Berlin. Die Konjunktur läuft gut – aber alle ihre Versprechen werden die vier Parteien nicht bezahlen können. Doch es gibt Hoffnung auf Geld.

Der monatliche Bericht des Bundesfinanzministeriums ist Lektüre für Fachleute. Er enthält viele Zahlen, Tabellen und Grafiken – Lesegenuss sieht anders aus. Die aktuelle Ausgabe aber dürften die Jamaika-Verhandler, die sich am Freitag zum ersten Mal in großer Runde trafen, mit Freude zur Kenntnis nehmen, denn in dem am selben Tag erschienenen Heft stehen gute Nachrichten.

Zu erwarten sei „eine schwungvolle Fortsetzung des Konjunkturaufschwungs in Deutschland“, heißt es dort etwa. Das bedeutet mehr Jobs, höhere Firmengewinne und mehr Steuereinnahmen. Und das heißt: mehr Geld zum Verteilen.

Die finanziellen Vorzeichen könnten nicht besser sein

Selten stand am Beginn von Koalitionsverhandlungen so viel Geld zur Verfügung wie in diesem Jahr. Selten waren die Versprechen der beteiligten Parteien aber auch so teuer. Addiert man alle Pläne und Wünsche zusammen, die in den Wahlprogrammen von CDU, CSU, FDP und Grünen stehen, landet man locker bei 100 Milliarden Euro. Zur Verfügung haben die Koalitionäre in spe aber nur gut 30 Milliarden Euro – nicht für ein Jahr, sondern für alle vier Jahre der Wahlperiode zusammen. Auf diese Summe schätzen Wirtschaftsforscher, Finanzpolitiker und sogar die Opposition die Finanzreserven.

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    Mit dieser Summe aber lässt sich erst einmal gut kalkulieren. Die Beamten von Noch-Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) schätzen nämlich, dass die Steuereinnahmen weiter gut fließen.

    Unternehmen dürften weiter gute Gewinne erzielen

    Die „robuste“ Entwicklung bis einschließlich September zeige, dass die Unternehmen auch in nächster Zeit gute Gewinne erwarten würden. Im nächsten Jahr werde die absolute Rekordzahl von 45 Millionen Menschen erwerbstätig sein. Insgesamt halte der Wirtschaftsboom mindestens bis zum Ende der Wahlperiode: „Die konjunkturelle Normallage wird 2022 erreicht“, heißt es in dem Bericht.

    Für Kanzleramtsminister Peter Altmaier, der bei den Koalitionsverhandlungen die rechte Hand von CDU-Chefin Angela Merkel ist und ab Dienstag auch noch kommissarisch Finanzminister wird, war das Anlass genug, Hoffnungen auf eine Steuerreform zu wecken: Es sei wichtig, „dass wir darüber reden, wie wir die Steuerlast auch reduzieren können, wie wir etwas zurückgeben können“, sagte er auf einer Veranstaltung des Handwerks. Es gebe finanzielle Spielräume. Sparprogramme seien nicht nötig. Schäubles „Erfolgsstory“ eines Bundeshaushalts ohne neue Schulden wolle man weiterführen.

    Grüne finden Investitionen wichtiger als Steuersenkungen

    Auch der Chef-Finanzpolitiker der Unions-Bundestagsfraktion, Ralph Brinkhaus (CDU) meint: „Wir sollten die neue Wahlperiode nicht mit einem Sündenfall begehen und die ‘Schwarze Null’ über Bord werfen“, warnte er. Ein Haushalt ohne neue Schulden sei wichtig für kommende Generationen, er sei aber auch ein Puffer für konjunkturell schlechte Zeiten: „Das setzt neuen Ausgabewünschen klare Grenzen.“

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      Damit deuten sich erste Konfliktlinien an, denn Jürgen Trittin, einer der Chef-Verhandler der Grünen, machte am Freitag deutlich, dass für seine Partei Investitionen Vorrang vor Steuerentlastungen haben: „Wir müssen uns klarmachen, dass in Deutschland jede dritte Brücke baufällig ist, dass wir 100 Milliarden Investitionsstau in den Kommunen haben“ , sagte er in der ARD.

      Trittin könnte mit der „schwarzen Null“ leben

      Auch in der Pflege seien Investitionen nötig. Mit der „schwarzen Null“ freilich könnte Trittin leben. Er warnte davor, kurzzeitig höhere Steuereinnahmen für dauerhafte Ausgaben zu verwenden. Union, Grüne und FDP sollten erst einmal alle „auf dem Boden der finanziellen Tatsachen“ ankommen. „Da wird mancher Traum über steuerliche Vorstellungen platzen“, sagte er und meinte damit vor allem die FDP.

      Die Liberalen wollen nicht nur den Solidaritätszuschlag 2019 auf einen Schlag abschaffen. Das allein kostet schon 18 Milliarden pro Jahr. Die FDP will bis zum Ende der Wahlperiode auch die Einkommensteuer um 30 bis 40 Milliarden Euro senken – ein Betrag, der dann jedes Jahr fehlen würde. Diese Pläne hält man selbst in der Union für unmöglich. CDU und CSU peilen nur 15 Milliarden Euro Steuerentlastung an, der Soli soll nur schrittweise sinken.

      Koalition muss auf Wohlwollen der Bundesländer hoffen

      Die Wunschliste ist aber noch länger: CDU und CSU wollen den Kinderfreibetrag bis zum Grundfreibetrag für Erwachsene anheben. Um Besserverdiener nicht zu bevorteilen, soll zugleich das Kindergeld um 25 Euro je Kind erhöht werden. Allein das dürfte etwa sechs Milliarden Euro pro Jahr kosten – die Steuerentlastungen nicht mit eingerechnet.

      Doch selbst wenn sich die vier Parteien auf eine Steuerreform einigen sollten: Ohne die Bundesländer geht nichts, denn ihnen steht ein Teil der Einnahmen zu. Erwartbar ist also, dass die Länder sich die Zustimmung teuer abkaufen lassen. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Bund Einnahmeausfälle der Länder kompensieren müsste.

      Welche Zugeständnisse werden an die Länder gemacht?

      Möglich wären finanzielle Zugeständnisse im Bereich der Bildung. Hier sind sich alle vier Parteien einig, dass dringend mehr Geld fließen muss. Die FDP hat das Thema sogar zur Kernforderung gemacht. Sie will, dass für jeden der aktuell elf Millionen Schüler in Deutschland in den nächsten fünf Jahren 1000 Euro für Technik ausgegeben werden.

      Das wären dann pro Jahr zwei Milliarden Euro. Auch der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Schulkinder, den die Union durchsetzen will, kostet pro Jahr geschätzt zwei Milliarden Euro. Für das dann zusätzliche Personal kämen noch einmal knapp drei Milliarden Euro pro Jahr obendrauf. Für Forschungsförderung hat die Union Steuerausfälle von etwa zwei Milliarden Euro eingerechnet – ebenfalls pro Jahr.

      Koalition könnte Telekom- und Postanteile verkaufen

      FDP und Grüne haben immerhin eine Idee, wie man für alle diese Vorhaben zusätzlich frisches Geld bekommt: Um den Netzausbau zu beschleunigen, um die Verwaltung zu digitalisieren, schlagen sie vor, die Bundesanteile an der Telekom und der Post zu verkaufen. Das brächte bei den aktuellen Börsenkursen rund 20 Milliarden Euro. Die Höhe dieser Einnahmen aber ist keineswegs sicher und vor allem: Es gäbe sie nur einmal und dann nie wieder.

      Nicht bei allen Plänen der potenziellen Koalitionspartner sind die Kosten konkret zu benennen. So sollen auch die Ausgaben für Verteidigungs- und Entwicklungspolitik weiter spürbar steigen. Auch für Polizei, die EU oder allgemein für Bekämpfung von Fluchtursachen soll mehr gezahlt werden.

      CSU will Mütterrente ausbauen

      Teuer wird es ziemlich sicher auch im Bereich Soziales. Hier gehen die Versprechen der Parteien aber weniger auf Kosten des Staatshaushalts. Vielmehr dürften die prall gefüllten Kassen der Sozialversicherungen geplündert werden. So pocht die CSU – sehr zum Leidwesen der Schwesterpartei CDU – nach wie vor auf eine Ausweitung der Mütterrente. Frauen, die vor 1992 Kinder bekommen haben, sollen noch ein weiteres Jahr Erziehungszeit angerechnet bekommen. Sie sollen damit jüngeren Müttern gleichgestellt werden. Die Rentenkasse würde das jedes Jahr sechs bis sieben Milliarden Euro kosten.

      Dass nicht alle Wünsche erfüllbar sind, dürfte klar sein. In drei Wochen wissen die Jamaika-Verhandler ganz genau, wie viel Geld sie zur Verfügung haben: Dann liegt die amtliche Steuerschätzung für die nächsten Jahre vor.