Schwerin/Berlin. Ein in Schwerin festgenommener 19-Jähriger stand in Kontakt zu Dschihadisten. Der Mann soll einen Sprengstoffanschlag geplant haben.

Yamen A. hatte sich einen Messbecher und ein Thermometer besorgt. Die Temperatur ist wichtig. Um den hochexplosiven Sprengstoff TATP herzustellen, müssen die Zutaten kühl gemischt werden, am besten mit einer Temperatur unter fünf Grad, heißt es in Foren im Internet, die sich etwa „xplosives.net“ nennen. Neben den Laborgeräten hatte der 19 Jahre alte Syrer bei einem Online-Händler Chemikalien bestellt: Schwefelsäure und Wasserstoffperoxid.

Das Gemisch, was Yamen A. herstellen wollte, war laut Ermittler TATP, Triacetontriperoxid. Es ist mittlerweile bekannt als der Sprengstoff der Dschihadisten. Manche nennen es „Mutter des Teufels“, ein weißes Pulver mit enormer Sprengkraft. Die Attentäter von Paris nutzten das Material, die Angreifer von Brüssel, und auch die Bombenbastler von Barcelona wollten TATP herstellen. Ihr Terror-Plan missglückte, sie jagten sich in diesem August in ihrer Wohnung in Alcanar selbst in die Luft.

Bisher haben die Ermittler keine Belege für Mittäter

Am Dienstag im Morgengrauen nahmen schwer bewaffnete Spezialeinheiten der Bundespolizei und des Bundeskriminalamts (BKA) den 19-jährigen A. in seiner Schweriner Wohnung fest. Er soll laut Generalbundesanwaltschaft (GBA) einen „islamistisch motivierten Anschlag“ geplant haben und „bereits mit der Vorbereitung begonnen haben“.

In diesem Plattenbau haben Beamte den Verdächtigen festgenommen.
In diesem Plattenbau haben Beamte den Verdächtigen festgenommen. © Getty Images | Alexander Koerner

Parallel durchsuchten Polizisten Wohnungen in Hamburg und Schleswig-Holstein. Im Hamburger Stadtteil Wandsbek wurde ein Mann als Zeuge vernommen. Er soll nach Informationen dieser Redaktion dem „islamistisch-dschihadistischen Milieu zugeneigt“ gewesen sein. Eine Formulierung der Behörden, die darauf schließen lässt, dass die Person nicht zu den Top-Dschihadisten in Deutschland gehört, aber durchaus der Szene zuzurechnen ist. Für eine Mittäterschaft gibt es bisher keine Belege.

Der Tipp kam vom Bundesamt für Verfassungsschutz

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte den Ermittlern der Polizei einen Tipp zu einer verdächtigen Person in Schwerin gegeben. Kriminalbeamten identifizierten daraufhin Yamen A., er wurde offenbar über einen längeren Zeitraum observiert und seine Bewegungen verfolgt, seine Kontakte überwacht. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) lobte die Sicherheitsbehörden. „Nach allem was wir wissen, erfolgte der Zugriff zum richtigen Zeitpunkt: spät genug, um Beweise zu sichern und gleichzeitig früh genug, um die Gefahr zuverlässig zu bannen.“

Über den Weg der Radikalisierung von A. ist bisher wenig bekannt. Laut GBA war er „spätestens im Juli 2017“ entschlossen, einen Anschlag in Deutschland zu verüben. Die Ermittler gehen davon aus, dass er den Sprengsatz in einer größeren Menschenmenge zünden wollte, um so eine hohe Zahl an Personen zu töten. Neben den für den Bombenbau notwendigen Flüssigkeiten hatte Yamen A. auch Funkgeräte, Batterien und Handyteile in seiner Wohnung gelagert. Kriminaltechniker gehen davon aus, dass er den Sprengsatz per Fernzünder zur Explosion bringen wollte. Ein Funkgerät sei bereits manipuliert gewesen. Das spricht dafür, dass A. bereits testete.

Der Verdächtige bestellte Wasserstoffperoxid im Internet

Und doch ist bisher unklar, wie weit die Terrorpläne fortgeschritten waren. Im September hatte A. noch einmal zehn Kilogramm Wasserstoffperoxid im Internet bestellt, aus Sicht der Ermittler die Hauptladung seiner Bombe. Doch kurz darauf stornierte der junge Mann die Bestellung. Der Grund ist den Beamten bisher unklar.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE

Bisher gibt es zudem keine Belege, dass Yamen A. Mitglied einer Terrororganisation ist, etwa des selbst ernannten „Islamischen Staates“ (IS), die ihm beispielsweise bei den Anschlagsvorbereitungen geholfen oder ihn gar angeleitet hat. Dennoch wissen die Ermittler durch die Observationen von Kontakten in die dschihadistische Szene. So soll A. mit einem Mann kommuniziert haben, der sich „Soldat des Kalifats“ nennt, eine typische Selbstbezeichnung von IS-Kämpfern.

Yamen A. kam in der Hochphase der Flüchtlingskrise nach Deutschland

Wer dieser „Soldat“ ist, und ob oder wie er A. bei der Terrorplanung geholfen hat, wissen die Ermittler nach eigenen Angaben noch nicht. A. wurde verhört. Er soll am Dienstag bereits erste Aussagen zu den Vorwürfen gemacht haben. Nach Recherchen dieser Redaktion führt der mutmaßliche Klarname des Attentäters zu einem Profil bei Facebook. Es zeigt das Gesicht eines jungen Mannes, der demnach in Damaskus geboren ist und in Schwerin lebt. Am 28.Oktober 2015 markiert der Nutzer des Profils, dass er „nach Deutschland gezogen“ sei. Es ist die Hochphase der Flüchtlingskrise. Der mutmaßliche Terrorverdächtige soll Anfang 2016 einen Antrag auf Asyl bei den Behörden gestellt haben.

In mehreren Fällen war es in den vergangenen Wochen und Monaten zu Terror-Razzien gekommen, häufig waren mutmaßliche Islamisten im Fokus, manchmal Rechtsextremisten. Im Oktober 2016 hatten Polizisten einen Syrer in Chemnitz verhaftet. Auch der damals 22 Jahre alte Jaber Albakr hatte in einer Wohnung den Sprengstoff TATP hergestellt. Auch er soll einen Anschlag in Deutschland vorbereitet haben.