Moskau. Der Westen muss Russland jetzt einbinden, darf aber keine faulen Kompromisse machen. Diplomatie ja, aber kein Einknicken vor Moskau.

Es sind Reflexe, die an die Zeit des Kalten Krieges erinnern: Russische Soldaten marschieren an der Grenze zum Baltikum und zu Polen auf. Panzer, Flugzeuge und Schiffe werden beim Großmanöver „Sapad“ (Westen) eingesetzt. Die Nachbarländer, die unter dem Trauma der Krim-Annexion leiden, sind besorgt. Moskau wiederum wirft dem Westen „Hysterie“ vor.

Vorbei sind die Träume von einer politischen und wirtschaftlichen Annäherung der ehemaligen Blöcke. Die unter dem russischen Präsidenten Boris Jelzin 1994 vereinbarte „Partnerschaft für den Frieden“ zwischen Nato- und Nicht-Nato-Mitgliedern ist Lichtjahre entfernt. Die Aufregung um Militärübungen wie „Sapad“ beweist: Heute dominieren Misstrauen, Rivalität und Spannungen. Kremlchef Wladimir Putin, der das Manöver am Montag demonstrativ besuchte, beherrscht das ganze machtpolitische Instrumentarium von Muskelspielen, Imponiergehabe und Einschüchterung. Die Stationierung von insgesamt 4000 Nato-Soldaten in Estland, Lettland, Litauen und Polen rechtfertigt jedenfalls nicht die massive Drohkulisse von „Sapad“.

Putin will bei jedem weltpolitischen Konflikt mit am Tisch sitzen

Deshalb steht Europa jedoch nicht an der Schwelle zu einem neuen Krieg. Es geht vor allem um Propaganda und psychologisches Powerplay. Putin bleibt sich treu. 2005 hatte er den Zusammenbruch der Sowjetunion als „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet. Heute folgt fast jede weltpolitische Aktion Moskaus der Matrix, die Demütigung vergangener Zeiten hinter sich zu lassen und Russland wieder als mächtigen globalen Akteur zu installieren.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass sich Russland aufgrund der Nato-Osterweiterung verraten fühlte. Die Regierung berief sich immer wieder auf mündliche Zusagen aus dem Westen, wonach die Allianz keine Vergrößerung anstrebe. Hinzu kamen die politisch nicht zu Ende gedachten Militär-Interventionen wie 2003 im Irak oder 2011 in Libyen. Putin, der sich als Hüter des Status quo sieht, zog daraus die Konsequenz: Er will bei jedem weltpolitisch bedeutsamen Konflikt mit am Tisch sitzen und gegebenenfalls auch militärisch eingreifen wie in Syrien.

Außenpolitische Lösungen sind ohne Moskau praktisch nicht möglich

Bei allen Krisenregionen von der Ukraine bis Libyen, Syrien oder Nordkorea ist Russland ein gewichtiger Spieler. Eine Lösung ist ohne Moskau praktisch nicht möglich. So verwundert es kaum, dass in der deutschen Politik die Stimmen lauter werden, die für eine Annäherung an Moskau plädieren und eine Auflockerung der starren Fronten verlangen.

In dieser Frage kommt es zu einer merkwürdigen „Koalition“: In SPD, Linkspartei, FDP und CSU gibt es die Bereitschaft, die wegen Krim und Ostukraine gegen Russland verhängten Sanktionen aufzuweichen. Vorausgesetzt, Putin macht einige Zugeständnisse, die allerdings nicht die volle Umsetzung des Minsker Abkommens erfordern. In der CDU und bei den Grünen pocht man hingegen auf die Erfüllung von Minsk.

Grenzen müssen unantastbar sein

Es wäre das falsche Rezept, die Auflagen zu verwässern, um dem Kreml Anreize für Konzessionen zu liefern. Ein Machtpolitiker wie Putin, der den Konflikt in der Ostukraine am Köcheln hält, um eine Westbindung Kiews zu verhindern, würde dies als Ermutigung für weitere Einmischungen betrachten. Diplomatie und politische Einbindung bei Konflikten ja, aber bitte kein Einknicken vor Moskau.

Die Unantastbarkeit der Grenzen ist ein eherner Grundsatz der Nachkriegsordnung. Er wurde 1975 in der Schlussakte von Helsinki von Ost und West unterzeichnet. Russland hat mit der Krim-Annexion 2014 dagegen verstoßen. Solange dies nicht zurückgenommen wird, müssen die Sanktionen bleiben. Alles andere wäre politisch fahrlässig.