Barcelona. Separatisten in Katalonien haben am Freitag die Abspaltung von Spanien beschlossen. Der spanische Senat antwortete mit Zwangsmaßnahmen.

Um 15.25 Uhr gibt es auf dem Platz vor dem katalanischen Regionalparlament in Barcelona kein Halten mehr. Alte Frauen tanzen auf dem Platz im Kreis und brüllen etwas in ihr Telefon, das nach „Independència“ klingt. Studenten liegen einander in den Armen, singen katalanische Lieder. Am Rande stehen grinsend drei Geschäftsfrauen, die mit Weißwein anstoßen.

Eine von ihnen ist Montserrat Costafreda. Sie sagt: „Ich kann gerade nicht denken, nur fühlen.“ Sie will nicht über Artikel 155 reden oder über die EU, das sei alles egal. „Wir sind jetzt unser eigenes Land und reden mit Spanien auf Augenhöhe.“ Von jetzt an, ist sie sich sicher, werde alles besser. „Nur“, fügt sie an, „zum Flughafen würde ich erstmal nicht fahren, den haben die spanischen Mistkerle wahrscheinlich schon geschlossen.“

Während sich die Befürworter der Unabhängigkeit in den Armen liegen, ruft der spanische Regierungschef Mariano Rajoy die Bevölkerung auf, Ruhe zu bewahren. Wenig später, um 16.05 Uhr, stimmt der spanische Senat für die Zwangsverwaltung der autonomen Region Katalonien. Das ist sie also, die Unabhängigkeit für Katalonien. Sie dauert 40 Minuten.

„Hier wird gerade Europa aufs Spiel gesetzt“

Freudentaumel: In Barcelona feierten viele Menscehn die Unabhängigkeit.
Freudentaumel: In Barcelona feierten viele Menscehn die Unabhängigkeit. © REUTERS | YVES HERMAN

Begonnen hat der Tag der Unabhängigkeit wie viele Tage in dieser Woche: mit einer Großdemonstration in Orange und Gelb, den Nationalfarben Kataloniens. Die Menge trifft sich dieses Mal vor dem Parlamentsgebäude, wo das Regionalparlament tagt. Die Sitzung wird auf dem Vorplatz übertragen. Dem Regierungschef liegt zu dem Zeitpunkt schon eine Resolution vor, die mit folgendem Satz beginnt: „Wir erklären Katalonien zum unabhängigen Staat in Form einer Republik.“ Über diesen Text soll das katalanische Parlament in Barcelona abstimmen.

Doch zunächst diskutierten sie, wie sie seit Monaten diskutiert haben, Befürworter und Gegner – leicht daran zu erkennen, dass sie entweder ausgepfiffen oder beklatscht werden. Die Gegner haben sich offenbar verständigt, eine Abstimmung weit nach hinten zu schieben. Sie debattieren voller Inbrunst noch einmal alle Argumente durch: wie unvorbereitet die Politik, wie verunsichert die Wirtschaft Kataloniens schon jetzt ist. Die Menge ruft vereint „Fora“, katalanisch für „Hau ab“.

Wie viel fehlt noch bis zum Bürgerkrieg?

Marta Pombo hatte sich für diesen großen Tag extra zurecht gemacht: Auf ihrem Rock aus Plastikfolie steht „Demokratie“, auf ihrem Rücken legt sich wie ein Superhelden-Umhang die katalanische Flagge und auf dem Kopf trägt sie einen karierten Hut – der erst bei näherem hinschauen ein Fahrradhelm ist. Die katalanische Deutschlehrerin nennt die Unabhängigkeit „das kleinere Übel“. Sie schlafe seit Tagen schlecht und wer weiß, vielleicht kommt wirklich bald die Polizei und beendet diese Demonstration gewaltsam. „Dieses Mal bin ich vorbereitet“, sagt sie und klopft auf ihren Fahrradhelm.

In der Tat ist an diesem Freitag im Zentrum von Barcelona alles möglich: ausgelassene Unabhängigkeitsfeier oder Straßenkampf. Unter den vielen Journalisten, die extra angereist sind, ist auch der Niederländer Arnold Karskens. Er berichtet sonst aus Kriegsgebieten. Jetzt ist er in Barcelona. „Hier wird gerade Europa aufs Spiel gesetzt“, sagt er, „ich habe das Gefühl, dass nicht mehr viel fehlt bis zum Bürgerkrieg.“

Rajoy sieht keine Alternative zu der Absetzung

Mariano Rajoy im spanischen Senat.
Mariano Rajoy im spanischen Senat. © Getty Images | Pablo Blazquez Dominguez

Im spanischen Senat plädiert Ministerpräsident Mariano Rajoy gerade dafür, den Artikel 155 der Verfassung zu aktivieren und die direkte Kontrolle in Katalonien zu übernehmen. „In meinen Augen gibt es keine Alternative“, sagte er am Freitag erneut: „Das einzige, was getan werden kann, ist das Recht einzuhalten.“

Gleichzeitig kommt in Barcelona der Vorschlag der „Konstituierung der katalanischen Republik“ zur Verlesung. „Wir konstituieren die katalanische Republik als unabhängigen, souveränen, demokratischen und sozialen Staat“, heißt es. Mit der Erklärung soll der „verfassungsgebende Prozess“ für diese Republikgründung gestartet und ein Gesetz aktiviert werden, das die Übernahme aller spanischen Kompetenzen in Katalonien regelt. Der Platz füllt sich, einige rennen, um dabei zu sei.

„Wir kämpfen hier um die Menschenrechte“

Einer zischt: „Jetzt geht’s los!“ Es wird abgestimmt. Erste Feuerwerke werden gezündet, als die Stimmen noch ausgezählt werden. Jedes „Si“ wird mit einem Aufschrei begrüßt. Dann das Ergebnis : 70 der 135 Abgeordneten haben für die Unabhängigkeit, zehn dagegen, zwei enthielten sich. Die meisten Abgeordneten der Opposition hatten da das Parlament bereits verlassen.

Marta Pombo sagt, dass es um mehr geht als um die Unabhängigkeit. „Wir kämpfen hier um die Menschenrechte“, sagt sie. “ Sie ist stolz, dass die Proteste der letzten Wochen friedlich waren und will, dass es so bleibt. Nur etwas sorgt sie: „Ich möchte nicht ins Gefängnis.“