Dresden. Die Kanzlerin erntet beim Deutschlandtag der Jungen Union kaum Widerspruch. Ausgebuht wird aber ein JU`ler, der sie scharf attackiert.

Musikalische Botschaften an Politiker sind in der Regel abgedroschen. Die CDU-Vorsitzende, Kanzlerin Angela Merkel, weiß das, wurde sie doch bei ungezählten Parteiauftritten stets mit dem Hit „Angie“ von den Rolling Stones begrüßt. Doch beim Deutschlandtag der Jungen Union (JU) am Sonnabend in Dresden hört sie genauer hin.

Der Nachwuchs von CDU und CSU wählt für den ersten Parteiauftritt von Merkel seit dem enttäuschenden Wahltag zur Begrüßung den Song „Troy“ der Band „Die Fantastischen Vier“. Die Botschaft: „Du hattest gute Zeiten. Wir waren mit dabei. Du hattest schlechte Zeiten, und wir waren auch dabei. Wir werden dich begleiten.“

Ein Treueversprechen für die viel gescholtene Kanzlerin? Nicht ganz, der Missmut ist groß. Aber die Parteijugend sendet mit ihrem Applaus- und Redeverhalten ein Zeichen an die Parteichefin: Wir stützen dich – noch. Und die 63-jährige Vorsitzende? Sie sendet an den Nachwuchs die Botschaft, dass sie die Kritik versteht, mehr, sie ernst nimmt.

Die Bayern bleiben auf ihren Plätzen sitzen

Beim Einzug von Merkel bleiben nur die vier Reihen der Jungen Union Bayern geschlossen sitzen. Allerdings wird Merkels Generalsekretär Peter Tauber, verantwortlich für den Wahlkampf, ausgebuht. Es gibt ihn also, den Unmut über Strategie, Inhalte, Merkels Flüchtlingspolitik. Seit Merkel am Tag nach dem großen Stimmenminus für die Union gesagt hatte, sie könne „nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten“, schütteln viele auch in den Führungsreihen von CDU und CSU den Kopf. Entrückt und abgehoben wirkte das.

So pochen die 350 Delegierten in einer „Dresdner Erklärung“ auf eine Schärfung des konservativen Profils – und eine „klare Begrenzung“ der Zuwanderung. Allerdings ging diese Formulierung, die an die Obergrenze der CSU gemahnt, nur knapp durch. Im Gespräch war durchaus auch eine weichere Formulierung. Eine stringente Linie in der Union – sie ist auch bei der Nachwuchsorganisation zurzeit nicht zu finden.

Dobrindt: „Deutschland ist nicht der Prenzlauer Berg“

Der neue CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Alexander Dobrindt, ruft in Dresden die Union dazu auf, alle Wählerschichten anzusprechen. „Deutschland ist nicht der Prenzlauer Berg, liebe Freunde. Wir müssen alle mitnehmen in einer Volkspartei“, sagt Dobrindt. Doch die harte Abrechnung mit Angela Merkel persönlich – davor scheuen die meisten zurück. Denn klar ist ihnen auch: „Wir haben ja noch niemanden danach“, sagt einer.

Der Kreisvorsitzende der Jungen Union aus Bergisch Gladbach, Diego Faßnacht,fragte Merkel, ob sie bereit sei, „den Weg frei zu machen für einen inhaltlichen und personellen Neuanfang“. Buh-Rufe waren die Folge.
Der Kreisvorsitzende der Jungen Union aus Bergisch Gladbach, Diego Faßnacht,fragte Merkel, ob sie bereit sei, „den Weg frei zu machen für einen inhaltlichen und personellen Neuanfang“. Buh-Rufe waren die Folge. © dpa | Oliver Killig

Diego Faßnacht von der NRW-JU fordert Merkel dann doch am Mikrofon auf, den Weg frei zu machen. Er habe den Eindruck, dass Merkel entweder nicht bereit oder nicht mehr in der Lage sei, eine Trendwende für die Union zu erreichen. Seine Einlassung wird mit Buhrufen quittiert. Merkel geht auf die Rücktrittsforderung nicht direkt ein, sondern entgegnet, sie fühle sich durch das Wahlergebnis „demokratisch legitimiert“. Der Vorsitzende der Jungen Union Bayern, Hans Reichhart, fordert, die CDU/CSU brauche eine neue Politik, die Positionen beziehe und Themen umsetze.

Merkel sendet Bekenntnis zu Jamaika aus

Merkel geht auf die Kritik ein. Dem Vorwurf der Abgehobenheit begegnet sie mit einer nüchternen Analyse in der Sache. Und der Botschaft: „Wir müssen gemeinsam demütig sein.“ Sie kämpfe für die Einigung mit der CSU. „Wir wollen Gespräche mit FDP und Grünen. Und ich bin bereit, dafür viel zu geben.“ Sie betont: „Auf Neuwahlen zu setzen und mit dem Wählervotum zu spielen, davon kann ich nur dringendst abraten.“ Einen Tag vor dem Treffen mit der skeptischen CSU zu einer gemeinsamen Linie sind diese Anmerkungen ein Zeichen: Ich will.

Merkel nimmt Kurs auf Jamaika-Bündnis

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    Merkel weiß, dass es auch für sie persönlich enger wird. In einer aktuellen Umfrage spricht sich ein Drittel der Befragten dafür aus, dass die Kanzlerin keine vollen vier Jahre mehr im Amt bleibt. Daher gibt es das Zugeständnis an die Basis: Sollte es einen Koalitionsvertrag geben, dann werde der auf einem Sonderparteitag zur Abstimmung stehen, kündigt die CDU-Chefin an. Es ist eine Lehre aus der missglückten Verabschiedung des Wahlprogramms, das seitens des Konrad-Adenauer-Hauses nur ein bloßes Abnicken in den Gremien vorsah – ohne eine inhaltliche Debatte.

    Stehende Ovationen – ohne die Bayern

    Sie wird noch manche Nuss zu knacken haben: Merkel mit dem Geschenk von der JU.
    Sie wird noch manche Nuss zu knacken haben: Merkel mit dem Geschenk von der JU. © REUTERS | MATTHIAS RIETSCHEL

    Es ist ein Spagat zwischen Selbstbewusstsein und Selbstkritik, dieser Auftritt in Dresden. Wirklich inhaltlich wird Merkel nicht – möglicherweise dem Treffen mit der CSU geschuldet. So sagt sie zwar: „Ich stehe dazu, dass rechts von der Union keine Partei sein sollte.“ Gleichzeitig macht sie deutlich, dass sie zu ihrer Flüchtlingspolitik steht. „Wer glaubt, ich hätte für zwei Selfie-Fotos die Leute eingeladen – das ist Kinderglaube, das ist nicht in Ordnung.“ Sie mache sich im Nachhinein nur zwei Vorwürfe: dass ihre Regierung wegen des Widerstands der SPD 14 Monate gebraucht habe, die Länder des westlichen Balkans zu sicheren Herkunftsländern zu machen; und dass man weggeguckt habe, als die Flüchtlinge in Lagern in Syrien nichts mehr zu essen gehabt hätten.

    Was bleibt? Es gibt stehende Ovationen nach der Rede, keinen stürmischen, aber wohlmeinenden Applaus. Nur die Delegierten der Jungen Union aus Bayern bleiben sitzen. Das Geschenk, das die Junge Union ihrer Kanzlerin am Ende überreicht, ist ein Nussknacker. Den wird sie brauchen.