Riad/Tel Aviv. Im Nahen Osten scheint sich ein Konfliktherd weiter aufzuheizen. Saudi-Arabien und der Iran verstärken dabei ihre militärische Präsenz.

Als der französische Präsident Emmanuel Macron am Donnerstagabend in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad zu Besuch war, zeigte sich einmal mehr, wer dort die Macht hat. Nicht König Salman empfing das französische Staatsoberhaupt, sondern ein 32-jähriger junger Mann von großer Statur, mit Vollbart und energischem Blick: Mehr als zehn Sekunden drückte Kronprinz Mohammed bin Salman dem Gast die Hand und lächelte.

In Saudi-Arabien ist es ein offenes Geheimnis, dass der ehrgeizige Sohn des Königs der stärkste Mann im Land ist. Mohammed bin Salman, oft nur „MbS“ genannt, geht es nicht nur darum, die Machtverhältnisse im eigenen Königreich neu zu sortieren. Er will den gesamten Nahen Osten verändern.

Saudi-Arabien fordert den Iran heraus

Offensiv fordert bin Salman den Erzrivalen des sunnitischen Königreichs heraus: den schiitischen Nachbarn Iran. Der Kronprinz spielt dabei mit dem Feuer. Die Gefahr eines neuen Kriegs im Nahen Osten ist derzeit so groß wie lange nicht. Das war auch der Grund für den Besuch von Macron in Riad: Frankreich und Deutschland bemühen sich in diesen Tagen um eine Entspannung der Lage.

Wie immer im Nahen Osten spielt sich der Konflikt auf mehreren Schauplätzen ab. Konkret geht es um den Libanon, wo vor einer Woche der Regierungschef zurückgetreten war, und um das Bürgerkriegsland Jemen. Dahinter aber steht die eskalierende Feindschaft zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Eine wichtige Rolle hat auch Israel, das um seine Sicherheit fürchtet und sich nun mit dem bisherigen Gegner Saudi-Arabien verbündet. Im Hintergrund stehen Russland und die USA.

Stellvertreterkireg gibt es bereits

Unter der Führung von Kronprinz bin Salman hat Saudi-Arabien zuletzt vor allem seinen Kurs gegenüber dem Iran verschärft. Immer wieder wirft das sunnitische Königreich nun dem schiitischen Nachbarn vor, in der Region Unruhe zu stiften. Angesichts einer großen schiitischen Minderheit im Osten Saudi-Arabiens befürchtet die Führung in Riad, die Politik des Iran könnte das eigene Land und damit die Monarchie gefährden. Aber auch darüber hinaus ist der Iran eine Macht: Über Milizen in den beiden Krisenländern Syrien und Irak übt er dort starken Einfluss aus. Inzwischen ist so eine schiitische Achse entstanden, die vom Libanon über Syrien und den Irak bis in den Iran reicht.

Einen Stellvertreterkrieg zwischen den beiden Regionalmächten gibt es bereits: Im Jemen, im Süden der Arabischen Halbinsel befeuern beide Seiten den Bürgerkrieg. Der Iran unterstützt die schiitischen Huthis, die große Teile des Jemen überrannt haben. Saudi-Arabien führt seit rund zwei Jahren eine Koalition an, die die Rebellen bombardiert. Die Angriffe haben dazu beigetragen, dass die Infrastruktur des bettelarmen Landes stark zerstört wurde und Millionen Menschen leiden müssen.

Hisbollah versteht Verhalten Saudi-Arabiens als Kriegserklärung

Auch am Freitagabend griffen Kampfjets der saudi-arabisch geführten Militärkoalition das Verteidigungsministerium in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa an. Dort haben die Huthi-Rebellen die Kontrolle. Sie hatten vor einer Woche vom Jemen aus eine Rakete auf den internationalen Flughafen von Riad abgefeuert. Dies geschah etwa zum selben Zeitpunkt, als der libanesische Regierungschef Saad Hariri zurückgetreten war. Dies war nicht in Beirut geschehen, der Hauptstadt des Libanon, sondern in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad.

Die libanesische Schiiten-Miliz Hisbollah wirft Saudi-Arabien nun vor, Hariri festzuhalten. Dies sei eine Kriegserklärung. Hariri hatte seinen Rücktritt damit begründet, die Hisbollah trachte ihm nach dem Leben. „Iran hat den Wunsch, die arabische Welt zu zerstören, und brüstet sich mit seinem Einfluss in den arabischen Hauptstädten“, erklärte der 47-Jährige, der mit der Hisbollah zusammen regierte. Der Iran habe den Libanon im Griff, die Hisbollah zwinge dem Land mit Waffengewalt ihren Willen auf. „Wo immer der Iran auftaucht, sät er Zwietracht und Zerstörung“, sagte Hariri und kündigte im Namen Saudi-Arabiens an, man werde dem Iran „die Hände“ abschlagen.

Iran will Luftwaffe in Syrien stationieren

Ähnlich äußerte sich Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu: Der Rücktritt Hariris sei „ein Weckruf für die internationale Gemeinschaft, etwas gegen die iranische Aggression zu tun.“

Der Regierungschef will eine dauerhafte iranisch-schiitische Präsenz an seinen nördlichen und östlichen Grenzen in jedem Fall verhindern. Schon jetzt kontrolliert der Iran über seine Milizen weite Teile Syriens und will dort seine Luftwaffe stationieren. Sollte der israelische Todfeind nun über den Libanon eine Landverbindung bis ans Mittelmeer schaffen, entstünde eine zweite Front.

Damit das gelingt, braucht die Regierung in Tel Aviv ein bisher unbekanntes Maß an Flexibilität und neue Allianzen. So kommt es, dass der wichtigste Verbündete im Kampf gegen den Iran mittlerweile die sunnitischen Araber sind. Bisher verband die Israelis mit Ländern wie Ägypten, Jordanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und vor allem Saudi-Arabien eine intensive Abneigung. Sie gründete sich auf den israelisch-palästinensischen Konflikt und bestand trotz diplomatischer Verbindungen nach Kairo und Amman. Doch die Bedrohung durch den gemeinsamen Feind schweißt die Parteien zusammen.

Der saudische Thronfolger soll Tel Aviv besucht haben

Militärisch gibt es noch keine Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien, aber Experten vermuten, dass die Geheimdienste beider Länder bereits Informationen austauschen. Bekannt ist, dass die wirtschaftliche Kooperation zunehmend enger wird, insbesondere auf dem Feld der Cyber-Security; dort sind die Israelis führend. Dazu passen Berichte, dass der saudische Kronprinz Mohammad bin Salman (genannt „MbS“) im September heimlich Tel Aviv besucht haben soll. Eine Rolle im Hintergrund spielt auch Jared Kushner, der Schwiegersohn von US-Präsident Donald Trump. Kushner pflegt zu „MbS“ und zu Israels Premier Netanjahu ein persönliches Verhältnis.

Nicht nur die USA warnen Israel, sich von Saudi-Arabien nicht in einen Krieg mit der Hisbollah treiben zu lassen. Auch UN-Generalsekretär António Guterres warnte erst vor wenigen Tagen vor den „verheerenden Konsequenzen“ eines neuen Konflikts im Libanon. Frankreich und Deutschland versuchten gleichzeitig, mäßigend auf Saudi-Arabien einzuwirken. Möglicherweise vergeblich: Am Donnerstag rief Saudi-Arabien seine Bürger auf, den Libanon zu verlassen. Nicht nur bei Libanesen löste das große Sorgen aus. (mit dpa-Material)