Berlin/Prag. Die Tschechen wählen gerade ein neues Parlament. Dann könnte Andrej Babiš neuer Premier werden. Für ihn sind Geschäft und Politik eins.

An diesem Samstag endet die Parlamentswahl in Tschechien. Noch bis 14 Uhr können die Bürger ihre Stimme abgeben. Umfragen sagen einen Sieg der populistischen ANO-Bewegung des Milliardärs Andrej Babiš voraus. Weil die Polizei wegen mutmaßlichen Subventionsbetrugs gegen ihn ermittelt, schließen aber viele Politiker eine Zusammenarbeit mit ihm aus.

Kurz vor der Parlamentswahl in Tschechien lässt sich der Favorit in einem Käfig mit Lemuren filmen. Die gestreiften Primaten zupfen am flattrigen Rollkragenpullover des Premierministers in spe. Sie sind Bewohner einer Luxusfarm, zwischen grünen Hügeln, fünfzig Kilometer südlich von Prag. Die Farm heißt Storchennest und gehört zum Firmenimperium Agrofert des Wahlfavoriten – so wie an die 250 Landwirtschafts- und Chemieunternehmen und einige der wichtigsten Medien im Land.

Der Wahlfavorit heißt Andrej Babiš, ist 63 Jahre alt und mehrfacher Milliardär. Wegen der Luxusfarm ermittelt die tschechische Polizei und die Brüsseler Anti-Korruptionsbehörde Olaf. Denn für den Aufbau der Farm soll Babiš rund zwei Millionen Euro aus EU-Fördergeldern veruntreut haben. Jetzt steht Babiš vor großen Schautafeln. Sie zeigen die Ruine, auf der das Storchennest gebaut wurde.

Bis Samstag um 14 Uhr wählen die Tschechen ein neues Parlament

„Ich habe dieses Video gedreht, damit ihr die Wahrheit erfahrt“, sagt er. Die sehe so aus: Die Farm hat der ganzen Region Aufschwung gebracht, Rentner und Kinder erfreuen sich an den Lemuren und anderen Tieren. Einen anderen Teil der Wahrheit sagt er nicht. Kontrollberichte, die dieser Redaktion vorliegen, legen nahe: Babiš überschrieb eine seiner Firmen auf anonyme Aktionäre, griff EU-Mittel für mittelständische Unternehmen ab und gliederte die Farm wieder ein. Wenn Babiš damit konfrontiert wird, wird er schnell laut, sagt Dinge wie: „Auf das Thema bin ich allergisch! Ich muss niemandem etwas beweisen.“ Oder: „Das ist eine Pseudoaffäre, eine Kampagne gegen meine Bewegung.“

Bis Sonnabend um 14 Uhr wählen die Tschechen ein neues Parlament. Alles deutet darauf hin, dass die liberal-populistische Bewegung von Babiš mit dem Namen ANO – übersetzt heißt das Ja, steht aber auch für die Worte „Aktion unzufriedener Bürger“ – gewinnt. ANO führt in den Umfragen mit 25 Prozent, knapp 13 Prozentpunkte vor den Sozialdemokraten. Bald könnte ein Mann Regierungschef werden, der an Trump erinnert: Babiš will den Staat wie eine Firma führen, wettert gegen Brüssel, Flüchtlinge, Politiker, kritische Medien. Er liebäugelt damit, die zweite Parlamentskammer abzuschaffen.

Kritischen Fragen von Journalisten will Babiš sich nicht aussetzen

Wird nach Polen und Ungarn ein weiteres mitteleuropäisches Land der EU den Rücken kehren, die Demokratie untergraben? Und wer ist dieser Mann, dem so viele Tschechen trotz Korruptionsaffären die Geschicke ihres Landes anvertrauen wollen? Wer Andrej Babiš in den letzten Tagen vor dem Urnengang in Tschechien treffen will, stößt schnell an Grenzen. Öffentliche Auftritte mit Babiš werde es keine mehr geben, sagt seine Sprecherin dieser Redaktion. Einen Tag später taucht ein Video auf Facebook auf.

Eine Rentnerin umarmt Babiš bei einer Wahlkampfveranstaltung, sagt: „Sie sind der einzige Mensch, der meinem Herzen nahesteht.“ Babiš streichelt den Rücken der Frau, lächelt in die Kamera. Das sind die Bilder, die Babiš produzieren will. Kritischen Fragen von Journalisten braucht er sich nicht mehr auszusetzen. Auch tschechische Medien, die nicht zu seinem Unternehmen gehören, meidet er.

Agrofert hat Stickstoffwerke in Sachsen-Anhalt

Nach dem Fall des kommunistischen Regimes hat der gebürtige Slowake Babiš über Seilschaften in die Politik schnell wichtige Chemie- und Landwirtschaftsfirmen aufgekauft, seine wirtschaftliche Macht ausgebaut. Agrofert ist eines der größten Unternehmen im Land, beschäftigt Zehntausende. Davon mehr als 4500 in Deutschland. Zu Agrofert gehören die Stickstoffwerke Piesteritz in Sachsen-Anhalt und die Großbäckerei Lieken. Sein Erfolg als Unternehmer begeistert viele Tschechen. „Er hat eine starke Geschichte, viele Arbeitsplätze geschaffen. Viele glauben, dass so jemand auch den Staat gut führen kann“, sagt Milan Znoj, Politologe an der Prager Karls-Universität.

„Das ist nicht da sLand von Babiš“, heißt es auf einem Protestplakat in Tschechien.
„Das ist nicht da sLand von Babiš“, heißt es auf einem Protestplakat in Tschechien. © REUTERS | DAVID W CERNY

Den traditionellen Parteien trauen das immer weniger Menschen zu. Die Wut über die vielen Skandale der Politiker erreichte vor vier Jahren einen Höhepunkt. Damals haben vermummte Antikorruptionseinheiten den Regierungssitz gestürmt und ein Korruptions- und Spitzelnetzwerk aufgedeckt, das sich um den damaligen Premierminister und seine Büroleiterin und Geliebte gesponnen hatte. Aus dem Stand wurde ANO zweitstärkste Kraft im Parlament, Babiš Finanzminister. Damit war der größte Empfänger von EU-Fördermitteln gleichzeitig verantwortlich für die Kontrolle ihrer Verteilung.

Betrugsvorwürfe kosteten Babiš den Posten des Finanzministers

Laut Ingeborg Gräßle (CDU), Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses im Europäischen Parlament, bezog Agrofert in sieben Jahren bis 2016 mehr als 200 Millionen Euro Fördergelder. Auch mit Blick auf einen Wahlsieger Babiš’ sagt Gräßle: „Ich habe die Sorge, dass er EU-Fonds gezielt für den eigenen wirtschaftlichen Erfolg nutzt.“ Der Interessenskonflikt prallte nicht ganz an Babiš ab. Betrugsvorwürfe kosteten ihn den Posten des Finanzministers, ein neues Gesetz zwang ihn, die Aktien seiner Firmen an einen Treuhandfonds abzugeben – jedoch sitzt in dessen Aufsichtsrat seine Frau.

Auch ein Teil seiner ursprünglichen Wählerklientel – jüngere, gebildete Wähler in den Städten – wendeten sich von ihm ab. Der Unternehmer wusste, was zu tun ist. Noch als Finanzminister wechselte er die Strategie, trat weniger als proeuropäischer Reformer auf. Jetzt setzt er auf den Faktor Angst.

Verhandlungen zum EU-Beitritt Tschechiens

Vor der Wahl hat Babiš ein Buch herausgegeben. Titel: „Wovon ich träume, wenn ich gerade mal zufällig schlafe.“ Auf dem Cover lächelt Babiš aus einem weißen Hemd. „Meine Vision 2035 für die Tschechische Republik, für unsere Kinder“, steht dort. Das Buch wird gratis in Tschechien verteilt. In den Kapiteln zu Europa träumt Babiš von einer Union starker Nationalstaaten, erteilt der Einführung des Euros eine Absage, warnt vor unkontrollierter Einwanderung und islamistischem Terror.

Andrej Babiš gibt sich gerne volksnah.
Andrej Babiš gibt sich gerne volksnah. © REUTERS | DAVID W CERNY

Er schreibt: „Darum lehnen wir Flüchtlingsquoten und Erpressungen aus Brüssel ab.“ Es dürfe nicht sein, dass wenige Länder in der EU den Tschechen diktierten, wie sie zu leben haben. Auch wegen Aussagen wie diesen hat Pavel Telička ANO den Rücken gekehrt. Er hat die Verhandlungen zum EU-Beitritt Tschechiens angeführt, wurde EU-Kommissar und zog später für ANO ins EU-Parlament ein.

Miloš Zeman will Babiš mit der Regierungsbildung beauftragen

Er sagt: „Mit der negativen Rhetorik wiegelt er die Leute gegen Brüssel auf.“ Also bekommt die EU mit Babiš doch einen weiteren Jarosław Kaczyński wie in Polen, einen Viktor Orbán wie in Ungarn? Telička winkt ab: „Das ist eine ganz andere Kategorie.“Darin geben ihm viele Beobachter recht. Tschechien und nicht zuletzt Babiš’ Firmen sind wirtschaftlich viel zu eng mit Deutschland und der EU verflochten, als dass er in einen harten Konflikt mit Brüssel gehen dürfte.

Entscheidend wird der Ausgang der Wahl sein – und mit wem ANO in die Koalition geht. Dass Andrej Babiš diese Regierung anführen wird, davon geht zumindest einer fest aus: Präsident Miloš Zeman, stolzer Kettenraucher, Populist und Babiš-Verbündeter. Er will Babiš mit der Regierungsbildung beauftragen, auch wenn der wegen seines Storchennests im Gefängnis landet.