Brüssel. EU-Kommission beugt sich Druck aus Berlin und erlaubt mehr Grenzkontrollen. Zudem ist legale Einreise für 50.000 Flüchtlinge geplant.

Zwei Jahre nach dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 hat die EU-Kommission grünes Licht für eine Verlängerung der Kontrollen an der bayerisch-österreichischen Grenze gegeben. Sie kündigte zudem ein 500 Millionen Euro schweres Programm zur freiwilligen Neuansiedlung von 50.000 Flüchtlingen aus Afrika, Nahost und der Türkei an. Außerdem soll die umstrittene Umverteilung von Asylbewerbern aus Griechenland und Italien in andere EU-Länder fortgesetzt werden.

Brüssel will damit Konsequenzen aus der Krise von 2015 ziehen, bei der Hunderttausende Flüchtlinge über die Balkanroute nach Deutschland gelangt waren. Es gehe um die „nächsten Schritte hin zu einer entschlosseneren, wirksameren und gerechteren Migrations- und Asylpolitik“, erklärte der zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos.

Kontrollen nur bei „ernster Gefahr für innere Sicherheit“

Der griechische EU-Politiker zeichnete ein rosiges Bild der aktuellen Lage. Im Vergleich zu 2015 sei die irreguläre Zuwanderung heute „viel besser unter Kontrolle“. Die östliche Mittelmeerroute über die Türkei nach Griechenland und den Balkan, über die die meisten Flüchtlinge nach Deutschland gekommen waren, sei geschlossen. In einer wichtigen Frage musste Avramapoulos jedoch zurückrudern. Im Streit um die Grenzkontrollen, die Deutschland im Herbst 2015 als Reaktion auf die massive Flüchtlingsbewegung eingeführt hatte, zog er den Kürzeren. Ursprünglich sollten diese Kontrollen im Frühjahr auslaufen. Die EU-Kommission hatte sie im Mai „ein letztes Mal“ bis zum 11. November verlängert.

Doch nun musste Avramopoulos einräumen, dass Bayern seine Grenze zu Österreich auch nach diesem Datum kontrollieren darf. Der Grenzschutz muss lediglich anders begründet werden: Statt mit dem Zustrom irregulärer Flüchtlinge müssen die Kontrollen nun mit einer „ernsten Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit“ legitimiert werden.

Merkel wollte Verlängerung der Kontrollen um vier Jahre

Flüchtlinge bei einem Einsatz an Bord des Schiffes „Iuventa“ der Nichtregierungsorganisation Iuventa Jugend im Mittelmeer (undatierte Aufnahme).
Flüchtlinge bei einem Einsatz an Bord des Schiffes „Iuventa“ der Nichtregierungsorganisation Iuventa Jugend im Mittelmeer (undatierte Aufnahme). © dpa | -

Die EU-Kommission gibt damit massivem Druck aus Berlin nach. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich im Wahlkampf persönlich in den Streit um Schengen eingeschaltet und eine Verlängerung der Kontrollen von bisher zwei auf vier Jahre gefordert. Damit konnte sie sich zwar nicht ganz durchsetzen: Die Kommission will nun eine neue Obergrenze bei drei Jahren einziehen. Doch gleichzeitig will die Brüsseler Behörde den Schengenkodex, der die Regeln für die Reisefreiheit setzt, um den Artikel 27A ergänzen. Er sieht Ausnahmen für neue Gefahren vor. Wenn Bayern mit akuter Terrorbedrohung argumentiert, kann es sich künftig auf den neuen Artikel berufen. Die EU-Kommission muss dann zwar eine Stellungnahme abgeben, das letzte Wort haben aber die Mitgliedstaaten.

Ganz ähnlich sieht es bei der nun geplanten legalen Einwanderung, der sogenannten Neuansiedlung, aus. Die EU-Kommission will in den kommenden beiden Jahren mindestens 50.000 Flüchtlinge aus der Türkei, aus Nahost und Afrika aufnehmen. Die EU müsse „legale Wege“ schaffen, damit schutzbedürftige Flüchtlinge nicht weiter auf gefährlichen illegalen Routen nach Europa kämen, erklärte die Behörde. Pro aufgenommenem Flüchtling stellt sie bis zu 10.000 Euro bereit.

Forderung der Grünen soll umgesetzt werden

Doch auch hier haben die EU-Staaten das letzte Wort, die Aufnahme ist freiwillig. Bisher wurden gerade einmal 23.000 Menschen im Zuge der Neuansiedlung aufgenommen. Wie es die EU schaffen will, nun noch einmal mehr als 50.000 anzusiedeln, bleibt unklar. Auf die Frage, ob Deutschland bereits freie Plätze gemeldet habe, blieb Avramopoulos eine Antwort schuldig. Immerhin möchte die EU-Kommission nun auch Pilotprojekte für legale Migration ermöglichen, wie es etwa die Grünen seit Langem fordern. Allerdings verfolgt sie dabei das Ziel, „den irregulären Zustrom in eine bedarfsorientierte Wirtschaftsmigration umzuwandeln“. Zudem plant sie „private Patenschaften“, die Neuansiedlungen finanzieren sollen.

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Verpflichtend soll all das jedoch nicht werden. Jedes EU-Land kann selbst entscheiden, ob und welche Migranten es aus Afrika aufnehmen möchte. Und was wird aus der verpflichtenden Umverteilung von Asylbewerbern aus Griechenland und Italien, die am Dienstag dieser Woche ausgelaufen ist? Zu dieser für die Zukunft der EU wichtigen Frage konnte Avramopoulos keine klare Antwort geben.

Osteuropäer bekommen neue Gelegenheit für „Solidarität“

Die Umsiedlung soll weitergehen, betonte der Kommissar. Alle müssten Solidarität üben – auch Polen und Ungarn, die sich bisher komplett verweigern und ein rechtskräftiges Urteil des obersten EU-Gerichts nicht umsetzen wollen. „Sie bekommen jetzt eine neue Gelegenheit, sich solidarisch zu zeigen.“ Als Anreiz bietet die EU-Kommission sogar finanzielle und technische Hilfe an. Was passiert, wenn Polen und Ungarn auch dieses letzte Angebot ausschlagen, ließ Avramopoulos offen.

Er setzt auf Dialog – und auf Einsicht in die Notwendigkeit. Allerdings hat bisher nicht einmal Deutschland seine Quote erfüllt. Von den ursprünglich geplanten 120.000 Migranten wurden insgesamt gerade einmal knapp 30.000 Menschen aus Griechenland und Italien umverteilt. Weitere 8000 warten noch auf freie Plätze. Doch die Reform der Dublin-Verordnung, die eine dauerhafte Umverteilung sichern soll, hängt im EU-Ministerrat fest.