Berlin. Krise, welche Krise? Bei Maybrit Illner übten sich die „Jamaika“-Sondierer in Einigkeit – selbst bei heiklen Themen wie Flüchtlingen.

Cem Özdemir kann auch anders. Grenzen kontrollieren, Fingerabdrücke nehmen. „Wir müssen wissen, wer bei uns einreist“, sagte der grüne Oberrealo, dem nachgesagt wird, er würde gerne Außenminister werden.

Wie ein künftiges Regierungsmitglied präsentierte sich Özdemir auch am Donnerstagabend bei Maybrit Illner. Die ZDF-Moderatorin legte den Fokus diesmal auf das, was um Deutschland herum passiert. „Europa läuft die Zeit davon – Warten auf Berlin“, so das Thema der Sendung, die mit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und FDP-Chef Christian Lindner noch zwei weitere potenzielle „Jamaika“-Kabinettsmitglieder zu bieten hatte.

Harmonie statt Konflikt

Gerade in der Europa-Politik, sollte man meinen, prallen die Positionen der Koalitionäre in spe am deutlichsten aufeinander. Schließlich wollen die Grünen mehr Europa, gemeinsame Schulden und einen eigenen Haushalt für Brüssel, die Liberalen lehnen das rundherum ab. Politiker beider Parteien betonen daher immer wieder, dass ein „Jamaika“-Bündnis noch keine ausgemachte Sache sei. Wer Donnerstagabend Illners Sendung verfolgte, konnte einen anderen Eindruck gewinnen: Unterschiede musste man mit der Lupe suchen.

Das wurde ausgerechnet beim Thema Flüchtlinge und Familiennachzug klar: Da tadelte Özdemir zwar FDP-Chef Lindner. Der hatte gesagt, die vermeintlich zu lasche Flüchtlingspolitik der Grünen sei ein „Konjunkturprogramm für die AfD“. „So redet man nicht miteinander“, belehrte der Grüne seinen Sitznachbarn. Weitere Nachfragen von Moderatorin Illner ließ er aber abtropfen. Verhandlungen, dozierte Özdemir, führe er nicht öffentlich.

Außenpolitik am Donnerstag Thema bei Sondierungen

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    „Ihr müsst Euch aber bald einigen“, versuchte es Illner noch einmal. „Das werden wir“, sagte Özdemir. So klingt niemand, der nicht an den Erfolg der Sondierungen glaubt.

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    Und auch sonst spielten sich Lindner, von der Leyen und Özdemir souverän die Bälle zu. Dass Katalonien im Konflikt mit Spanien auf mehr Unabhängigkeit pocht, können alle drei verstehen.

    Gegen den französischen Präsidenten Macron sagt auch kein deutscher Politiker etwas. „Die Alternative wäre mit Marine Le Pen eine Rechtsradikale“, so Özdemir. Lindner: „Wir stimmen zu 80 Prozent mit Macron überein“. Und von der Leyen freute sich: „Die deutsch-französische Freundschaft ist der Motor für Europa.“

    Besonders bewundernswert, so Özdemir, seien Macrons Wirtschaftsreformen. Also Steuersenkungen und Lockerungen der Arbeitnehmerrechte. Bei Christian Lindner kamen solche Aussagen gut an, der linke Parteiflügel der Grünen dürfte sie skeptisch zur Kenntnis nehmen.

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      Dagegen kritisierte Özdemir den Abbau von Rechtsstaatlichkeit in Polen und Ungarn. In Bausch und Bogen wollte er die Osteuropäer aber nicht verdammen. „Österreich hat die FPÖ und in Italien gab es Berlusconi. Westeuropa hat auch Probleme“, sagte er – ganz diplomatisch.

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      Ohne Frankreich geht es nicht

      Einig war sich die Runde zumindest, dass Deutschland als größtes und wirtschaftlich stärkstes Land eine besondere Verantwortung für das Gelingen der EU trägt – und damit auf den französischen Präsidenten Macron angewiesen ist. Der wünscht sich eine tiefere Integration der Gemeinschaft. Das hieße auch: mehr Geld aus Deutschland.

      Zumindest FDP-Chef Lindner zeigte sich in diesem Punkt etwas nachgiebiger. Eine Vergemeinschaftung der Schulden schloss er zwar nach wie vor aus, Geld für Infrastrukturprojekte könne er sich aber vorstellen.

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        Das klang von allen Seiten schon mehr nach Kompromiss. Und richtig verhandelt, da sprang Lindner seinem Duz-Freund Özdemir bei, werde hinter verschlossenen Türen.

        Mit so viel Einigkeit hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen wohl trotzdem nicht gerechnet. Mit einem breiten Lächeln verkündete sie am Ende der Sendung, dass es eine „gemeinsame Grundrichtung“ gebe.

        Jamaika ist in Sicht.