Barcelona. Die Unabhängigkeit Kataloniens ist aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Spanien muss sich auf einen langen Konflikt gefasst machen.

In letzter Sekunde ist die katalanische Separatistenregierung auf die Bremse getreten und hat nicht, wie angekündigt, die sofortige Unabhängigkeit ihrer Region von Spanien proklamiert. Der große Druck der EU, der spanischen Regierung und auch der katalanischen Bevölkerung, in der die Separatisten keine klare Mehrheit haben, hat offenbar Wirkung gezeigt.

Doch der einseitige Abspaltungsplan ist nicht vom Tisch, sondern nur aufgeschoben. Insofern muss sich Spanien wie Europa darauf vorbereiten, dass der Konflikt noch lange nicht beendet ist und bald wieder aufflammen dürfte. Die am Dienstagabend verkündete Marschroute heißt: Unabhängigkeit ja, aber wir versuchen noch einmal, mit Spanien zu sprechen.

Fronten sind verhärtet

Es ist freilich absehbar, dass dieser kleine Aufschub wenig an der grundsätzlichen Situation ändern wird: Spaniens Regierung teilte am Dienstagabend bereits mit, dass sie keinen Spielraum für Verhandlungen sehe. Denn hier gehe es schlicht um die Einhaltung von Spaniens Verfassung, die von Kataloniens Regierung nicht mehr anerkannt wird.

In der Tat bleibt auch nach der abendlichen Parlamentsrede des katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont der Eindruck bestehen, dass die Separatisten gegen alle Regeln der Demokratie die Abspaltung ihrer Region erreichen wollen. Keine europäische Regierung könnte ein solches Vorgehen tolerieren.

Fährt Katalonien Strategie der gezielten Eskalation?

Zumal der katalanische Nationalistenführer Puigdemont bisher entschlossen war, diesen Konflikt auf dem Rücken der eigenen Bevölkerung auszutragen. Denn die 7,5 Millionen Katalanen sind nicht, wie Puigdemont behauptet, ein „geeintes Volk“. Sondern stellen eine zutiefst – in ein prospanisches und ein antispanisches Lager – gespaltene Gesellschaft dar.

Ein nun aufgetauchtes Geheimpapier der katalanischen Regierung scheint den Verdacht zu bestätigen, dass hinter Puigdemonts Unabhängigkeitsfahrt eine Strategie der gezielten Eskalation steckt. Eine Strategie, die offenbar vor allem dazu dient, den Konflikt so lange anzuheizen, bis Spanien einer Verhandlung über die Unabhängigkeit notgedrungen zustimmt.

Mariano Rajoy muss diplomatisch bleiben

Es wird für Spanien nicht leicht, einen Ausweg aus dieser Lage zu finden. Zumal der Konflikt nicht damit zu lösen sein wird, dass Spaniens Regierung, wie angedroht, die katalanische Regionalregierung absetzt und befristet die Kontrolle über Katalonien übernimmt. Jetzt ist vielmehr diplomatisches Geschick gefragt – letzteres war bisher nicht die Stärke von Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy.

Rajoy ist jedenfalls gut beraten, Puigdemont nicht wieder in die Falle zu laufen und wie am Tag des illegalen Referendums mit brutaler Polizeigewalt Recht und Ordnung in Katalonien durchsetzen zu wollen. Dies würde Puigdemont nur neue Munition für seine Propagandabehauptung liefern, dass Spanien eine Diktatur sei und Katalonien unterdrückt werde.

So demonstrieren die Spanier für Dialog

Dialog statt Konfrontation: Eine Woche nach dem umstrittenen Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien fordern – wie hier in Barcelona – Zehntausende Menschen, die verhärteten Fronten aufzubrechen.
Dialog statt Konfrontation: Eine Woche nach dem umstrittenen Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien fordern – wie hier in Barcelona – Zehntausende Menschen, die verhärteten Fronten aufzubrechen. © REUTERS | ERIC GAILLARD
Auf zahlreichen Schildern rufen sie die Politiker der Zentralregierung in Madrid und der Regionalregierung in Barcelona auf, wieder miteinander zu reden.
Auf zahlreichen Schildern rufen sie die Politiker der Zentralregierung in Madrid und der Regionalregierung in Barcelona auf, wieder miteinander zu reden. © REUTERS | GONZALO FUENTES
Die meisten Demonstrierenden haben sich ganz in Weiß gekleidet.
Die meisten Demonstrierenden haben sich ganz in Weiß gekleidet. © REUTERS | ERIC GAILLARD
Einige Menschen haben zudem weiße Luftballons mitgebracht.
Einige Menschen haben zudem weiße Luftballons mitgebracht. © REUTERS | ERIC GAILLARD
„Lass und reden“ und „Dialog“ steht auf den Plakaten dieser beiden Demonstranten in Barcelona.
„Lass und reden“ und „Dialog“ steht auf den Plakaten dieser beiden Demonstranten in Barcelona. © REUTERS | ERIC GAILLARD
Das Symbol für Frieden hat sich diese Frau auf die Wangen gemalt. Während des Referendums waren Polizisten zum Teil gewaltsam gegen Wähler vorgegangen. Hunderte Menschen wurden verletzt.
Das Symbol für Frieden hat sich diese Frau auf die Wangen gemalt. Während des Referendums waren Polizisten zum Teil gewaltsam gegen Wähler vorgegangen. Hunderte Menschen wurden verletzt. © REUTERS | ERIC GAILLARD
Auch in Madrid kommen Menschen zusammen, die sich gegen die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien aussprechen.
Auch in Madrid kommen Menschen zusammen, die sich gegen die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien aussprechen. © dpa | Carola Frentzen
Hier bestimmen spanische Flaggen das Bild.
Hier bestimmen spanische Flaggen das Bild. © dpa | Paul White
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EU könnte Krise mit legalem Referendum entschärfen

Bei einer Vermittlung zwischen den beiden ziemlich unbeweglichen Fronten könnte Europas Stimme hilfreich sein. Um der Regierung in Barcelona klarzumachen, dass Katalonien in keinem Fall mit der Anerkennung durch die EU rechnen kann.

Und um in Madrid darauf zu drängen, dass auch nach politischen Lösungen gesucht werden muss, um die Krise zu entschärfen. Dabei sollte auch jener Vorschlag auf den Tisch kommen, der von der überwältigenden Mehrheit der Katalanen ausdrücklich gewünscht wird: Und zwar ein mit Spanien ausgehandeltes und somit ganz legales Referendum, so wie es schon in Schottland oder der kanadischen Provinz Quebec stattfinden konnte.