Berlin. Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier gewinnen bei einer großen Koalition. Für die SPD sollten Neuwahlen aber eine Option bleiben.

Stabilität ist ein politischer Fetisch. Ein tief sitzendes Bedürfnis. Auch ein Gütezeichen der Bundesrepublik. Deshalb lässt sich die Woche so erwartungsvoll an: Viele hoffen, dass der Bundespräsident am Donnerstag den Chefs von CDU, CSU und SPD ins Gewissen redet und dass die sich einen Ruck geben. So kann es kommen, und es wäre wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Unpolitisch ist die Vorstellung, es ginge allein um Deutschland. Nach Lage der Dinge ist eine große Koalition für CSU-Chef Horst Seehofer die Perspektive, die ihm Macht und Einfluss sichert. Wenn die Kanzlerin ihm einen Kabinettsposten in einer Jamaika-Koalition angeboten hat, wäre er erst recht in einem Bündnis mit der SPD ministrabel. Wenn es für Seehofer eine Exit-Strategie aus der Führungskrise im Freistaat gibt, führt sie über Berlin.

Die bequemste Form der Machtsicherung

Für Angela Merkel ist eine Neuauflage der großen Koalition die bequemste Form der Machtsicherung. Sie konnte schon nach der Wahl nicht erkennen, „was wir jetzt anders machen müssten“.

Wenn es bei ihr einen Tag des vertieften Nachdenkens gab, dann kaum über eigene Fehler. Es ist schwer vorstellbar, dass sie Gespräche an einer Sachfrage scheitern lässt. Ob es um die Abschaffung der grundlos befristeten Arbeitsverhältnisse oder um das Rückkehrrecht für Frauen in einen Vollzeitjob geht, über solche Stöckchen würde sie springen, vielleicht sogar über eine Bürgerversicherung. Das Stabilitätsversprechen heiligt fast jedes Zugeständnis, die Stimmung spricht für Merkel.

Steinmeier würde in die Geschichte eingehen

Schließlich Frank-Walter Steinmeier, der Präsident. Andere haben Ruck­reden gehalten, er würde einen Ruck herbeiführen und in die Geschichte eingehen. Als oberster Staatsdiener verhält er sich rollengerecht. Er kann nichts falsch machen und hat wenig zu verlieren, verkörpert dieser Präsident doch die Sehnsucht nach Stabilität.

Die Frage, die Steinmeier sich nicht mehr an erster Stelle stellen muss, lautet: Was macht eine große Koalition mit der SPD? 2009 verlor sie 11,2 Punkte, ein regelrechter Absturz von gut 34 auf 23 Prozent. Davon hat sich die SPD bis heute nicht erholt, auch nicht unter Martin Schulz. Das einzige Mal, das die SPD in den vergangenen zwölf Jahren hinzugewonnen hat, war 2013 unter Peer Steinbrück.

Am miserablen Wahlkampf lag es kaum, eher an der Ausgangslage: Die SPD kämpfte aus der Opposition heraus. Es wäre unhistorisch, solche Erfahrungen auszublenden. An der Seite Merkels konnte die SPD nie gewinnen, hat sich aber von ihren Wählern entfremdet. Die 20,7 Prozent, die ihr geblieben sind, müssen nicht das letzte Wort sein, wie viele Beispiele in Europa zeigen. Wenn es hierzulande je so weit sein sollte, rückt der Bundespräsident zur Trauerfeier an, mit einem Gedenkkranz mit schwarz-rot-goldenem Gebinde, „verdient ums Vaterland“.

SPD hat drei Optionen

Wie es aussieht, hat die SPD drei Optionen, eine schlechter als die andere: große Koalition, Neuwahl, Minderheitsregierung. Es wäre mehr als legitim, wenn die SPD an sich selbst denken würde, heißt: mit welchen Alternativen, mit welcher Strategie, unter welchen Vorzeichen sie diesmal die Nutznießerin einer großen Koalition sein kann. Das Szenario dazu wäre eine Kanzlerin, deren Zeit und Kraft zu Ende geht, das wären vor allem verstörende Nachfolgekonflikte. Zwangsläufig ist das allerdings nicht. Es drängt – ganz anders als in der Endphase Helmut Kohls mit Schäuble – kein Konkurrent urwüchsig nach oben.

Für die Demokratie ist es nicht nur wertvoll, das Land zu regieren. Es ist auch ein Wert an sich, verantwortungsvoll Opposition zu leisten. Wenn die SPD in die große Koalition geht, wäre die AfD die stärkste Oppositionskraft. In jeder Debatte wäre Alexander Gauland die erste Antwort auf Merkel. Stabilität verheißt das auch nicht.