Berlin. Kurz vor der ersten Bundestagssitzung mit AfD-Beteiligung werden Tausende gegen Hass demonstrieren. Initiator Ali Can erklärt die Idee.

Ali Can bezeichnet sich als ein „Migrant des Vertrauens“. Mit zwei Jahren als Asylbewerber aus der Südosttürkei nach Deutschland gekommen, können Menschen den 23-Jährigen an mehreren Abenden in der Woche über die „Hotline für besorgte Bürger“ anrufen. Dabei will er die Anrufer explizit nicht von einer anderen Meinung überzeugen, sondern zuhören, was Bürger zu Flüchtlingen und Asylbewerbern in Deutschland zu sagen haben.

Am Abend der Bundestagswahl hat der Lehramtsstudent eine Demonstration gegen Hass und Rassismus im Bundestag angestoßen. Zwei Tage vor der konstituierenden Sitzung werden dazu am Sonntag Tausende Menschen am Brandenburger Tor erwartet. Im Interview erklärt er, was das mit der AfD zu tun hat – und was mit der Gesellschaft.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Facebook, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Sie haben schon Hunderte besorgte Bürger am Telefon gehabt, was sagt denn ein besorgter Bürger, wenn er von der Demo hört?

Ali Can: Der ist zunächst überrascht und nimmt den Slogan als Anti-AfD-Demo oder ein sehr links-liberales Event wahr.

... und sieht einen Widerspruch zur Philosophie der Hotline für besorgte Bürger, Menschen mit ihren Sorgen ernst zu nehmen?

Can: Ja, weil es in der Natur der menschlichen Psyche liegt, Dinge nicht werturteilsfrei zu betrachten, sondern mit einer Brille und Erwartungen heranzugehen. Meine Mission bleibt ein vorurteilsfreies Miteinander. Die Wahrnehmung liegt am Filter der Menschen. Ich sage ganz deutlich, dass wir keine Anti-AfD-Demo planen, wir wollen eine Bürgerbewegung sein, die sich gegen ein Phänomen in der Gesellschaft richtet, das sich auch in anderen Parteien und bei unpolitischen Menschen findet. Auch ein Freund von mir, der die AfD wählt, wird anreisen. Die Demonstration soll ein Zeichen für mehr Wertschätzung sein, sie soll appellieren, den Riss in der Gesellschaft zu schließen. Sie richtet sich auch genauso dagegen, wenn Muslime homophob oder frauenverachtend auftreten.

Bei der Entstehungsgeschichte der Demo und aufgrund des Termins zwei Tage vor der ersten Sitzung des Bundestags mit der AfD ist es aber schwer, zu vermitteln, dass es keine Anti-AfD-Demo ist, oder?

Can: Ich erkläre das jedem gerne. Keiner von uns würde sagen, dass es eine Demonstration GEGEN den Einzug der AfD in den Bundestag ist, so etwas verstärkt Spaltung nur. Es ist eine Demo ZUM Einzug. Sie soll eine Einladung sein an alle, die abwertende und verachtende Dinge gesagt und geschrieben haben, zu reflektieren. Ich werde in meiner Rede sagen, dass ich die Hand ausstrecken will, dass wir uns versöhnen, ins Gespräch kommen und miteinander die Herausforderungen angehen sollten. Wer auch dafür ist, kann das mit seinem Besuch unterstützen.

Als die Organisation Avaaz eine Petition an die AfD gerichtet hat, wurde sie 500.000-fach unterzeichnet und viele Tausend Mal geteilt. Jetzt hat der Avaaz-Aufruf zur Demo keine 50 Likes und ist nur zwei Dutzend Mal geteilt worden. Bei der Organisation Campact sieht es ähnlich aus. Woran liegt das?

Can: Das beweist zunächst, dass die Demo eben nicht so aufgeladen ist. Es richtet sich gerade nicht gegen einen bestimmten Akteur, man hat kein Gesicht vor Augen. Das ist versöhnlicher, es emotionalisiert dann aber eben weniger. Avaaz und Campact waren aber sofort dabei, als ich sie kontaktiert habe und teilen meine Ansicht, dass unsere Gesellschaft mehr Respekt braucht. Ohne sie hätte ich die Demo nicht so weit bringen können.

Ist es dann enttäuschend, wenn dann nur einige Tausend kommen, obwohl Organisationen mit Hunderttausenden Unterstützern aufrufen und Culcha Candela auch noch live auf der Bühne stehen?

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Facebook, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Can: Wir hatten sehr wenig Zeit, das Organisationsteam ist vor einer Woche zum ersten Mal zusammengekommen. Unter den Umständen halte ich es für einen sehr großen Erfolg, wenn einige Tausend kommen. Ich möchte das auch als Auftakt sehen, wir werden vielleicht so etwas wie eine Bewegung daraus machen.

Sie wurden gefragt, ob die Demo die AfD beeindrucken wird und Sie haben das bejaht. Erleben wir keinen Rassismus im Bundestag?

Can: Die AfD hat jetzt die großartige Chance, sich von dem Rassismus zu entfernen, den sie im Wahlkampf gezeigt hat. Das Plakat „Neue Deutsche machen wir selbst“ etwa hat mich sehr betroffen gemacht. Ich habe einige AfD-Funktionäre kennengelernt und unterstelle Leuten wie einem Markus Frohnmaier [Sprecher von Alice Weidel, Vorsitzender der Jungen Alternative und kommender Bundestagsabgeordneter, Anm. d. Red.], dass sie sich reflektieren und neu ausloten können. Ich rechne auch mit einem Aufbegehren der Liberal-Konservativen, die von der Parteispitze erwarten, einen menschenverachtenden Duktus aufzugeben. Vielleicht ist das Optimismus, aber ich habe einige kennengelernt, die im Wandel begriffen sind. Und als Demokrat bin ich auch dafür, dass es eine breite Parteienlandschaft gibt. Und wollen wir die Werte des Grundgesetzes, wie die Würde aller Menschen betonen, so müssen wir uns daran immer erinnern.

• Die Demonstration beginnt am Sonntagmittag am Brandenburger Tor und soll einmal um den Bundestag herumführen. Unterstützt wird der Protestzug außerdem vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), der Amadeu Antonio Stiftung, Campact, dem Lesben- und Schwulenverband, der Organisation „Die offene Gesellschaft“ sowie anderen Initiativen.