Berlin. Recep Tayyip Erdogan inszeniert sich mit Polemik als eine Führungsfigur der muslimischen Welt. In Wahrheit zeigt er aber Schwäche.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sucht in diesen Tagen die große Bühne, den rhetorischen Schlagabtausch und die Konfrontation. Beim Krisentreffen der Organisation für Islamische Kooperation (OIC) in Istanbul schoss er erneut verbale Breitseiten gegen Israel ab. Das Land sei ein „Terror- und Folterstaat“, polterte er mit Blick auf die Siedlungspolitik und den Umgang mit den Palästinensern.

Erdogan schlägt die Sprache des Richters an. Doch sein Anspruch, die Front gegen Trumps Jerusalem-Vorstoß anzuführen, ist hohl. Wichtige muslimische Staaten wie Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate haben keine Regierungschefs nach Istanbul entsandt. Ihnen liegt derzeit weniger das Schicksal der Palästinenser am Herzen als die Sorge vor einem wirtschaftlich und militärisch expandierenden Iran. Diese Interessen-Koalition vereint sie mit den USA – und Israel.

Erdogans Polemik erinnert an Äußerungen in Richtung Merkel

Erdogans völlig überzogene Wortwahl und die polemische Schärfe erinnern an seine Ausfälle gegen Angela Merkel im März. Der Bundeskanzlerin warf er „Nazi-Methoden“ vor, weil türkische Spitzenpolitiker vor dem Verfassungsreferendum im April nicht in Deutschland auftreten durften. Erdogan spuckte Gift und Galle gegen die Bundesrepublik: „Wenn sie sich nicht schämen würden, glaubt mir, dann würden sie die Gaskammern und Konzentrationslager von Neuem auf die Tagesordnung setzen. Aber momentan trauen sie sich das noch nicht.“

Erdogans Auftritte sollen vor dem heimischen Publikum als große Muskel-Show des unbestrittenen Anführers wirken. In Wahrheit zeugen sie von Schwäche. Der EU-Beitritt der Türkei wurde im Zuge der beispiellosen innenpolitischen Säuberungswelle nach dem Putschversuch im Juli 2016 de facto auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.

Trotz der polizeistaatlichen Methoden, trotz der gnadenlosen Ausschaltung von Kritikern hat Erdogan keineswegs gewonnen. Das Land ist unverändert tief gespalten zwischen dem islamisch-konservativen und dem proeuropäisch-modernen Flügel. Nur wenn Erdogan die Präsidentschaftswahlen 2019 für sich entscheidet, kann er auf die weitreichenden Vollmachten aus dem Verfassungsreferendum zurückgreifen. Erdogan ist sich dieses Risikos durchaus bewusst. Er kompensiert diese Unsicherheit mit verbaler Kraftmeierei und der Selbst-Inszenierung des Sultans von Ankara.

Die Strahlkraft Erdogans lässt nach

Die Rolle als Leitfigur der muslimischen Welt hat Erdogan bereits während des „Arabischen Frühlings“ 2011 fasziniert. Und tatsächlich schaute der Nahe Osten in jener Zeit auf die Türkei: Die Mischung aus damals gemäßigtem Islam und einer unter Dampf stehenden Wirtschaft wirkte auf einige Herrscher in der Region attraktiv. Doch die Strahlkraft des Modells Erdogan ist inzwischen verblasst.

Der türkische Präsident hat die EU verprellt, auch das Verhältnis mit den USA ist stark beschädigt. Die Türkei hat sich international isoliert und driftet mittlerweile in fragwürdige Allianzen ab. War Erdogan zu Beginn des Bürgerkriegs in Syrien strikt auf der Seite der Gegner von Staatschef Baschar al-Assad, hat er sich nun mit Russland verbündet – und stützt damit den einstigen Erzfeind.

Erdogan ist ein Gigant auf tönernen Füßen. Um seine Zerbrechlichkeit zu kaschieren, zündelt er – dieses Mal gegen Israel. Man kann die Politik von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit guten Argumenten kritisieren. Aber niemand sollte den Sprüchen von Erdogan auf den Leim gehen. Sie sind der Nährboden für Extremisten. Wer Israel mit derart emotional aufgeladenen Formulierungen an den Pranger stellt, stachelt zum Hass an und erntet Gewalt.