Berlin. Seit zwei Jahren kämpft die Regierung, allen voran Justizminister Maas, gegen Mordaufrufe und Hetze im Internet – seine Politik ist umstritten.

Angela Merkel trägt ein Kopftuch. Ihr Gesicht umhüllt von schwarzem Stoff, dazu die Aufschrift: „Mein Jihad“, in zackiger Frakturschrift. Es soll an Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“ erinnern – und die „Dschihadistin“ Merkel als Schuldige für Terrorismus und eine vermeintliche „Überfremdung“ Deutschlands darstellen. Ist dieses Foto Volksverhetzung – oder freie Meinungsäußerung?

Auf Facebook rief ein Mann dazu auf, die Grünen-Politikerin Renate Künast zu töten. „Du hast Genmais zugelassen man sollte dich köpfen“, schrieb er. Und auch die Hetze gegen SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz ist nur ein paar Klicks entfernt. Eine Collage zeigt ihn, wie er den „Familiennach-Zug“ anführt, hinter ihm sind Hunderte offenbar arabische und asiatische Menschen zu sehen. Darunter wird Schulz als „recycelter EU-Alki“ beschimpft.

Wahlkampf und Hetze

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD)
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) © picture alliance / Arno Burgi/dp | dpa Picture-Alliance / Arno Burgi

Nach Angaben von „jugendschutz.net“ haben Rechtsextremisten die Montagen in den sozialen Netzwerken gestreut. Die CDU-Zentrale wolle solche Beiträge nicht kommentieren, um diesen nicht „noch größere Bedeutung“ zu geben, wie es heißt. Die Grünen antworten auf Nachfrage dieser Redaktion zum Hass im Bundestagswahlkampf: „Wir rechnen damit, dass das in den nächsten Wochen weiter deutlich anwachsen wird.“ Die Amadeu Antonio Stiftung beobachtet derzeit „ einen gestiegenen Hass gegen Politikerinnen und Politiker“ unter dem Schlagwort „Volksverräter“. Die Linkspartei sieht „etwas mehr Hasskommentare“ in Wahlkampf-Zeiten. Die FDP fordert, dass Polizei und Staatsanwaltschaft strafbewehrte Beiträge „konsequenter“ verfolgen müssten. Dies gelte gerade jetzt. AfD und SPD lassen eine Anfrage dieser Redaktion unbeantwortet.

Es sind Aussagen, die mal besorgt klingen, mal wütend. Und manchmal nur noch resignierend. Dabei sind sich im Ziel alle einig: Politiker, Unternehmen, Internetverbände. Niemand will Meinungsfreiheit abschaffen. Und niemand will Hetze dulden. Doch der Weg dahin ist eine heikle Gratwanderung, gepflastert mit Konflikten zwischen Konzernen wie Facebook und der Bundesregierung. Das zeigen die vergangenen zwei Jahre.

„Task Force“ soll Lösungen bringen

Als die Flüchtlingskrise in 2015 ihren Höhepunkt erreicht und mit ihr auch die Hetze in den sozialen Plattformen, wächst der Druck auf Politik und Unternehmen. Facebook und Twitter löschen kaum Einträge, private Beschwerdestellen sind überfordert, die Justiz fällt kaum Urteile. Im September 2015, vor genau zwei Jahren, verkünden Facebook und Justizminister Heiko Maas (SPD) dann eine „Task Force“: Alle sollen an einen Tisch – und Lösungen gegen den Hass her.

Zwei Jahre später, am 19. Oktober 2017, wollen sich die Mitglieder noch einmal treffen. Ob es dieses Zusammensein auch unter einer neuen Regierung geben wird, ist unklar. Viele Teilnehmer der „Task Force“ vermuten ein Ende der Arbeit nach der Bundestagswahl. Manche sagen, sie seien ganz froh darüber.

Anfangs begrüßen alle den runden Tisch, setzen im Kampf gegen den Hass Hoffnung auf die „Task Force“. Doch bald wird klar: Zwei Positionen stehen sich gegenüber. Hier die Regierung, die Konzerne in der Pflicht sieht und mit hohen Strafen droht, wenn diese den Hass aus ihren Netzwerken nicht schneller und besser löschen. Und dort die Firmen wie Facebook, die gerne möglichst wenig staatlichen Einfluss auf ihre Plattformen. Nutzer und Firma sollen lieber selbst aufräumen. Ohne Strafen, und mit eigenen Kontrolleuren.

Umsatz first?

Im Dezember, zwei Monate nach Gründung, stellt Maas vor Kameras erste Forderungen, auf die man sich in der „Task Force“ geeinigt habe. Fast alle richten sich an die Unternehmen: Löschungen sollen innerhalb von 24 Stunden nach der Meldung eines Hasskommentars erfolgen. Dafür sollen Facebook und Co. „Teams“ einsetzen, die Kommentare, Videos und Bilder prüfen. Diese Mitarbeiter sollen zudem speziell ausgebildet sein. Viele Forderungen, wenig Aufwand für die Politik. Dafür jede Menge Kosten für die Firmen, die mit ihrem Geschäft der sozialen Netzwerke jedoch auch Hunderte Millionen Dollar umsetzen.

Maas führt zudem mit der Organisation „jugendschutz.net“ ein „Monitoring“ durch – eine Kontrolle der Konzerne. Das Ergebnis: Melden Nutzer strafbare Inhalte, würde dies bei Facebook nur in 46 Prozent der Fälle gelöscht. Bei der Videoplattform Youtube seien es nur zehn Prozent, beim Kurznachrichtendienst Twitter gerade mal ein Prozent. Passiert nichts freiwillig?

Auf der anderen Seite kommt Kritik auf: Die Stichprobe sei nicht wissenschaftlich tragbar. Zudem präsentieren die Unternehmen jetzt eigene Zahlen: Facebook sagt im September 2016, man habe innerhalb eines Monats 100.000 Inhalte mit Hass und Beleidigung gelöscht. Die Löschquoten steigen, würden andere Studien belegen. Die Positionen verhärten sich.

Kontrolle ist ausgelagert

Das von der „Task Force“ beschlossene „Monitoring“ zeigt: Nicht nur die Kontrolle von Hasskommentaren ist heikel. Sondern auch die Kontrolle der Unternehmen. Hinzu kommt: Die Firmen veröffentlichen zwar klar gefasste Nutzerregeln, machen bisher jedoch nur sehr vage Angaben zu dem, was sie löschen.

Auch diese Redaktion bekommt auf Nachfrage wenig aktuellen Angaben. Man sammle die Daten nicht regelmäßig, heißt es etwa bei Facebook. Zu der Zahl angestellter Juristen sagt das Unternehmen ebenfalls nichts. Nur: Weltweit würden mittlerweile mehr als 7000 Angestellte Inhalte auf Straftaten verfolgen. In Deutschland hat Facebook die Prüfungen von Beiträgen an Firmen ausgelagert, wie die Bertelsmann-Tochter Arvato in Berlin oder das Competence Call Center in Essen. Wie genau die Mitarbeiter in diesen „Löschzentren“ betreut und juristisch beraten werden, lässt Facebook offen. Ein Sprecher gibt an, man habe auf kritische Berichte etwa über Arbeitsbelastung und mangelnde psychologische und juristische Betreuung reagiert. Der Kampf gegen Hass im Netz ist auf einmal auch eine Debatte über Arbeitsrecht und Unternehmensethik.

Wer im Herbst vergangenen Jahres nach dem ersten Jahr der „Task Force“ mit Mitgliedern spricht, hört, dass der Unmut bei manchen in der Runde wächst. Und als Maas den nächsten Schritt macht, verschieben sich die Fronten. Ab Oktober gilt das Netzdurchsetzungsgesetz, kurz NetzDG. Der Justizminister hatte es im März 2017 angekündigt. Wer als Betreiber einer Plattform Beleidigungen, Volksverhetzungen und Drohungen die Löschfristen systematisch missachtet, dem droht künftig eine Strafe. Zudem müssten die Unternehmen öffentlich über ihre Löschaktionen berichten – auch darüber, wie sie die Kontrolleure in den „Zentren“ betreuen. Die Botschaft der Politik ist jetzt: Wer nur die Sprache des Geldes verstehe, müsse eben zahlen. Das Ministerium droht mit Bußgeld bis zu fünf Millionen Euro.

Angst vor „Overblocking“

Doch gegen das Gesetz hagelt es Kritik. Von den Unternehmen, was nicht überrascht, aber auch von Journalistenverbänden und Stiftungen. Die Sorge: Unternehmen löschen ohne große rechtliche Prüfung – nur damit sie keine Strafe zahlen müssen. Das gefährde die Meinungsfreiheit im Internet. Und die Hetzer würden einfach abwandern, in andere, unkontrollierte Netzwerke, wie es sie heute schon mit der Seite „vk.com“ gibt.

Auch Sprecher von Unternehmen warnen die Politik vor einem solchen „Overblocking“. Auf der Seite der Kritiker stehen auf einmal auch Teilnehmer aus der „Task Force“, die sonst eher die Konzerne hart angehen. Sie bemängeln, dass eine Mitsprache an dem Gesetzentwurf in der Expertenrunde gefehlt habe. Im Ministerium von Maas war man über die Allianzen von Konzernen und Stiftungen überrascht. Und fragt heute: Wie hätte man ein Gesetz in der „Task Force“ bereden sollen, in dem Facebook und Youtube mit am Tisch sitzen?

In dem Gremium sei es zuletzt vor allem um den Schlagabtausch zwischen Justizministerium und Konzernen gegangen, berichtet ein Teilnehmer. Es habe Phasen guter Zusammenarbeit gegeben, sagt ein anderer. „Alles andere können Sie sich ja denken.“

Digitale Müllabfuhr

Netzexperte Johannes Baldauf, der lange für die Amadeu Antonio Stiftung gearbeitet hat und nun selbstständiger Berater ist, warnt, dass die Debatte über das Gesetz wichtige Anliegen der „Task Force“ in den Hintergrund gedrängt habe. Entscheidend sei der Aufbau einer Zivilgesellschaft im Internet. „Deutschland hat starke Initiativen, die sich Hass auf Straße entgegenstellen. Doch auf den sozialen Plattformen fehlt dieser Aufstand der Anständigen bisher weitestgehend“, sagt Baldauf. Da helfe auch kein Millionen-Bußgeld an Facebook oder Youtube. Sophia Oppermann, Geschäftsführerin des Vereins „Gesicht zeigen!“, die auch an den Sitzungen der „Task Force“ teilgenommen hat, sagt: „Um die Posts und Kommentare besser kontrollieren zu können, hätten wir uns mehr Geld für die Prüfungsstellen gewünscht.“ Das neue Gesetz hält auch sie für „problematisch“.

Das Gesetz von Maas sieht vor, dass ein Gericht die Entscheidung der Behörde prüft, wenn einem Unternehmen eine hohe Strafzahlung droht. Der Richter soll dann kontrollieren, ob ein Unternehmen strafbare Hassreden nicht gelöscht hat – oder ob die Kommentare doch freie Meinungsäußerung waren. Dieser Punkt wirft eine heikle Frage auf: Müssen nicht ohnehin amtliche Richter über die Rechtmäßigkeit von Kommentaren entscheiden – und nicht Firmen-Juristen oder gar angelernte Mitarbeiter eines Call Centers? Und wenn ja, wie lange würde das in jedem Fall dauern bei einer Justiz, die ohnehin schon Verfahren stapelt? Ein Dilemma.

Ermittlungen eingestellt

Die Grünen-Politikerin Renate Künast bekam vor einigen Tagen Post von der Staatsanwaltschaft in Berlin. Sie hatte Anzeige erstattet gegen den hetzerischen Kommentar auf Facebook, man solle sie „köpfen“, weil sie den Gen-Mais zugelassen habe. Die Behörde schrieb, dass die „herabwürdigende Äußerung“ nicht strafbar sei. Eine „inhaltlich-politische Auseinandersetzung“ mit der Arbeit Künasts und dem Gen-Mais stehe im Vordergrund und sei nicht bloß ein „mutwillig gesuchter Anlass“, um sie zu beschimpfen. Die Behörde beruft sich auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, nach denen auch eine überzogene oder sogar ausfällige Kritik keine Schmähkritik sein müsse. Das Verfahren im Fall Künast wurde eingestellt.