Peking. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping hat so viel Einfluss wie kaum jemand vor ihm. Er sieht das Land am Beginn einer „neuen Ära“.

In einem Punkt dürften sich die vielen Staats- und Regierungschefs, die Xi Jinping in den letzten fünf Jahren begegnet sind, einig sein: Der chinesische Staats- und Parteichef weckt Sympathien. Xi ist stets freundlich, lächelt viel, wirkt unaufgeregt und besonnen. Der 64-Jährige wird selten laut, wilde Anfeindungen gegen seine Gegner spart er sich. Auf der Weltbühne ist er quasi der Anti-Trump.

Das hat er am Mittwoch zum Auftakt des nur alle fünf Jahre tagenden Parteikongresses der chinesischen Kommunisten erneut bewiesen. Selbstbewusst trat er in der Großen Halle des Volkes ans Mi­krofon. Er begann seine Rede mit milden Tönen. Die Welt stünde zwar vor „tief greifenden und komplizierten Veränderungen“. Er sei aber zuversichtlich, dass das Land unter seiner Führung die Herausforderungen meistern werde.

Xi Jinping hat viel Macht an sich gerissen

Xi sprach von einer „neuen Ära“, in der die Partei einen „Sozialismus nach chinesischer Art“ praktiziere. Genau für diese Töne gilt er in weiten Teilen der Bevölkerung als beliebt. Doch der Eindruck des sanften Vaters der Nation trügt: Seit dem Tod des großen Reformers Deng Xiaoping hat kein chinesischer Führer mehr so viel Macht an sich gerissen, wie es Xi Jinping derzeit wagt.

Im Augenblick deutet alles darauf hin, dass Xi beim 19. Parteikongress seine Herrschaft noch weiter ausbauen und selbst die letzten Führungsposten mit seinen Gefolgsleuten besetzen wird. Offiziell soll er nur für weitere fünf Jahre im Posten als Generalsekretär bestätigt werden. Doch seine Kritiker befürchten, dieser Parteikongress könnte zum Krönungsparteitag werden – und Xi zum Mao des 21. Jahrhunderts.

Xi kündigt den Wiederaufstieg Chinas an

Einen Vorgeschmack lieferte er im weiteren Verlauf seiner fast dreieinhalbstündigen Auftaktrede: „Alle Genossen müssen höchst wachsam gegenüber den Gefahren sein“, warnte er. Sie müssten entschieden gegen alles angehen, was die Partei „untergräbt“. Xi Jinping rief die 89 Millionen Parteimitglieder zur Geschlossenheit auf.

Auch außenpolitisch schlug er neue Töne an. „Der Wiederaufstieg der Nation ist der größte Traum des chinesischen Volkes“, sagte Xi und kündigte an, eine „Armee auf Weltklasse-Niveau“ aufzubauen.

Nach Mao führte China kollektive Herrschaft ein

Autoritär ist China zwar auch in den letzten 40 Jahren gewesen. Doch nach Maos grausamen Kampagnen mit Zehntausenden Opfern hatten die Nachfolger die kollektive Herrschaft eingeführt. Jeder sollte ersetzbar sein. Und jeder sollte sich bei seinen Entscheidungen mit anderen Parteigrößen absprechen müssen. Das war der Gedanke.

Zudem galt in China die Doktrin der Nichteinmischung, die Reformpatriarch Deng Anfang der 80er-Jahre ausgegeben hatte. Er wollte nicht, dass sich sein Land in die Belange anderer Staaten einmischt. Umgekehrt sollte niemand von außen in chinesische Angelegenheiten hineinreden. Mit dieser Rede scheint der amtierende Staats- und Parteichef mit diesen Doktrinen zu brechen.

Xi entledigt sich innerparteilicher Widersacher

Führungsintern hat er in den letzten fünf Jahren bereits so aufgeräumt wie keiner seiner beiden Vorgänger vor ihm. So erklärte Xi gleich nach Amtsantritt die Korruptionsbekämpfung zur Chefsache und überzog das ganze Land mit einer Kampagne, die bis heute anhält. Angesichts diverser Skandale ranghoher Parteikader, die sich gnadenlos selbst bereichert hatten, begrüßten viele sein Vorgehen zwar.

Doch Xi nutzt die Kampagne, um sich auch seiner innerparteilichen Widersacher zu entledigen: Mehr als eine Million Beamte und Parteisekretäre sind bereits ihrer Ämter enthoben, in Haft oder vor Gericht gestellt. Auch gegen Dissidenten, Menschenrechtler und Journalisten geht er rigoros vor.

„Offene Märkte“ sollten eigenem Vorteil dienen

In der internationalen Wirtschaftswelt wird Xi hingegen gefeiert. Auf einer viel beachteten Rede Anfang des Jahres beim Weltwirtschaftsforum in Davos hatte er mit starken Worten ein offenes China versprochen. Seitdem haben sich jedoch die Kapitalflüsse zu anderen Ländern eher abgeschwächt. Die „offenen Märkte“ sollen vor allem dem eigenen Vorteil dienen. Entscheidende Deregulierungen – wie eine Aufhebung der Pflicht zu Zwangskooperationen der Autohersteller – bleiben bisher aus.