Barcelona. Kataloniens Premier Carles Puigdemont setzt alles auf eine Karte. Trotz eines richterlichen Verbots sollen die Katalanen abstimmen.

Seinen Kindheitstraum, Astronaut zu werden, hat sich Carles Puigdemont nicht erfüllen können. Dafür ist der Chef der autonomen Regierung der spanischen Region Katalonien kometenhaft vom politischen Nobody zum Schrecken Spaniens aufgestiegen. Für den 54 Jahre alten überzeugten Separatisten schlägt am Sonntag die große Stunde: Gegen den Willen der Zentralregierung in Madrid will er ein „verbindliches Referendum“ über die Loslösung der Region von Spanien durchziehen.

Puigdemont nimmt in Kauf, dass er demnächst wegen Ungehorsams und Rebellion angeklagt werden könnte, weil er das Referendum organisiert hat, das vom spanischen Verfassungsgericht untersagt worden ist. Es ist übrigens nicht das erste Verbot in dieser Sache. Das Oberste Gericht hatte schon in früheren Jahren mehrere einseitige Unabhängigkeitsbeschlüsse Kataloniens annulliert. In Spaniens Grundgesetz ist „die unauflösbare Einheit der spanischen Nation“ verankert, die zudem im Gesetzestext als „gemeinsame und unteilbare Heimat aller Spanier“ bezeichnet wird.

14 hochrangige Politiker festgenommen

Spaniens Staatsgewalt machte klar, dass sie das Abstimmungsverbot auf jeden Fall durchsetzen will. Vergangene Woche wurden in der Regionalhauptstadt Barcelona 14 hohe Politiker und Beamte aus der zweiten Reihe der Regierung Puigdemonts, welche an der Vorbereitung des Volksentscheids beteiligt waren, festgenommen.

Dass es trotz des offenen Ungehorsams der katalanischen Führung bisher keine weiteren Festnahmen gab, hat wohl taktische Gründe. Die Stimmung auf den Straßen Kataloniens ist so angespannt, dass sich Spaniens konservativer Regierungschef Mariano Rajoy dem Vernehmen nach vor dem 1. Oktober darauf beschränken will, die Abstimmung zu verhindern. Die Strafverfolgung von Puigdemont gilt nur als aufgeschoben, Ermittlungen laufen aber schon.

http://Katalonien-_Tausende_Studenten_demonstrieren_für_Referendum{esc#212076883}[agentur]

Puigdemonts Rechnung könnte aufgehen

Seit Tagen fahnden Spaniens Nationalpolizei und die paramilitärische ­Guardia Civil, die mit starken Einheiten nach Katalonien geschickt wurden, nach Wahlurnen, Stimmzetteln und Propagandamaterial. Dabei stoßen die Beamten auf regen Widerstand. Bei jeder Razzia sehen sich die Polizisten Hunderten Demonstranten gegenüber. „Wir lassen uns nicht aufhalten“, rufen sie. Oder: „Je mehr Polizisten, umso mehr Ja-Stimmen für die Unabhängigkeit.“ Bisher beschränken sich die Demonstrationen auf weitgehend gewaltlose Aktionen wie Sitzblockaden, Menschenketten oder Kundgebungen. Doch die Spannungen nehmen zu.

Das ist genau jene Konfrontation, auf die der Chefstratege Puigdemont setzt und mit seinen Reden befeuert, in denen er von „Ausnahmezustand“ und „Repression“ spricht. Puigdemont weiß natürlich, dass es am 1. Oktober kein geordnetes Referendum mit demokratischen Standards geben kann. Aber er hofft, dass diese Kampagne des Ungehorsams, welche Spaniens Staatsgewalt zum Handeln zwingt, seiner Unabhängigkeitsbewegung weiteren Auftrieb gibt. Puigdemonts Rechnung könnte aufgehen. Die Analysten von Spaniens größter Zeitung „El País“ wie auch von Kataloniens Leitmedium „La Vanguardia“ warnen davor, dass das massive Vorgehen von Spaniens Justiz- und Polizeiapparat in Katalonien die Abneigung gegenüber Spanien anfachen werde.

Vor seiner Wahl war Puigdemont nahezu unbekannt

Nach seiner Wahl zum katalanischen Regierungschef hatte der bis dahin nahezu unbekannte Ex-Journalist im Januar 2016 im Parlament von Barcelona vollmundig verkündet: „Es sind keine Zeiten für Feiglinge!“ Der am 29. Dezember 1962 im katalanischen Bergdörfchen Amer geborene Sohn eines Konditormeisters studierte zunächst Philologie und wurde danach Journalist. 1983 überlebte er einen schweren Verkehrsunfall. Die Kopfnarben, die er davontrug, versucht er mit einer in Spanien viel kommentierten Frisur zu verdecken. In den 1990er-Jahren reiste Puigdemont mehrmals nach Südosteuropa, um unter anderem am Beispiel des damaligen Jugoslawien „Nationen ohne Staat“ zu studieren.

1998 war er Mitgründer der Katalanischen Nachrichtenagentur. Dann ging es Schlag auf Schlag: 2011 wurde er zum ersten nichtsozialistischen Bürgermeister der katalanischen Stadt Girona nach der Franco-Diktatur (1939–1975) gewählt. 2015 avancierte er zum Chef des einflussreichen „Verbandes der Gemeinden für die Unabhängigkeit Kataloniens“ (MAI), dem rund 750 der insgesamt 948 Bürgermeister der Region angehören.

Der eingefleischte Rock- und Fußballfan ist Vater zweier kleiner Mädchen und ist mit einer 15 Jahre jüngeren rumänischen Journalistin verheiratet. Neben Spanisch und Katalanisch spricht er auch gut Englisch und Französisch. Viele werfen ihm nun vor, Katalonien an den Rand des Abgrunds zu treiben. Nachgeben kommt für ihn aber nicht infrage: „Den Wunsch abzustimmen kann man nicht verweigern. Wir machen uns keines Verbrechens schuldig.“