Berlin. Wolfgang Schäuble feiert 75. Geburtstag. Er steht auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Doch nach der Wahl könnte sie rasch zu Ende sein.

Am 11. Oktober fliegt Wolfgang Schäuble nach Washington. Auf dem Programm steht dann das Herbsttreffen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Finanzminister der 20 größten Wirtschaftsnationen und Schwellenländer. Der Ablauf ist dabei stets gleich: Im IWF-Gebäude ist ein Raum reserviert, in dem Schäuble seine Kollegen empfängt. Gespräche im kleinen Kreis statt Palaver in großer Runde. Oft hält Schäuble noch ein, zwei Reden, in denen er in badisch gefärbtem Englisch dem US-Publikum den Zustand Europas oder die Herausforderungen von Globalisierung und Klimawandel erläutert.

Schäuble mag diese internationale Bühne, auf der er sich als Elder Statesman jenseits der Tagespolitik zeigen kann. Aber der Trip im Oktober könnte der letzte sein. Er wird in einem seltsamen Zwischenzustand stattfinden: drei Wochen nach der Bundestagswahl und zwei Wochen vor der ersten Sitzung des neuen Bundestags. Schäuble wird noch offiziell im Amt sein, aber die Koalitionsverhandlungen werden schon begonnen haben. Wer am Ende Finanzminister wird, ist völlig unklar. Die dann herrschenden Machtverhältnisse könnten dazu führen, dass Schäuble, der seit langem zu den beliebtesten Ministern gehört, nicht mehr am Kabinettstisch sitzen wird. Und dann?

45 Jahre lang immer wieder mit Mehrheit gewählt

Als Wolfgang Schäuble das erste Mal in den Bundestag gewählt wird, 1972, regiert noch die sozialliberale Koalition unter Willy Brandt (SPD). Der junge CDU-Politiker gewinnt damals seinen Wahlkreis in Offenburg mit großer Mehrheit. Daran hat sich seit 45 Jahren nichts geändert. Kein anderer Bundestagsabgeordneter sitzt länger im Parlament als Schäuble. Dass er das Direktmandat am Sonntag wieder gewinnt, bezweifelt niemand. Für seine Partei hat Schäuble fast alle wichtigen politischen Ämter besetzt. Als Kanzleramtsminister verhandelte er die deutsche Einheit, zwei Mal war er Innenminister und rief die Islamkonferenz ins Leben. Er war Parteivorsitzender und Chef der Bundestagsfraktion. Seit acht Jahren ist Schäuble Finanzminister, er ist damit der dienstälteste in der Euro-Zone.

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    Zum ersten Mal seit 1969 legte er einen Haushalt ohne neue Schulden vor – vier Mal in Folge. Schmerzhaft sparen musste Schäuble wegen der guten Konjunktur nie. Dafür manövrierte er Deutschland durch die Euro-Krise und versuchte dabei, die Balance zu halten zwischen prinzipieller Härte und pragmatischer Nachgiebigkeit. In Deutschland machte er sich damit bei den meisten Bürgern beliebt. Im Ausland bezog er politische Prügel. Ob Schäuble, der ein großer Europäer, aber auch ein großer Taktiker ist, Griechenland wirklich aus dem Euro geworfen hätte, ist unklar. Die Entscheidung musste er nicht treffen, denn Merkel war dagegen.

    Schäuble siezt sich mit Kanzlerin Merkel

    Unbequem, aber loyal wolle er sein, sagte er Merkel, als sie ihn vor acht Jahren mit dem Finanzressort betraute. Das Versprechen hat er gehalten. So gern er immer wieder als Reservekanzler gehandelt wird und so oft er Zuhörer spüren lässt, dass er der bessere Kanzler wäre, so fern liegt ihm, Merkel wirklich zu stürzen – obwohl sie ihm einst den Parteivorsitz nahm und ihn nicht Bundespräsident werden ließ.

    Beide sind auch nach Jahrzehnten noch immer per Sie. Aber sie wissen, was sie aneinander haben. Schäuble ist die letzte große Identifikationsfigur der Konservativen in der CDU. Er kann Merkel auf diesem Flügel den Rücken frei halten. Er ist auch der einzige, der ihr öffentlich widersprechen kann. Sie hielt an ihm fest, als er mitten in der Euro-Krise schwer krank wurde.

    Bei den letzten Koalitionsverhandlungen sicherte die CDU-Chefin ihm das Finanzministerium, indem sie der SPD bei den inhaltlichen Vereinbarungen weit entgegen kam. Davon, ob ihr dies erneut gelingt, hängt Schäubles politische Zukunft ab. Jeder der möglichen Koalitionspartner – SPD, FDP, Grüne – möchte den Finanzminister stellen, denn der Posten bietet am meisten Einfluss in der Regierung. Bleibt die Konjunktur gut, lässt sich von dort weiter viel Geld verteilen.

    Das Ministerium ist auf Schäuble zugeschnitten

    Schäuble hat sich das Ministerium so zurechtgebaut, dass er von dort aus auch Europapolitik betreiben kann. Das macht das Amt noch einmal attraktiver. In den kommenden Jahren ist die Finanz- und Europapolitik mit dem Austritt der Briten aus der EU und dem Umbau der Euro-Zone das politische Feld, auf dem am meisten passiert.

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      Mehrfach hat Schäuble betont, dass er gern Finanzminister bleiben möchte. Andere Ministerien interessieren ihn nicht mehr, allenfalls das Auswärtige Amt könnte ihn reizen. Es könnte für ihn, der seit 27 Jahren im Rollstuhl sitzt, mit den vielen Reisen aber doch zu anstrengend sein.

      Bundestagspräsident würde nicht zu Schäuble passen

      Würde Schäuble wollen, dann könnte er Bundestagspräsident werden. Die erste Sitzung des Bundestags nach der Wahl wird er als Abgeordneter mit der längsten Amtszeit ohnehin eröffnen. Aber dass einer wie er, der Politik stets aktiv betrieben hat, Parlamentssitzungen leiten wird und das vor oftmals leeren Rängen, ist schwer vorstellbar. Auch wenn das Amt des Bundestagspräsidenten das zweithöchste im Staat ist.

      An diesem Montag wird Wolfgang Schäuble 75 Jahre alt, in seiner Heimat Offenburg wird es einen Festakt geben. Die Kanzlerin wird sprechen, ebenso EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Auch Schäuble selbst wird etwas sagen. Es wird vermutlich eine Rede werden, in der es viel um Europa und die Welt gehen wird. Dass er dabei seinen Rückzug aus der Politik verkündet, gilt als ausgeschlossen.