischeren Gruppen zu, bis hin zu solchen, die sich dem sogenannten „Islamischen Staat“ die Treue geschworen haben. Jetzt kann sie sich wieder am Feind Israel abarbeiten. Kürzlich feierte die Hamas mit großem Pomp ihr 30-jähriges Bestehen, inklusive martialischer Aufmärsche, uniformierter Kinder und wütender Reden gegen das „zionistische Regime“, wie Israel im Hamas-Jargon heißt.

Massenprotest in Indonesien gegen Trumps Jerusalem-Entscheidung

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    „Die Leute haben die Nase voll vom Bruderzwist“

    Abdallah Frangi hat diese Aufwallungen schon häufig erlebt. Der Fatah-Funktionär kämpft seit mehr als 60 Jahren für die palästinensische Sache, früher mit der Waffe, heute mit Worten. Er war viele Jahre Repräsentant der PLO in Deutschland und ein enger Begleiter des früheren Palästinenserpräsidenten Jassir Arafats, der für die jungen Leute in Gaza nur noch eine historische Gestalt ist, an die vergilbte Poster an manchen Häuserwänden erinnern. Arafats Nachfolger Mahmud Abbas hat Frangi 2014 zum Gouverneur von Gaza ernannt, wirkliche Macht hat er noch nicht.

    Der 74-Jährige berichtet von mühsamen, zähen Verhandlungen mit der Hamas. „Es ist unklar, was mit ihren 40.000 Beamten passiert, wer sie bezahlen soll.“ Ganz sicher sei, dass die Islamisten anders als vereinbart ihre Waffen nicht abgeben werden. Aber Frangi weiß auch: „Die Leute haben die Nase voll vom Bruderzwist.“

    Käme es wirklich zu einer Versöhnung zwischen Fatah und Hamas und zu der Machtübergabe an die Autonomiebehörde, hätte Israel kein stichhaltiges Argument mehr, die Blockade aufrecht zu erhalten. Die Jerusalem-Entscheidung könnte den Versöhnungsprozess beschleunigen, glaubt Frangi: „Die Palästinenser haben keine andere Möglichkeit, als sich jetzt schnell zu einigen. Von dem derzeitigen Zustand profitiert nur die israelische Regierung.“

    Die Recherche in Gaza wurde durch eine Reise von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen ermöglicht.