Berlin. Der Rücktritt des sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich muss Angela Merkel alarmieren. Der Gegenwind dürfte stärker werden.

Man hat sich daran gewöhnt, dass in der deutschen Politik Spitzenkandidaten auch nach dramatischen Wahlniederlagen an ihren Ämtern kleben und einen Rücktritt um jeden Preis vermeiden. Umso ungewöhnlicher ist es, wenn ein Politiker nach einer Wahlschlappe hinwirft, für die er unmittelbar gar nicht Verantwortung trägt: So ist es jetzt beim Rücktritt von Sachsens Ministerpräsident Tillich, der die Konsequenz aus dem schlechten Abschneiden der sächsischen CDU bei der Bundestagswahl vor dreieinhalb Wochen zieht.

Dass die AfD an der CDU vorbeigezogen und stärkste Kraft im Freistaat geworden ist, war wohl eher ein Denkzettel für die in Sachsen besonders umstrittene Flüchtlingspolitik der Kanzlerin als ein Misstrauensvotum für Tillich. Der ist zwar in Sachsen mit einem ruhigen, kompromissorientierten, mitunter auch zögerlichen Politikstil selbst nach neun Amtsjahren nicht in die Rolle eines glanzvollen Landesfürsten hineingewachsen, aber er konnte bislang solide Mehrheiten im Lande organisieren.

Doch die dramatischen Verluste bei der Bundestagswahl wiegen für die CDU in Sachsen besonders schwer: Sie hat hier lange mit absoluter Mehrheit regiert und betrachtet den Freistaat als natürliche Hochburg – deshalb hat der Erfolg der AfD die Partei in ihren Grundfesten erschüttert.

Tillich verlor nach Biedenkopfs Dolchstoß Rückhalt

Seit der Bundestagswahl rumort es: Die Lage wurde ernst für CDU-Landeschef Tillich, als der frühere sächsische Ministerpräsident Biedenkopf seinem Ziehsohn das Vertrauen entzog. Biedenkopf machte ihn nicht nur für das schlechte Abschneiden bei der Bundestagswahl verantwortlich, sondern sprach ihm gleich noch die notwendige Vorbildung und Eignung für das Amt ab. Das Wort des einst als „König Kurt“ verehrten Biedenkopf gilt in der Landes-CDU noch immer etwas – nach diesem Dolchstoß verlor Tillich rasch an Rückhalt.

Keine Frage, der Ministerpräsident hat Fehler gemacht – aber so falsch die einfache Schuldzuweisung ist, so wenig wird sein Rücktritt der CDU jetzt helfen.

Tillich fuhr zu spät eine härtere Linie gegen rechts

Tillich hat im Umgang mit der AfD einerseits, dem in Sachsen vergleichsweise starken Rechtsextremismus andererseits keine gute Figur gemacht: Zu lange hat er ausländerfeindliche Exzesse einer starken Neonazi-Szene verharmlost. Und lange hatte er auch eine klare Abgrenzung gegenüber der AfD und ihrer außerparlamentarischen Pegida-Bewegung vermieden, um rechtskonservative Wähler nicht zu verprellen.

Erst als die Schlagzeilen für Sachsen immer hässlicher wurden, entschied sich Tillich für eine härtere Linie. Aber mit dem Wackelkurs steht er nicht allein; Teile der sächsischen CDU haben seit Biedenkopfs Zeiten Warnungen vor Ausländerfeindlichkeit und rechtsextremer Gewalt im Freistaat als Nestbeschmutzung empfunden.

Sachsen-CDU wird laschen Kurs gegen AfD nicht ändern

Im sächsischen Landesverband gibt es längst Stimmen, die für eine mittelfristige Zusammenarbeit mit der AfD eintreten. Es ist offenkundig, dass diese Strategie nicht funktioniert und die Rechtspopulisten eher groß gemacht hat. Aber es ist nicht zu erkennen, dass die sächsische CDU diesen Kurs jetzt ändern wird. Im Gegenteil: Die Landespartei wird jetzt wohl in der Asyl- und Flüchtlingspolitik einen noch härteren Kurs einschlagen.

Das ist eine alarmierende Aussicht für die CDU-Vorsitzende Angela Merkel: Tillich war zwar ein Kritiker ihrer Flüchtlingspolitik, aber er ist bei allem Widerspruch am Ende immer loyal geblieben. Nun dürfte der Gegenwind aus Sachsen für die Kanzlerin stärker werden. Zum Auftakt der Koalitionssondierungen trägt Merkel jetzt eine weitere Bürde.