Tunis/Berlin. Das Fahrverbot für Frauen in dem islamischen Königreich Saudi-Arabien soll fallen. Kronprinz Mohammed will das Vorhaben vorantreiben.

Hinter ihren Tweet setzte sie ein rotes Herz. „Ihr wollt eine Stellungnahme von mir, hier ist sie: Saudi-Arabien wird nie wieder dasselbe sein. Der Regen beginnt mit einem Tropfen“, kommentierte Manal al-Scharif, eine der bekanntesten Frauenrechtlerinnen des Landes, die spektakulären Neuigkeiten aus dem Königshaus. Endlich ist das Fahrverbot für Frauen gefallen. Mit einem Dekret wies König Salman das Innenministerium an, bis zum 24. Juni 2018 dafür zu sorgen, dass sich Frauen Führerscheine ausstellen lassen und Autos anmelden können.

Immer wieder war Manal al-Scharif gegen das absurde Verbot angerannt, mit dem sich das erzkonservative Königreich seit Jahren zum Gespött der Welt machte. Demonstrativ ließ sie sich am Steuer filmen und von der Polizei festnehmen, einmal landete sie für neun Tage hinter Gittern. „Ich bin total aus dem Häuschen, ich hüpfe, springe und lache“, freute sich auch ihre Mitstreiterin Sahar Nassif aus Dschidda. Sie werde sich jetzt ihr Traumauto kaufen, einen Mustang Cabriolet in Schwarz und Gelb, jubelte sie.

Seit Mai dürfen Frauen ein Konto eröffnen

Auch im Ausland gab es große Zustimmung. „Das ist ein positiver Schritt für mehr Frauenrechte“, lobte US-Präsident Donald Trump. Dagegen erinnerten Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International (AI) daran, bis zur rechtlichen Gleichstellung der saudischen Frauen sei noch ein langer Weg. „Notwendig ist, das gesamte Spektrum der diskriminierenden Vorschriften und Praktiken abzuschaffen“, forderte Philip Luther, AI-Direktor für Nahost und Nordafrika. Denn nach wie vor sind Gängeleien für saudische Frauen allgegenwärtig.

Ohne schriftliche Zustimmung ihres männlichen Vormunds – egal ob Ehemann, Vater, Bruder oder halbwüchsiger Sohn – dürfen sie weder studieren noch heiraten, können nicht zum Arzt gehen, ihren Pass erneuern oder ins Ausland reisen. Im Mai erlaubte das Königshaus den Frauen erstmals, in Eigenregie ein Konto zu eröffnen und eine Arbeitsstelle anzutreten. Die harschen Sitten basierten bislang auf einem Bündnis zwischen der Herrscherfamilie al-Saud, die das Land seit 1932 als absolute Monarchie führt, und dem Klerus. Der Wahhabismus, eine konservativ-puritanische Auslegung des Islam, ist noch immer Staatsdoktrin.

Kronprinz versteht sich als Anwalt der jungen Generation

Treibende Kraft hinter den Reformen ist Kronprinz Mohammed bin Salman. Er soll seinem Vater bald auf den Thron folgen und ist schon jetzt der starke Mann. Der 32-Jährige hat auch das Amt des Verteidigungsministers inne. Wegen des massiven Kriegs gegen die Huthi-Rebellen im Nachbarland Jemen hatte ihm der BND Ende 2015 eine „impulsive Interventionspolitik“ angekreidet. Doch nun will er außenpolitisch das Image seines Landes aufpolieren. Er versteht sich als Anwalt der jungen Generation, die die Hälfte der rund 32 Millionen Saudis ausmacht. Sie fühlen sich von dem Prinzen verstanden.

Mohammed bin Salman knackte bereits vor einiger Zeit innenpolitische Tabus. Im Frühjahr 2016 stampfte er in dem Land, das nicht gerade als Reich des Spaßes bekannt ist, eine Unterhaltungsbehörde aus dem Boden. Zwar sind Kinos nach wie vor verboten. Doch mittlerweile gibt es TV-Talentshows, Opernaufführungen, Theater und Tanz. Die sonst meist strikte Trennung der Geschlechter ist im Publikum durchbrochen.

Liberalisierungsoffensive hat tiefere Gründe

Darüber hinaus studierten in den vergangenen Jahren Abertausende Frauen mit Regierungsstipendien im Ausland. Deren Wissen lässt sich nur nutzen, wenn Fahrverbote und männliche Einsprüche fallen. Die Liberalisierungsoffensive des Kronprinzen hat jedoch tiefere Gründe. Er will die Wirtschaft des Königreichs auf neue Beine stellen. Im Frühjahr 2016 legte er einen Zukunftsentwurf vor, der es in sich hat.

Nach der „Vision 2030“ soll der Anteil von Öl und Gas am Bruttoinlandsprodukt Saudi-Arabiens von heute 47 Prozent auf dann elf Prozent sinken. Mit Investitionen von 109 Milliarden Dollar will das Land Weltmarktführer bei der Solarenergie werden. Gedacht ist aber auch an den Ausbau der Petrochemie sowie die Produktion von Haushaltsgeräten. Mit der wirtschaftlichen Diversifizierung will der Kronprinz zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Staat taugt immer weniger als Arbeitgeber

Zum einen sollen neue Jobs geschaffen werden. Derzeit ist fast jeder dritte Jugendliche arbeitslos. Der Staat, bei dem bislang viele Saudis untergekommen sind, taugt angesichts der rasanten Bevölkerungsentwicklung immer weniger als Arbeitgeber. Darüber hinaus riss der Ölpreisverfall 2016 ein Loch von rund 75 Milliarden Euro in den Haushalt. Der Staat ist auf neue Finanzquellen angewiesen. Ein Wunder, dass Saudi-Arabiens stockkonservativer Klerus am Mittwoch auffällig schweigsam blieb.

Das Fahrverbot hatten die Imame stets damit begründet, Frauen seinen zu dumm für das Steuer, könnten sich ihre Eierstöcke beschädigen oder in verbotenen Kontakt mit dem männlichen Geschlecht kommen, wenn sie bei einer Reifenpanne Hilfe bräuchten. Doch die Macht der Geistlichen bröckelt. So ließ Mohammed bin Salman im April 2016 die Kompetenzen der gefürchteten Religionspolizei stark beschneiden. Dabei soll es nicht bleiben. Ein saudischer Minister, der kürzlich in Berlin Station machte, kündigte an: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Kinos im Land erlaubt sind und die Todesstrafe abgeschafft wird.“