Berlin. Die deutsche Wirtschaft wächst und wächst. Führende Wirtschaftsexperten legen nah, die Bürger an den Gewinnen teilhaben zu lassen.

Es ist in den Tagen des Taktierens, Lavierens und Sondierens einer der angenehmen Termine für die Kanzlerin. Die sogenannten Wirtschaftsweisen, ein fünfköpfiges Gremium von Wirtschaftsexperten, überreichen am Mittwoch Angela Merkel ihr Jahresgutachten. Die Botschaft ist eine gute: Die deutsche Wirtschaft befinde sich in einem kräftigen Aufschwung, heißt es in dem 437 Seiten langen Bericht.

Die Wirtschaftswissenschaftler rechnen mit einem Wachstum von zwei Prozent in diesem und 2,2 Prozent im kommenden Jahr. Die Bundesregierung selbst war zuletzt in ihrer Herbstprojektion für das Jahr 2018 mit 1,9 Prozent Wachstum etwas zurückhaltender.

Merkel, derzeit nur geschäftsführend im Dienst, nimmt das Gutachten entgegen, scherzt mit den Wissenschaftlern: Der Bericht falle ja in eine Zeit, in der die Ratschläge besonders gut gebraucht würden, sagt sie mit Blick auf die Jamaika-Sondierungen von Union, FDP und Grünen. Ein Überblick über die wichtigsten Fragen.

• Warum boomt die deutsche Wirtschaft?

Der Aufschwung hat eine solide Grundlage. Denn vor allem die deutschen Konsumenten fördern ihn mit ihren Käufen. Vom Konsum erwarten die Sachverständigen sogar den stärksten Impuls für die Wirtschaft, gefolgt von den Investitionen.

Ein Grund ist auch, dass die Belastungen der Weltwirtschaft durch die Politik von US-Präsident Donald Trump, der vor allem die USA im Blick hat, weitaus geringer ausfallen als anfangs befürchtet. So befindet sich die deutsche Wirtschaft sogar schon in einer „Überauslastung“: „Anspannungen innerhalb der deutschen Volkswirtschaft äußern sich beispielsweise darin, dass es für die Unternehmen schwieriger wird, offene Stellen zu besetzen“, heißt es in dem Gutachten. Etwa im Baugewerbe kann die Nachfrage nicht gedeckt werden.

• Welche finanziellen Spielräume hat eine mögliche Jamaika-Koalition?

Kanzlerin Angela Merkel mit dem Gutachten neben Christoph M. Schmidt vom Wirtschaftsrat.
Kanzlerin Angela Merkel mit dem Gutachten neben Christoph M. Schmidt vom Wirtschaftsrat. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE

Ganz genau wissen das die Politiker erst am Donnerstag – dann werden die Ergebnisse der diesjährigen Steuerschätzung bekannt gegeben. Insgesamt rechnen die fünf Wirtschaftsweisen in diesem Jahr mit Finanzierungsüberschüssen von Bund, Ländern und Gemeinden von 31,3 Milliarden Euro oder einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das sei der höchste Stand seit der Wiedervereinigung. Der Wermutstropfen: Die gute Finanzlage sei nicht auf Dauer zu halten, erklärte der Rat. So werden etwa steigende Zinsen die öffentlichen Haushalte künftig wieder stärker belasten.

• Was bedeutet das für den Bürger?

Eine florierende Wirtschaft hat positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass in den nächsten beiden Jahren mehr Menschen Jobs finden. Die Arbeitslosigkeit liegt schon in diesem Jahr mit durchschnittlich 2,6 Millionen Personen auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Bei den Preisen gibt es etwas schlechtere Nachrichten. Diese werden keinesfalls sinken, eher noch etwas ansteigen. Schuld sind unter anderem die hohen Preise für Lebensmittel und der schwankende Ölpreis.

• Welche Maßnahmen sollte eine neue Bundesregierung ergreifen?

In diesem Punkt sind die „Wirtschaftsweisen“ sehr klar: Die Politik soll das Konjunkturhoch für die Entlastung der Menschen nutzen und ihnen Geld zurückgeben. So könnten der Solidaritätszuschlag abgebaut und die Belastungen durch die sogenannte kalte Progression zurückgefahren werden. Die kalte Progression bedeutet, dass die Menschen trotz Lohnerhöhung weniger in der Tasche haben, weil sie in eine höhere Steuerstufe rutschen.

Auch sei es angesichts der günstigen Lage möglich, den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung um bis zu 0,5 Prozent zu senken, von heute drei auf 2,5 Prozent. Allerdings nennen die Wirtschaftswissenschaftler für die Maßnahmen keinen genauen Zeitpunkt. Sie weisen lediglich darauf hin, dass mit dem Auslaufen des Solidarpaktes II im Jahr 2019 die ursprüngliche Begründung für den Soli wegfalle und die Steuer damit verfassungswidrig werden könnte.

• Was wird von den Vorschlägen realistisch umgesetzt?
Die Entlastung von Familien mit Kindern sowie unterer und mittlerer Einkommen – das wollen alle Parteien, die Wege dahin sind strittig. Vor allem die FDP versucht derzeit in den Jamaika-Sondierungen, den Soli spätestens bis Ende dieser Legislaturperiode völlig abzubauen, möglichst schneller.

Merkel baut deshalb vor: Die relativ gute wirtschaftliche Zeit bedeute nach Meinung der Sachverständigen immer, Strukturmaßnahmen umzusetzen. Politisch sei das nicht ganz so einfach. „Denn gerade in guten Zeiten ist auch der Wunsch nach Verteilung ein sehr dominanter. Hier die richtige Balance zu finden, ist unsere Aufgabe.“

Um nicht weniger ringen die Parteien gerade hinter verschlossenen Türen.