Berlin . Mehr als jedes fünfte Kind lebt in armen Verhältnissen. Der Staat muss Kinder besser fördern, damit sich Armut nicht weitervererbt.

Sie schlafen nicht unter Brücken oder betteln um Essen. Kinderarmut in Deutschland bedeutet in den seltensten Fällen Hunger oder Obdachlosigkeit. Armut bedeutet Verzicht. Kinder aus armen Familien können sich vieles von dem nicht leisten, was für ihre Altersgenossen selbstverständlich ist. Ins Kino gehen, ein solides Fahrrad fahren, zwei passende Paar Schuhe für den Winter kaufen, von Urlaubsreisen erzählen. Sie schämen sich, Freunde mit nach Hause zu nehmen, und sie stehen unter Stress, weil die materielle Armut nicht allzu sichtbar sein soll.

Mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland lebt laut einer neuen Studie länger als fünf Jahre in armen Verhältnissen. Nicht zum ersten Mal warnen Forscher deswegen eindringlich davor, dass sich Armut vererbt und über Generationen verfestigt. Und das zu viele Kinder mit dem Gefühl groß werden: Es lohnt sich ja doch nicht.

Vier Fakten zur Kinderarmut in Deutschland

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    Kinder von Alleinerziehenden sind besonders gefährdet

    Für dieses Gefühl gibt es verschiedene Gründe. Es gibt Kinder, die sehen, wie sich ihre Eltern abstrampeln, mehrere Jobs nebeneinander machen, und dennoch kaum über die Runden kommen. Kinder von Freiberuflern können das sein, von Ungelernten, von Geringqualifizierten und sehr oft auch von Alleinerziehenden. Es gibt aber auch Kinder, die sehen, dass man in Deutschland zwar formal als armutsgefährdet gelten kann, im Alltag aber ganz gut über die Runden kommt.

    Wenn die Großfamilie zusammenhält zum Beispiel, oder wenn Schwarzarbeit die Kasse regelmäßig auffüllt. Hinzu kommt: Ein Lebensstandard, der in Deutschland bereits als prekär gilt, wäre in anderen Ländern mindestens solide. Familien, die aus Angst vor Verelendung ihre Heimat verlassen haben, haben in Deutschland oft bereits das Gefühl, weit gekommen zu sein – auch wenn sie nach hiesigen Maßstäben als armutsgefährdet gelten.

    Mit Mittelschichtfamilien gewinnen die Parteien die Wahlen

    Kein Kind darf deswegen schlechtere Chancen haben als andere – doch wer ehrlich über Kinderarmut redet, darf nicht über die prägende Realität solcher Milieus schweigen.

    Experten fordern deswegen zu Recht, die Vererbung von Armut endlich zu durchbrechen. Doch wie? Sollten sich Union, FDP und Grüne auf eine Regierung einigen, dürfte eher eine andere Gruppe profitieren: Die Mittelschichtfamilien. Sie sind es, mit denen man Wahlen gewinnt, sie sind es, die jetzt vor allem von Union und FDP belohnt werden sollen. Von höheren Kinderfreibeträgen hätten aber nur Eltern etwas, die jetzt schon nennenswert Steuern zahlen. Und höheres Kindergeld käme nur solchen Familien zu Gute, die oberhalb der Hartz-IV-Grenze liegen; bei allen anderen wird es mit der Sozialhilfe verrechnet.

    Mini-Jobber sollen mehr verdienen müssen

    Sicher, es wäre ungerecht, den möglichen Jamaika-Partnern zu unterstellen, Kinderarmut wäre ihnen egal. Die Liberalen wollen Hartz-IV-Empfängern, ihnen mehr Möglichkeiten geben, Geld dazuzuverdienen, ohne dass ihnen jeder Euro gleich angerechnet wird. Auch Mini-Jobber sollen durch eine Anhebung der 450-Euro-Grenze mehr Spielraum haben, sich selbst aus der Armutsfalle zu befreien.

    Teuer, aber vernünftig ist auch die Forderung der Union nach einem Rechtsanspruch auf Ganztagsschule. Hier wäre staatliches Geld in jedem Fall besser investiert als in Steuersenkungen. Denn: Schaffen es die Eltern nicht, ist die Schule der einzige Ort, an dem Kinder lernen können, dass es sich lohnt und wie man es anstellt, aus der Armutsfalle zu kommen.

    In vier Jahren wolle sie nicht noch einmal sagen müssen, jedes fünfte Kind lebt in Armut, erklärte Grünen-Spitzenfrau Katrin Göring-Eckardt am Montag. Ein gewagter Satz. Kommt es zu einem Jamaika-Bündnis, werden sie sich daran messen lassen müssen.

    Einen Kommentar zum Thema finden Sie hier: Holt sie da raus!