Wien. Der Wahlkampf in Österreich wird schmutzig. Bundeskanzler Kern, einst Hoffnungsträger der SPÖ, hat kaum Chancen auf eine neue Amtszeit.

„Was jetzt kommt, wird echt unterhaltsam, Sie werden es sehen!“, sagte Christian Kern im Juni. Da war der österreichische Bundeskanzler und Sozialdemokrat Kern noch zuversichtlich. Lustig wurde es dann aber nicht, jedenfalls nicht für Kern. Der Mann, der angetreten war, die österreichische Sozialdemokratie zu reformieren und vor eineinhalb Jahren als der Hoffnungsträger der Nation galt, hat nichts mehr zu lachen. In gut einer Woche könnte er sein Amt als österreichischer Regierungschef los sein und den Parteivorsitz gleich auch. Vom Selbstbewusstsein, das Kern vor wenigen Monaten noch ausstrahlte, ist wenig geblieben.

Am 15. Oktober wählt Österreich sein Parlament, den Nationalrat, und der erhoffte Wahlsieg der sozialdemokratischen SPÖ erscheint mehr als unwahrscheinlich. In den Umfragen liegt die Partei entweder auf dem zweiten Platz oder sogar auf dem dritten, hinter der rechtspopulistischen FPÖ. Beide Parteien kommen jeweils auf etwa 25 Prozent. Mit 33 Prozent führend ist die konservative ÖVP mit ihrem 31 Jahre alten Spitzenkandidaten Sebastian Kurz, der im Hauptberuf Außenminister ist.

SPÖ tritt Schmutzkampagne los – und bezahlt dafür teuer

Was der SPÖ und ihrem Kanzler Kern zu schaffen macht, ist eine Schmutzkampagne, die sie selbst zu verantworten haben. Sie richtete sich vor allem gegen den smarten ÖVP-Kandidaten Kurz und sollte ihn diskreditieren. Es geht um zwei unechte Facebook-Seiten, die extra für den Wahlkampf gestaltet wurden.

Österreichs Bundeskanzler Christian Kern und seine Ehefrau Eveline Steinberger-Kern beim offiziellen Wahlkampfauftakt der SPÖ in Graz.
Österreichs Bundeskanzler Christian Kern und seine Ehefrau Eveline Steinberger-Kern beim offiziellen Wahlkampfauftakt der SPÖ in Graz. © dpa | Hans Punz

Auf der vermeintlich rechten Seite „Die Wahrheit über Sebastian Kurz“ und der vorgeblichen Fanseite „Wir für Sebastian Kurz“ wurden teils rassistische und antisemitische Inhalte verbreitet. Inzwischen wurden die Seiten geschlossen. Ausgedacht hat sich die Kampagne ein Politikberater, der schon oft für die SPÖ gearbeitet hat. Er sitzt – aus anderen Gründen – in Israel in Haft. Die Verträge mit ihm sind gekündigt.

Der Wahlkampfleiter der SPÖ, ihr Bundesgeschäftsführer und ein weiterer Parteimitarbeiter sind nach Aufdeckung des Skandals zurückgetreten – und das alles in der wichtigsten Phase des Wahlkampfes. Inzwischen entwickeln sich zahlreiche Verschwörungstheorien um die beiden Seiten.

Christian Kern hat kein Glück

Die Schlammschlacht und die Verantwortung dafür dominieren die letzten Tage des Wahlkampfs. Aber auch das schlechte Abschneiden der deutschen Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl macht der SPÖ zu schaffen. Dabei gilt der 51-jährige Kern als der gescheiteste, zukunftsorientierteste, rhetorisch begabteste und ernsthafteste Parteichef der SPÖ seit Franz Vranitzky, der vor zwanzig Jahren die Parteiführung abgab. Was Kern fehlt, ist Glück.

Als er die Partei im Juni 2016 übernahm, galt Kern als Hoffnungsträger. Der ehemalige Manager der Österreichischen Bundesbahn (ÖBB) sprach angesichts der ermüdenden Streitereien in der fast traditionellen großen Koalition in Wien klare Worte. Ganz Österreich horchte auf, als Kern sagte, man müsse mit der „Machtversessenheit und Zukunftsvergessenheit“ aufhören, sonst habe man nur mehr wenige Monate vor sich. Vor allem waren viele froh, dass die lähmenden Jahre des Apparatschiks Werner Faymann vorbei waren.

Sebastian Kurz ist zum Favoriten geworden

Kern legte einen Plan zur Modernisierung für Österreich vor, aber die Schwierigkeiten in der Koalition wurden immer größer. Ein Wendepunkt war, als Außenminister Kurz im Mai die Parteiführung der ÖVP übernahm und sie mit neuem Namen („Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“) ganz auf sich ausrichtete. Seitdem gilt Kern nicht mehr als Titelverteidiger, sondern nur noch als Kurz’ Herausforderer. Kurz bestimmt mit seinem Hauptthema Migration die politische Agenda.

Christian Kern und Sebastian Kurz in Wien (Österreich) vor der österreichischen Elefantenrunde im Sender ATV.
Christian Kern und Sebastian Kurz in Wien (Österreich) vor der österreichischen Elefantenrunde im Sender ATV. © dpa | Georg Hochmuth

Sozialdemokrat Kern dagegen versucht, auf soziale Themen zu setzen. Er will den Anstieg der Mietpreise begrenzen und ein Mindestgehalt von 1500 Euro festlegen. Doch alle Forderungen werden dadurch torpediert, dass aus der SPÖ inzwischen E-Mails nach außen dringen, in denen der Bundeskanzler als „nicht kampagnenfähig“, als „Prinzessin“ oder „ungemein eitel“ beschrieben wird. Zusammen mit der Schmutzkampagne ist der politische Schaden enorm.

Kern wirkt wie der ideale Sozialdemokrat

Dabei wirkt Kern wie der ideale Sozialdemokrat: Er stammt aus dem Wiener Arbeiterviertel Simmering. Sein Vater war Elektriker, später Taxifahrer, seine Mutter eine Sekretärin. Den Eltern war Bildung wichtig, als Gymnasiast sympathisierte der Sohn mit den Grünen. Später arbeitete er in der Studentenorganisation der SPÖ mit.

Weder Kerns schicke, enge Anzüge noch seine Wortwahl verweisen auf seine Herkunft, man erkennt sie eher an seinem durchblitzenden Wiener Schmäh. Kern wurde mit 22 Jahren Vater. Zwei weitere Kinder folgten später. Mit seiner zweiten Frau, einer Managerin, hat er eine Tochter.

Ein typischer Parteisoldat war Kern nie. Er redet ziemlich offen und denkt lösungsorientiert wie ein Manager. Zuerst müsse man das Problem erkennen, dann eine Analyse machen und Schritt für Schritt Lösungen suchen, sagt er. Mit dieser Haltung, die ihn in dem staatlichen Energiekonzern „Verbund“ und als Chef der Bundesbahnen Erfolg bescherte, stößt er in der Politik aber an Grenzen.

Kerns Manager-Stil kam bei SPÖ nicht gut an

ÖVP_Spitzenkandidat Sebastian Kurz bei seiner Wahlkampf-Auftaktveranstaltung in der Stadthalle in Wien.
ÖVP_Spitzenkandidat Sebastian Kurz bei seiner Wahlkampf-Auftaktveranstaltung in der Stadthalle in Wien. © dpa | Herbert Pfarrhofer

Im Sommer räumte Kern nach einem Jahr als Bundeskanzler ein, er habe aus „mangelndem Vorstellungsvermögen“ und aus „Naivität“ gedacht, dass es in der Politik um mehr gehe, als um die Schlagzeile am nächsten Tag und darum, sich selbst optimal in Szene zu setzen.

Als er 2016 den Chefposten in der SPÖ übernahm, war die Partei bereits tief zerstritten und sein Manager-Stil kam nicht gut an. Im Wahlkampf nun ist Kern, der früher als Wirtschaftsjournalist tätig war, die Führung über die Partei und die Kampagne entglitten. Er hat bereits angekündigt, dass die Sozialdemokraten in die Opposition gehen werden, sollten sie bei der Wahl an zweiter Stelle landen. Dann wird wohl eine schwarz-blaue Koalition aus ÖVP und FPÖ unter Sebastian Kurz übernehmen.

Vor einem Jahr, zu Beginn seiner Kanzlerschaft hatte Kern angekündigt, er wolle zehn Jahre in der Politik tätig sein. Damit könnte es schon nach der Wahl wieder vorbei sein.