Berlin. Die Bundesanwaltschaft hält den Offizier für einen potenziellen Attentäter. Nun hat sie Anklage erhoben. Aber der Fall ist verworren.

Journalist oder Soldat lautet die Berufswahl von Franco A. Die Alternative stellt sich schon bald nicht mehr. Er geht zur Bundeswehr. Dort glaubt er am ehesten die Welt verändern zu können. Nicht mit Worten. Mit Taten. Mit einem Attentat, glaubt die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe. Sie will beweisen, dass der rechtsextreme Oberleutnant einen Anschlag begehen und eine falsche Fährte legen wollte, um den Verdacht auf Flüchtlinge zu lenken. Am Dienstag hat sie vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts in Frankfurt am Main Anklage erhoben.

Erst vor wenigen Tagen hatte der 28-Jährige die Justizvollzugsanstalt in Frankfurt am Main verlassen. Sieben Monate Untersuchungshaft liegen hinter ihm. Bei der Bundeswehr läuft ein Disziplinarverfahren. Franco A. ist vom Dienst suspendiert und darf seine Uniform nicht tragen. Die Militärs warteten das weitere Vorgehen der Karlsruher Behörde ab. „Was dort ermittelt wird oder nicht, ist natürlich von Belang für die interne Beurteilung“, erläutert Ministeriumssprecher Jens Flosdorff.

Tagsüber Offizier in der Kaserne, nachts im Flüchtlingsheim

Er sei „hinreichend verdächtig“, eine schwere staatsgefährdenden Gewalttat (Paragraf 89a) vorbereitet zu haben, so die Staatsanwaltschaft. Das Bundeskriminalamt durchsuchte 16 Objekte, verhaftete mit Oberleutnant Mathias F. und dem Studenten Maximilian T. zwei mutmaßliche Helfer, fand „Todeslisten“, auf denen unter anderem die Namen von Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth und Justizminister Heiko Maas stehen, dazu Notizen, Skizzen (unter anderen vom Büro der Menschenrechtsaktivistin Anetta Kahane), Filme, Fotos und nicht zuletzt auf seinem Smartphone Aufnahmen mit Selbstreflexionen („Gewalt muss eine Option sein“) von Franco A.

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    Franco A. will die Waffe im Gebüsch gefunden haben

    Trotz der Fülle an Material bleibt die Beweislage verworren. Man weiß nicht, wann, wo und wie Franco A. zuschlagen wollte. Den Ermittlern fehlt der letzte Beweis, die „smoking gun“, der rauchende Colt. Dabei steht am Anfang des Falles ein Waffenfund: ein alter Revolver, den Franco A. am 22. Januar 2017 im Wiener Flughafen in einer Toilette versteckt. Als er ihn am 3. Februar wiederholen will, fliegt der Soldat auf. So kommt der Stein ins Rollen.

    Die Österreicher alarmieren die deutschen Behörden, die nach weiteren Ermittlungen die Tragweite des Falles erkennen und Franco A. am 27. April festnehmen. Seither schweigt er. In Wien hatte Franco A. erklärt, er habe die Waffe am Vorabend nach einem Ball im Gebüsch gefunden, sie anderntags erst am Flughafen wieder bemerkt und aufbewahrt, um sie später den Behörden zu übergeben. Auch für seine Flüchtlingslegende gibt es eine Erklärung, sein Anwalt erklärt sie als journalistische, wissenschaftliche „Recherche“.

    1000 Patronen unterschiedlicher Kaliber sichergestellt

    Für den Revolver findet die Polizei keine Patronen, dafür in großen Mengen Munition, die wiederum zu anderen Waffen passt und teils aus Beständen der Bundeswehr stammt. In der Studentenbude von Mathias F. stellt sie über 1000 Patronen unterschiedlicher Kaliber sicher, die etwa für das Sturmgewehr G36 und die Maschinenpistole MP7 geeignet sind, dazu Zündmittel und 167 Patronen mit Hartkerngeschoss, die dem Kriegswaffenkon­trollgesetz unterliegen. Allein darauf stehen Haftstrafen in Höhe von ein bis zehn Jahren.

    Die Verstöße wiegen bei einem Uniformträger besonders schwer. Franco A. soll das Material beim Studenten kurz vor seiner Festnahme deponiert haben. Zudem gehen die Ermittler davon aus, dass er Waffen vorrätig hält, darunter ein G3-Gewehr mit einem Zielfernrohr. Allerdings sind die Waffen, bis auf den Revolver in Wien, bis heute nicht gefunden worden – und die Munition und die Todeslisten wiederum nicht bei Franco A. selbst, sondern bei Mitbeschuldigten. Man kann die Waffen mit gemeldeten Diebstählen bei der Bundeswehr abgleichen. Es gibt Auffälligkeiten, aber sie beweisen nichts.

    Der Oberleutnant blamiert die Truppe und leimt das BAMF

    Ab 2009 studiert Franco A. an einer Militärhochschule in Frankreich und bringt es bis zum Offizier in der deutsch-französischen Brigade im elsässischen Illkirch, obwohl ein Gutachter die erste Version seiner Abschlussarbeit als „radikalnationalistischen, rassistischen Appell“ einstuft. Wie konnte er Karriere machen? Falsche Kameradschaft? Eine (Un-)Kultur des Wegschauens? Geradezu skurril ist, wie ihm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf den Leim geht. Es erkennt einen Mann als syrischen Flüchtling mit dem Namen David Benjamin an, der zwar Französisch, aber kein Wort Arabisch spricht.

    Nach unseren Recherchen hatte Franco A. darüber hinaus weitere Tarnidentitäten und unterhielt auf WhatsApp Kontakte zum rechtsradikalen Milieu, etwa zur Prepperszene, in der sich viele Reichsbürger, Extremisten und Verschwörungstheoretiker finden. Prepper kommt aus dem Englischen und bedeutet „allzeit bereit“ – für den Notstand. Und der tritt für den Mann, den die Ermittler für diszipliniert und überdurchschnittlich intelligent halten, spätestens mit dem Ausbruch der Flüchtlingskrise ein. Franco A. fühlt sich im Herbst 2015 auf den Plan gerufen. Er hasst Fremde, obwohl selbst halber Ausländer, Sohn eines Italieners, nur eine der vielen Ungereimtheiten.

    Alle Beschuldigten sind wieder auf freiem Fuß

    Ein Bild fügt sich langsam zusammen: Für einen Attentäter bringt Franco A. das notwendige Maß an Radikalität auf, er hat einen Plan und starke Nerven, geht konspirativ vor, hat Zugang zu Waffen und weiß als Militär mit ihnen umzugehen. Als die Polizei zu seiner Verhaftung anrückt, absolviert Franco A. gerade eine Einzelkämpferübung.

    Für die Richter beim Bundesgerichtshof bleiben „wesentliche Unstimmigkeiten“. Deswegen und weil sie keine Fluchtgefahr sehen, heben sie am 29. November die Untersuchungshaft für ihn auf. Auch seine Mitbeschuldigten sind auf freiem Fuß. Von einem rechtsextremen Netzwerk, über den anfangs spekuliert wurde, ist keine Rede mehr. Franco A. gilt nun als „einsamer Wolf“.

    Für Ministerin von der Leyen ist die politische Fallhöhe groß

    Als der Offizier im Frühjahr auffliegt, bescheinigt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) der Truppe ein Haltungsproblem. Vom Ausgang des Falles hängt nun das endgültige Urteil ab, ob von der Leyen damals alarmistisch oder alarmiert reagiert hat, überzogen oder angemessen handelte. Die politische Fallhöhe resultiert aus der Anklage. Deswegen schauten sie bei der Bundeswehr so nach Karlsruhe. Bis Dienstag.