Madrid. Größte Migrationswelle seit zehn Jahren: In Spanien steigt die Flüchtlingszahl. Die Regierung spricht von einem Angriff der Schlepper.

  • An Spaniens Küsten sind in diesem Jahr schon dreimal so viele Migranten angekommen wie 2016
  • Die Schlepperrouten verlagern sich von Libyen nach Marokko und Algerien
  • Kanzlerin Angela Merkel will Fluchtursachen besser bekämpfen

Spanien erlebt derzeit die größte Welle von Flüchtlingen seit zehn Jahren. Die Zahl der Migranten, die seit Januar übers Mittelmeer an spanischen Küsten antrieben, ist bereits dreimal so hoch wie im Vorjahr.

2017 sind bisher nach offiziellen Angaben nahezu 19.000 Menschen in Booten in dem iberischen Land angekommen. Bis Ende des Jahres könnten es weit mehr als 20.000 werden, schätzen die Behörden. Die große Zahl der Ankünfte lässt die Sorge wachsen, dass die Schleppermafia nun vermehrt die Route von Marokko und Algerien nach Spanien nutzen will.

Die Tatsache, dass in diesen Tagen innerhalb von 48 Stunden annähernd 1000 Migranten in mehr als 70 Booten vor Spanien aufgefischt wurden, wird als Alarmsignal gewertet. Ein spanischer Regierungssprecher sprach von einem „koordinierten Angriff“ der Schleppermafia, die Dutzende Kähne von der nordafrikanischen Küste gleichzeitig auf den Weg geschickt habe.

Inzwischen kommen die Migrantenschiffe nicht nur über die Meerenge von Gibraltar an der Südspitze der Iberischen Halbinsel, wo die nordafrikanische Küste nur 14 Kilometer entfernt ist. Sondern sie landen an der gesamten südspanischen Küste. Sogar an den nordöstlich gelegenen Stränden der Region Murcia und Valencias, wo bereits 200 bis 300 Kilometer Wasser zwischen Spanien und Nordafrika liegt, kommen immer mehr Boote an.

EU-Afrika-Gipfel in der Elfenbeinküste beginnt

Neuerdings legen die Flüchtlingskähne Richtung Spanien nicht nur in Marokko, sondern vermehrt im benachbarten Algerien ab. Die meisten ankommenden Migranten stammen aus westafrikanischen Armutsländern südlich der Sahara wie etwa der Elfenbeinküste, Guinea, Nigeria, Kamerun und Mali. Mehr als 40 Prozent der in Spanien landenden Boatpeople sind inzwischen Marokkaner und Algerier.

Dutzende Schiffe seien in den vergangenen Tagen vor Algeriens Küste abgefangen und zurückgeschickt worden, berichtete Francisco Bernabé, Statthalter der spanischen Regierung in der Region Murcia. An dieser Blockadeaktion seien Schiffe und Flugzeuge der spanischen Küstenwacht und der europäischen Grenzschutzeinheit Frontex beteiligt gewesen, erklärte Bernabé. Algerien bestätigte, dass auch die algerische Marine Flüchtlingsschiffe an der Überfahrt gehindert habe.

Man weiß, dass Spanien dieses Blockadeverfahren schon länger anwendet, um im Mittelmeer die Abfahrt von Fluchtkähnen vor allem von Marokkos Küste und im Atlantik von der Küste Westafrikas zu verhindern. Dabei werden Flüchtlingsschiffe noch in der Nähe des Herkunftsstaates gestoppt und der Küstenwacht des jeweiligen Landes übergeben.

Zahl der Bootsankünfte in Italien sinkt

Spanien ist derzeit das einzige Mittelmeerland, in dem die Flüchtlingszahlen steil ansteigen. Zwar kommen über die zentrale Mittelmeerroute Richtung Italien immer noch sehr viel mehr Flüchtlinge als nach Spanien. Doch die Zusammenarbeit Italiens und auch der EU mit dem libyschen Grenzschutz scheint Früchte zu tragen: Die Zahl der Bootsankünfte in Italien sinkt. Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) trafen 2017 bisher rund 115.000 Bootsmigranten in Italien ein, deutlich weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, als noch 168.000 kamen.

Auch in Griechenland geht die Zahl der Ankünfte der Flüchtlinge zurück, nachdem die Balkanroute weniger durchlässig gemacht wurde. Bis November kamen etwa 26.000 Menschen in Booten an griechischen Küsten an; im Vergleichszeitraum 2016 waren es 171.000. Mindestens 2985 Menschen ertranken nach IOM-Angaben seit Januar bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren. Im vergangenen Jahr registrierte die Hilfsorganisation im gleichen Zeitraum 4713 Todesopfer.

Merkel reist zum EU-Afrika-Gipfel

Zur besseren Bekämpfung der Fluchtursachen hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor dem EU-Afrika-Gipfel verstärkte Anstrengungen in der Bildung auf dem Kontinent gefordert. „Wir können noch so viel finanzieren: Wenn sich die Regierungen anschließend nicht wirklich auch um ihre jungen Menschen kümmern, dann hilft das auch nichts“, sagte Merkel in ihrer wöchentlichen Videobotschaft. „Und deshalb sage ich in vielen Gesprächen mit afrikanischen Führungspersönlichkeiten auch sehr deutlich: Achtet auf eure Jugend, sie ist willens, etwas zu tun, sie ist intelligent, sie ist lernbereit.“

Merkel wird am Dienstag zum EU-Afrika-Gipfel in die Elfenbeinküste reisen. Die Kanzlerin hatte mehrfach Kooperationspartnerschaften mit afrikanischen Ländern angemahnt. Die Bundesregierung hat ihre Hilfen gerade für nordafrikanische Staaten erheblich erhöht. Deutschland hatte Afrika auch zu einem Schwerpunkt seiner G20-Präsi­dentschaft gemacht.

„Wir arbeiten an der Verbesserung der Bildungschancen in den afrikanischen Ländern im Rahmen unserer Entwicklungszusammenarbeit, und wir arbeiten daran, dass natürlich auch mehr Austausch zwischen unseren Ländern möglich ist“, sagte Merkel. Wenn Europa seine Außengrenzen schütze und Schleppern das Handwerk lege, heiße das nicht, dass der „legale Austausch“ nicht gefördert werde.