Tunis/Riad. Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman will Kritiker zum Schweigen bringen. Den Einfluss der Geld-Oligarchen will er beschneiden.

Das Vorgehen des Königshauses trägt Züge eines Shakespeare-Dramas. Noch nie in seiner Geschichte erlebte Saudi-Arabien eine solch spektakuläre Verhaftungs- und Entlassungswelle wie an diesem Wochenende. Mindestens elf Mitglieder der Königsfamilie, vier Minister sowie Dutzende frühere Kabinettsmitglieder wurden in der Nacht zu Sonntag festgenommen, darunter der reichste Mann des Landes, Prinz Al Walid bin Talal. Das meldete der Sender Al Arabiya.

Privatflugzeuge im ganzen Land erhielten Startverbot, um die Flucht von weiteren Gesuchten zu verhindern. Das Hotel Ritz-Carlton in Riad, in dem im Mai US-Präsident Donald Trump übernachtet hatte, wurde geräumt, weil es die etwa 50 prominenten Gefangenen vorerst aufnehmen soll. Auch der langjährige Chef der Nationalgarde, Prinz Miteb, ein Sohn des im Januar 2015 verstorbenen Königs Abdullah, wurde entlassen und zusammen mit seinem Bruder Prinz Turki, dem ehemaligen Gouverneur von Riad, eingesperrt.

Politische, soziale und wirtschaftliche Reformen in Planung

Diese rabiate Strategie offenbart die Handschrift von Kronprinz Mohammed bin Salman, der in nächster Zeit seinen betagten Vater an der Spitze des Königreichs beerben will. Er plant weitreichende politische, soziale und wirtschaftliche Reformen. Im Vorfeld des geplanten Wechsels möchte der 32-Jährige offenbar möglichst viele interne Kritiker in den Reihen der Königsfamilie zum Schweigen bringen und den Einfluss der einheimischen Geld-Oligarchen beschneiden.

Neben Prinz Al-Walid bin Talal, dessen Vermögen auf 18 Milliarden Dollar geschätzt wird, wurden auch der Vorstandsvorsitzende der Bin-Laden-Gruppe verhaftet, der frühere Chef des saudischen Staatsfonds sowie der ehemalige Generaldirektor von Saudi Arabian Airlines. Al-Walid bin Talal hat Anteile an Twitter, Citigroup und Apple. Zu seinem Vermögen gehören auch Teile der Hotelketten Four Seasons, Fairmont und Mövenpick. Festgenommen wurden zudem die Chefs von drei großen saudischen TV-Sendern. Wenige Stunden vor der Massenverhaftung hatte König Salman per Dekret eine „Kommission gegen Korruption“ mit Kronprinz Mohammed an der Spitze etabliert.

Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche in Dschidda

Das neue Gremium, was „das öffentliche Vermögen schützen und korrupte Leute bestrafen soll“, besitzt weitreichende Vollmachten. Es kann Festnahmen veranlassen, Reisebeschränkungen verfügen und Vermögen beschlagnahmen. Nach saudischen Medienberichten wurde umgehend ein erstes Ermittlungsverfahren eröffnet gegen Verantwortliche in Dschidda, wo 2009 wegen veruntreuter Gelder für Kanalbauten eine verheerende Regenflut mehr als 120 Menschen in den Tod gerissen hatte. „Damit läutet das Königreich eine neue Ära und Politik der Transparenz, Klarheit und Verantwortlichkeit ein“, erklärte der saudische Finanzminister Mohammed al-Jadaan.

Auch der „Rat der Kleriker“, das wichtigste Gremium der saudischen Geistlichkeit, signalisierte Zustimmung und sprach von einem wichtigen Schritt. Weitere Hintergründe dieses politischen Erdbebens, mit dem sich der Salman-Clan andere Teile der verzweigten Königsfamilie jetzt offen zu Feinden macht, liegen bislang im Dunkeln. Wenige Stunden vor dem Paukenschlag telefonierte König Salman mit US-Präsident Donald Trump. Trumps Schwiegersohn Jared Kushner hatte sich in der vergangenen Woche in Riad aufgehalten.

Mitglieder der Königsfamilie fürchten um gewohnte Privilegien

Für Spekulationen, dass Mohammed bin Salman mit seinen Verhaftungen einer Palastrevolte zuvorgekommen sei, gibt es bisher keine Anhaltspunkte. Der Widerstand gegen dessen aggressive Außenpolitik, den Krieg im Jemen und den rabiaten Boykott gegen Katar scheint jedoch massiver zu sein als bisher bekannt. Obendrein fürchten viele Mitglieder der etwa 9000-köpfigen Königsfamilie um ihre gewohnten Privilegien.

Die Verschwendung öffentlicher Gelder ist weit verbreitet. In seinem Anfang 2016 veröffentlichten „Manifest für Wandel“ hatte Kronprinz Mohammed den Missbrauch auf 30 Prozent der Staatsausgaben beziffert, das sind rund 70 Milliarden Euro. Viele Amtsträger nutzen ihre Position, um sich von Investoren schmieren zu lassen. Seit Jahrzehnten üblich ist auch die Praxis der sogenannten Tasattur. Saudische Bürger melden unter ihrem Namen Firmen an, die dann von Ausländern gemanagt werden. Der saudische Scheinpartner kassiert regelmäßig Teile des Profits, ohne je einen Finger zu rühren.